Washington – Es war ein Schauspiel, das in die Chronik des Widerstands eingehen dürfte: In den frühen Morgenstunden des 3. Juli 2025 betrat Hakeem Jeffries, demokratischer Oppositionsführer im Repräsentantenhaus, das Rednerpult – und verließ es nicht mehr. Über sechs Stunden sprach er ununterbrochen gegen das gigantische Steuer- und Ausgabengesetz von Präsident Donald Trump, das Republikaner in Windeseile durch das Parlament peitschen wollen. Jeffries’ Rede wurde zur Protesthandlung, zur politischen Notbremse – und zu einem Aufschrei gegen das, was er ein „Verbrechen am amerikanischen Volk“ nannte.
Der sogenannte „Big Beautiful Bill Act“ umfasst auf 887 Seiten eine fiskalpolitische Radikalkur: Steuererleichterungen für Unternehmen und Spitzenverdiener, massive Einschnitte bei Medicaid, Lebensmittelhilfen und Gesundheitsprogrammen, ein Stopp für Solar-Subventionen, neue Milliarden für das Verteidigungsbudget und für Deportationen. Die Republikaner verkaufen das Gesetz als Entlastung für Familien und als wirtschaftlichen Befreiungsschlag – doch ein Blick in die offiziellen Zahlen zeigt ein anderes Bild. Laut einer Analyse des unabhängigen Congressional Budget Office (CBO) würde das Gesetz in den kommenden neun Jahren fast 3,3 Billionen Dollar zur Staatsverschuldung hinzufügen – eine Steigerung um rund eine Billion gegenüber der vorherigen Senatsfassung. Außerdem würden laut CBO bis zum Jahr 2034 rund 11,8 Millionen Amerikaner:innen ihren Krankenversicherungsschutz verlieren. Die Steuererleichterungen sind vor allem für Wohlhabende konzipiert – während gleichzeitig die Streichung von Essensmarken, Subventionen für Gesundheitsprogramme und Sozialleistungen Millionen Familien ins Nichts zu reißen droht. Auch das viel beschworene Versprechen, Rentner von Steuern auf Sozialversicherungsleistungen zu befreien, fehlt im Gesetz.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal auf dem Boden des Repräsentantenhauses sagen müsste: Das hier ist ein Tatort“, sagte Jeffries wörtlich. „Ein Tatort gegen die Gesundheit, Sicherheit und das Wohlergehen des amerikanischen Volkes.“ Er sprach über hungernde Kinder, über Veteranen, denen die Unterstützung entzogen werden soll, über Kleinunternehmer, die durch die Bürokratie der Gesetzesreform in die Zahlungsunfähigkeit gedrängt würden. Und er zitierte bewegende Briefe von Wähler:innen – darunter Veteranen, die um ihre Medikamente fürchten, oder Unternehmerinnen, die ihren Krankenversicherungsschutz verlieren würden. Einer der emotionalsten Momente war Jeffries’ Verweis auf den Fall von Narciso Barranco – einem Gärtner aus Kalifornien, der Vater dreier US-Marines ist und von der Grenzpolizei in Santa Ana brutal zusammengeschlagen wurde, weil er sich gegen seine Abschiebung wehrte. Ein Video zeigt, wie Barranco mit Tränengas besprüht und mit dem Schlagstock misshandelt wurde. ( Wir hatten am 24. Juni über diesen Fall ausführlich berichtet: https://kaizen-blog.org/ein-staat-mit-schwarzer-maske-wie-narciso-barranco-zum-gesicht-eines-repressiven-amerikas-wurde/ ). Jeffries stellte klar: „So darf niemand in diesem Land behandelt werden – schon gar nicht der Vater von drei patriotischen Soldaten.“ Während Jeffries redete, saßen die Republikaner auf gepackten Taschen. Seit der Senat das Gesetz mit knapper Mehrheit verabschiedet hatte – drei republikanische Senatoren, darunter Rand Paul, stimmten dagegen –, bereiten sich Trumps Verbündete auf den finalen Durchmarsch im Repräsentantenhaus vor. Die Abstimmung wurde durch Jeffries’ Marathonrede nur hinausgezögert, nicht verhindert. Doch der symbolische Gehalt war enorm: Die Demokraten zeigten, dass sie bereit sind, um jede Zeile zu kämpfen. Auch innerhalb der republikanischen Reihen gab es Spannungen. Der Versuch, mit dem Gesetz auch gleich staatliche Regelungen für Künstliche Intelligenz für ein Jahrzehnt auszusetzen, scheiterte an Widerstand von konservativen Gouverneuren und Thinktanks. Ein Bündnis rund um Aktivist Mike Davis – unterstützt durch Steve Bannon und Teile des Freedom Caucus – bezeichnete die AI-Klausel als „Amnestie für Big Tech“. Der Bruch offenbart, wie groß das Misstrauen gegen Silicon Valley im rechten Lager inzwischen ist.
Doch Trump selbst bleibt bei seiner Linie. Die Milliardenkürzungen im Sozialbereich, die Steuererleichterungen für Konzerne, das Abräumen ökologischer Programme – all das verkauft er als patriotischen Befreiungsschlag. Das Gesetz sei „wunderschön“, ein Sieg über den „tiefen Staat“ und die „linke Bürokratie“. Die Kürzungen im Gesundheitssystem – laut Demokraten lebensgefährlich – seien laut Trumps Partei nichts anderes als eine „Neuausrichtung auf die ursprünglich Bedürftigen“. Gemeint sind Schwangere, Kinder, Menschen mit Behinderung – und nur sie. Der Rest: angeblich Missbrauch, angeblich Verschwendung. Die Widersprüche könnten nicht größer sein. Während Trump von Erneuerung spricht, sprechen die Fakten von Abbau. Während Republikaner „Haushaltsdisziplin“ rufen, türmt sich ein gigantisches Defizit auf. Und während Amerika feierlich auf den Independence Day zusteuert, bricht im Parlament ein Kampf um das soziale Fundament der Nation aus. Trumps Gesetz ist nicht einfach nur ein Haushaltspaket. Es ist ein ideologisches Großprojekt – ein Frontalangriff auf das Erbe von Obama und Biden, auf Medicaid, auf Klimaschutz, auf soziale Gerechtigkeit. Jeffries’ Blockade hat es nicht gestoppt – aber sichtbar gemacht. Für das Land. Für die Geschichte und der Abschied von westlichen Werten.
