San Diego, Mai 2025.
Ein Betonblock in der Wüste. Die Luft riecht nach Bleichmittel und Angst. Drinnen sitzt eine Frau in einer Kabine, so klein, dass sich der Schmerz darin staut. Sie spricht in ein Telefon, ohne Gesicht gegenüber. Sie erzählt von Folter, von Vergewaltigungsdrohungen, von einer Nacht, in der sie nur überlebte, weil sie schwieg. Der Beamte auf der anderen Seite hört zu. Sagt nicht viel. Kreuzt am Ende ein Kästchen an. „Glaubwürdig“. Dann ein zweites. „Aber nicht wahrscheinlich, dass sie in Äthiopien erneut gefoltert wird.“ Damit ist die Sache erledigt.

Was klingt wie ein Justizirrtum, ist heute US-Politik. Und sie ist erbarmungslos. Die Frau – die „Zeugin“, oder Abeba, ein Pseudonym, wie sie genannt wird, weil sie ihren Namen aus Angst nicht öffentlich machen darf – wurde in Äthiopien verhaftet, weil sie eine Hinrichtung beobachtete. Eine außergerichtliche Exekution durch Soldaten. Sie wurde festgenommen, geschlagen, eine Woche lang gefoltert. Danach floh sie. Über Mexiko, durch den Dreck der Grenzregion, bis zum Rio Grande. Am Ufer suchte sie Hilfe – doch da hatte Donald Trump gerade seine zweite Amtszeit angetreten. Und der Präsident hatte erklärt, wer ohne Voranmeldung über die Südgrenze käme, sei Teil einer „Invasion“.
Ab diesem Tag war Asyl de facto abgeschafft. Was blieb, war eine letzte juristische Notröhre: Schutz nach der UN-Antifolterkonvention (CAT). Aber Trumps Behörden hatten auch hier die Regeln verändert – still, leise, ohne Ankündigung. Rechte wurden entfernt, Anwälte ausgeschlossen, Berufungen unmöglich gemacht. Statt eines Gerichtsverfahrens entscheidet nun ein Häkchen auf einem Formular. Die Betroffenen wissen oft nicht einmal, dass sie eine letzte Chance hatten. Für viele ist es das letzte Gespräch vor dem Verschwinden.
Ein Häkchen reicht – und du bist weg
Am 27. April saß die Zeugin allein in der Otay Mesa Haftanstalt in Kalifornien, geführt vom privaten Konzern CoreCivic, berüchtigt für Gewalt, medizinische Vernachlässigung und dreckiges Wasser. Die Anhörung fand per Telefon statt. Die Übersetzerin brach zweimal weg, beim zweiten Mal kam sie nicht zurück. Die Frau bat darum, in einfachem Englisch fortfahren zu dürfen. Der Beamte stellte nur Ja-Nein-Fragen. Als er am Ende den Gesprächsverlauf zusammenfasste, fehlten entscheidende Details. Eine Korrektur wurde nicht zugelassen. Danach bekam sie das Schreiben: Glaubhaft, aber nicht glaubhaft genug. Keine Möglichkeit zur Berufung. Keine neuen Anhörungen. Keine Richter, keine Transparenz, keine Verantwortung.

„Ihr Abschiebebeamter hat nur gesagt: Es gibt nichts, was Sie tun können“, sagt ihre Anwältin Sydney Johnson. ICE habe die Abschiebung bereits vorbereitet. Die äthiopische Regierung müsse nur noch die Reisedokumente schicken. Dann fliegt sie zurück in die Hände ihrer Peiniger. Was hier geschieht, ist nicht Versehen, sondern Kalkül. Laut einem neuen Bericht von Human Rights First und Refugees International sind CAT-Anhörungen zu einem System geworden, das einzig der Abschiebung dient. Menschen würden teils nicht einmal mehr befragt. Andere, wie die Zeugin, erhielten unfaire Anhörungen, ohne Dolmetscher, krank, unter Medikamenteneinfluss, ohne Verteidigung. Eine Anwältin nennt es: „eine Farce, absichtlich designt“.
Laut interner Dokumente des USCIS, die California Newsroom einsehen konnte, hätten Asylbeamte die Pflicht, Interviews zu verschieben, wenn Antragstellende nicht gesund oder ohne Dolmetscher sind. Sie sollten die Aussagen mit Länderberichten abgleichen. Doch in der Praxis geschieht das Gegenteil: Das System ist intransparent, willkürlich, feindselig. Ein Beamter sagte: „Die Trump-Regierung verhält sich wie die Regime, vor denen Menschen zu fliehen versuchen.“
Früher hätte die Zeugin das Recht gehabt, vor einem Richter zu erscheinen. Jetzt genügt das Häkchen eines Beamten, den sie nie gesehen hat. Und ICE weigert sich, die Dokumentation des Interviews herauszugeben. Anwältin Johnson erhielt auf Nachfrage den Hinweis, man könne ja eine FOIA-Anfrage stellen – was zwei bis drei Monate dauert. In dieser Zeit, so sagt sie, „wird meine Mandantin abgeschoben sein“.
Auch in anderen Fällen berichten Anwältinnen, dass sie systematisch von Informationen abgeschnitten werden. Natalie Cadwalader-Schultheis, Juristin bei Human Rights First in San Diego, sagt: „Es ist alles still geworden. Und das ist das Schlimmste. Denn es bedeutet nicht, dass es keine Probleme gibt. Es bedeutet, dass sie versteckt werden.“ Tatsächlich verschwinden derzeit zahlreiche Menschen spurlos – ohne Hinweis darauf, ob sie verlegt, abgeschoben oder schlicht ausgelöscht wurden aus dem System. Nachts, ohne Vorwarnung. „Sie wissen nicht mal, wohin sie kommen“. Für uns ist das keine Theorie, sondern ein täglicher Albtraum. Wir haben Zugang zu Dokumenten, zu Datenbanken, zu Vermerken tief in den Verwaltungsarchiven – und doch bleiben viele dieser Menschen unauffindbar. Sie tauchen in keiner Liste mehr auf, in keinem Protokoll, als hätte es sie nie gegeben. Kein Spielfilm – Realität.
Manchmal bleiben uns nur die letzten Koordinaten, die letzten Fußspuren in den Datensätzen, um uns auf die Suche zu machen: Wir sind zu Auffanglagern gereist, zu Flughäfen, zu Transitgefängnissen, in ihre Heimatländer und an jene Orte, an denen sie zuletzt gesehen wurden – nur um zu beweisen, dass es diese Menschen gab. Dass sie nicht einfach verschwunden sind, weil sie es „verdient“ hätten – sondern weil ein System sie hat verschwinden lassen.
Es ist eine stille, gespenstische Menschenjagd. Nicht um Schuld oder Unschuld, sondern um Existenz. Um das nackte Faktum, dass jemand da war. Dass jemand lebt. Noch.
Ein Präsident, der die Gesetze bricht – und keiner hält ihn auf
Der ACLU zufolge hat Trump mit seinem Dekret „Guaranteeing the States Protection Against Invasion“ ein ganzes Schutzsystem illegal abgeschaltet. In der Sammelklage heißt es, CAT- und Abschiebe-Schutz seien keine Ermessensfragen, sondern gesetzlich garantiert. Wenn der Präsident das aushebelt, ist das ein Bruch der Gewaltenteilung.
Kommt das Gericht dieser Argumentation nach, könnte es Tausenden Menschen erlauben, erneut einen Antrag zu stellen – diesmal mit Anwalt, mit Gericht, mit Recht auf Widerspruch. Doch für viele wird das zu spät sein.
„Sie wird nicht überleben“
Die Zeugin leidet an einer chronischen Krankheit. In Haft wird sie schlecht behandelt. Ihre Cousin Negash, US-Bürger, sagt: „Sie klingt gebrochen. Als ob sie längst aufgegeben hat.“ Er selbst habe Angst, nach Äthiopien zu reisen – und deshalb seinen Nachnamen verschweigen lassen.
„Sie hat mir gesagt: Ich sterbe lieber hier, als zurückzukehren“, so Anwältin Johnson.
ICE sagt: Die Abschiebung wird erfolgen, sobald der Flug steht. Und dann? Dann weiß die äthiopische Regierung, dass sie angekommen ist. Dann wartet wieder das Gefängnis. Die Folter. Vielleicht der Tod.
Amerika 2025 – ein Ort, wo eine Frau, die Folter überlebt hat, in der Nacht verschwindet. Weil ein Mann im Weißen Haus das so will.
Und am Ende bleibt nur ein Häkchen und ein Kreuz.
