Tödliches Manifest – Anschlag auf die Demokratie erschüttert Minnesota

VonRainer Hofmann

Juni 14, 2025

Es ist kurz nach drei Uhr morgens, als im beschaulichen Brooklyn Park, einem Vorort von Minneapolis, die Stille von Schüssen durchbrochen wird. Wenige Minuten später stehen zwei Häuser in zwei benachbarten Gemeinden im Zentrum einer großangelegten Fahndung – ein mutmaßlich politisch motivierter Mord an demokratischen Abgeordneten erschüttert nicht nur Minnesota, sondern das gesamte Land.

Die demokratische Abgeordnete Melissa Hortman, ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses von Minnesota, wurde zusammen mit ihrem Ehemann Mark in ihrem eigenen Zuhause erschossen. Nur kurze Zeit zuvor waren der demokratische Senator John A. Hoffman und seine Frau Yvette in ihrem Wohnhaus in Champlin durch mehrere Schüsse schwer verletzt worden. Beide überlebten – bislang.

Die Polizei spricht von gezielter, politischer Gewalt. Der Täter soll sich als Polizist ausgegeben und ein täuschend echt wirkendes Fahrzeug verwendet haben. In seinem Wagen fanden die Ermittler eine „Hit-Liste“ mit fast 70 Namen: darunter Abtreibungsärztinnen, Pro-Choice-Aktivist:innen, progressive Gesetzgeber:innen – und die beiden betroffenen Abgeordneten.

In einem mitgeführten Manifest skizziert der Täter offenbar eine breite Serie von Angriffen gegen Personen, die er als Feinde einer „wahren amerikanischen Ordnung“ betrachtete. Die darin verwendeten Schlagworte – darunter „No Kings“, das Motto der heutigen landesweiten Anti-Trump-Proteste – lassen keinen Zweifel am ideologischen Hintergrund: Es geht um die gewaltsame Bekämpfung von Demokratie und Gleichberechtigung.

Die Behörden warnen eindringlich vor weiteren Gefahren. Die Anti-Trump-Proteste im ganzen Land sollten aus „großer Vorsicht“ besser vermieden werden, erklärte Colonel Christina Bogojevic von der Minnesota State Patrol. Auch das FBI ist an der Großfahndung beteiligt. Der mutmaßliche Täter konnte bei einem Schusswechsel mit der Polizei entkommen und wird als bewaffnet, gefährlich und möglicherweise weiterhin als Polizist verkleidet beschrieben.

Laut übereinstimmenden Medienberichten soll es sich bei dem mutmaßlichen Täter um Vance L. B. handeln – einen ehemaligen Berater des Gouverneurs, der 2019 von Tim Walz in das Governor’s Workforce Development Board berufen wurde. Aus Gründen der journalistischen Sorgfalt und weil eine offizielle Bestätigung der Ermittlungsbehörden derzeit noch aussteht, verzichten wir bewusst auf die vollständige Nennung des Namens.

Die politischen Reaktionen sind heftig. Gouverneur Tim Walz sprach von einem „gezielten Angriff auf die Demokratie“ und rief die Bevölkerung auf, sich „mit allen Mitteln gegen politische Gewalt zu stellen“.

Senatorin Amy Klobuchar, eine enge Vertraute der getöteten Melissa Hortman, schrieb auf Social Media: „Wir haben gemeinsam begonnen. Ich kann kaum in Worte fassen, was dieser Verlust bedeutet.“

Minnesota steht unter Schock. Und auch wenn das Motiv klar zu sein scheint, bleibt eine zentrale Frage offen: Wie konnte es so weit kommen? Ein Attentäter, der sich als Beamter ausgibt, mit kugelsicherer Weste, Taser, Polizeimarke und sogar einem Einsatzfahrzeug – und eine Liste mit fast 70 Namen bei sich trägt. Es ist ein Szenario, das selbst in einem Land, das an politische Gewalt gewöhnt ist, kaum noch begreifbar scheint.

Die Bundes- und Landesbehörden arbeiten mit Hochdruck an der Ergreifung des Täters. In mehreren Bezirken gilt weiterhin die Aufforderung, in den Häusern zu bleiben. Der Täter könnte jederzeit wieder zuschlagen.

Was bleibt, ist eine schmerzhafte Mahnung: dass Worte längst Waffen geworden sind, und politische Macht in diesen Tagen nicht selten an der Mündung eines Gewehrs verhandelt wird.

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