Wenn man glaubt, schon alles in Recherchen gesehen zu haben – Menschen, Situationen, jedes Dokument, jedes Bild, jede Grenze staatlicher Grausamkeit –, dann kommt meist der Moment, der selbst den geübten Blick verstummen lässt. Was hier sichtbar wird, sprengt den Rahmen des Vorstellbaren. Es übertrifft nicht nur den menschlichen Verstand, sondern auch jedes Maß an Achtung, das einem Menschen geschuldet ist.
In der Nacht, als die Beamten die Zellentüren öffneten, klirrten Metall und Angst im selben Rhythmus. Männer, deren einzige Tat darin bestand, an den Schutz eines Landes zu glauben, standen in einer Reihe, barfuß auf kaltem Beton, gefesselt an Händen und Füßen. Der Nigerianer, der heute aus einem Lager in Ghana spricht, erinnert sich an den Satz, der wie ein Urteil fiel: „Ihr werdet nach Ghana geschickt.“ Keiner von ihnen stammte von dort. Niemand durfte telefonieren, niemand durfte seinen Anwalt anrufen. Stattdessen kam ein Gerät zum Einsatz, das klingt, als sei es einem dystopischen Drehbuch entnommen: The WRAP – eine Ganzkörperfessel, schwarz und gelb, entworfen, um Menschen in eine Art menschliches Paket zu verwandeln. Sie wurden hineingeschnürt, einer nach dem anderen, und in den Bauch eines Flugzeugs geladen – für einen sechzehn Stunden langen Flug nach Westafrika. „Es war eine Entführung“, sagt der Mann. „Keine Abschiebung.“

Der WRAP – von ICE-Beamten spöttisch „the burrito“ oder „the bag“ genannt – ist das Produkt einer Bürokratie, die das Konzept von Sicherheit mit totaler Kontrolle verwechselt. Ursprünglich als Notfallmaßnahme entwickelt, um Gewalttätige zu beruhigen, ist er nun fester Bestandteil amerikanischer Abschiebungsroutinen. Menschen, die weder Widerstand leisteten noch eine Bedrohung darstellten, wurden damit über Stunden fixiert. Sie konnten weder essen noch trinken, manche nicht atmen. Und während die Regierung den Einsatz als „Standardprozedur“ verteidigt, spricht das Völkerrecht eine andere Sprache: Artikel 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verbietet jede Behandlung, die „grausam, unmenschlich oder erniedrigend“ ist.

Das geleakte Foto aus Chula Vista, Kalifornien, zeigt eine festgenommene Person, vollständig in das Fixierungssystem „The WRAP“ geschnürt, den Kopf unter einer dichten Stoffhaube verborgen. Menschenrechtsjuristen stufen solche Szenen als gravierende Verletzung internationaler Schutzstandards ein. Der Einsatz kombinierter Fessel- und Atembarrieren kann nach Artikel 7 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) sowie Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung gelten. Auch Artikel 1 der UN-Antifolterkonvention (CAT) verbietet jede Maßnahme, durch die einer Person vorsätzlich starke körperliche oder seelische Leiden zugefügt werden, um sie zu bestrafen oder einzuschüchtern. Da das Bild aus internen Quellen der Strafverfolgung geleakt wurde, wirft es die Frage auf, in welchem Umfang solche Methoden – offiziell als „Sicherheitsmaßnahmen“ deklariert – systematisch und außerhalb rechtlicher Kontrolle angewendet werden.
Trotzdem setzt die Einwanderungsbehörde ICE den WRAP weiterhin ein – und das entgegen interner Warnungen. Ein Bericht der Bürgerrechtsabteilung des Department of Homeland Security aus dem Jahr 2023 warnte ausdrücklich vor den Risiken. Er dokumentierte mehrere Todesfälle in US-Gefängnissen, bei denen Menschen in diesen Ganzkörperfesseln erstickt waren. Doch ICE bestellte weiter. Über 90 Prozent der Zahlungen an den kalifornischen Hersteller Safe Restraints, Inc. stammen aus den beiden Trump-Regierungen.
Das Unternehmen, das Menschlichkeit verkauft
Safe Restraints, Inc. wurde 1996 von einer Gruppe ehemaliger Polizisten und Medizinfachleute in Kalifornien gegründet. Der Firmensitz liegt in Diablo – wie passend -, einem wohlhabenden Vorort im Contra-Costa County. Der Slogan des Unternehmens lautet: “Dedicated to protecting and saving lives.” Auf Deutsch: „Dem Schutz und der Rettung von Leben verpflichtet.“ Doch in der Realität, die sich in ICE-Flügen, Gefängnissen und Krankenhäusern abspielt, ist dieser Satz zynischer kaum denkbar.

CEO und Präsident ist Charles E. H. Hammond – eine Figur, die iden WRAP als „lebensrettend“ verteidigt. Hammond spricht von Sicherheit, von Effizienz, von Verantwortung. Doch seine Produkte werden in Szenarien eingesetzt, die mit medizinischer Fürsorge nichts zu tun haben. Der WRAP, so sagen Menschenrechtsanwälte, ist kein Sicherheitsinstrument, sondern ein Werkzeug der physischen und psychologischen Unterwerfung – ein industriell hergestelltes Symbol für staatliche Gewalt.

Die Erfinder der Vorrichtung, die Polizeisergeants Ron O’Dell und Craig Zamolo aus Walnut Creek, präsentierten den WRAP Mitte der 1990er-Jahre als Alternative zum sogenannten „Hog-Tying“, einer damals verbotenen Fesseltechnik, bei der Hände und Füße auf dem Rücken zusammengebunden werden. In der Praxis aber wurde das System zur Perfektion des Problems: Es professionalisierte, was zuvor als Missbrauch galt.

Nach eigenen Angaben hat Safe Restraints über 10.000 Einheiten verkauft, in mehr als 1.800 Polizeidienststellen, Haftanstalten und medizinischen Einrichtungen in den USA und Kanada. Die Firma wirbt auf ihrer Website mit kostenlosen Schulungen, „train-the-trainer“-Programmen und einem einjährigen Garantieversprechen, das Reparaturen bis zu sieben Jahre nach Kauf vorsieht – sofern das Gerät nicht „verbrannt, zerschnitten oder strukturell beschädigt“ wurde. Es ist die Sprache eines Unternehmens, das Menschen auf Wartungszyklen reduziert. Selbst der Reinigungsvorgang ist minutiös geregelt: Handschuhe, Bleichwasser, Bürste, Desinfektionsspray – und der Hinweis, man könne bei besonders verschmutzten Geräten „einen lokalen Tatortreiniger“ beauftragen. In dieser beiläufigen Anweisung zeigt sich der moralische Abgrund einer Industrie, die Gewalt als Hygieneproblem beschreibt.
Von Kalifornien in die Welt – und in die Dunkelzonen des Rechts
Während die Herstellerfirma auf Messen für Polizeibedarf auftritt, schließt ICE weiterhin Verträge, ohne Rechenschaft abzulegen. Weder das DHS noch ICE wollten der Associated Press Einsicht in Einsatzstatistiken geben. Unklar ist, wie viele Menschen bislang im WRAP transportiert wurden – und wie viele verletzt oder getötet endeten.

Auszüge eines internes Memorandum der US-Einwanderungsbehörde ICE vom 29. September 2025 zeigt, dass der Einsatz der Ganzkörperfixierung „The WRAP“ inzwischen offiziell juristisch bewertet wird. Das Schreiben, adressiert an den ICE-Direktor Patrick J. Lechleitner und die Chefjuristin Kerry E. Doyle, stammt aus der Rechtsabteilung des Department of Homeland Security und trägt die Beschwerde-Nummer 002577-22-ICE. Es handelt sich um ein Empfehlungsschreiben, das die Rechtmäßigkeit und Risiken des Geräts im Abschiebungseinsatz untersucht – ein deutliches Zeichen dafür, dass selbst innerhalb der Behörde Zweifel an dieser Praxis gewachsen sind.
Für die Anwälte der Betroffenen ist das Unternehmen mitschuldig an systematischer Entmenschlichung. „Wenn man ein Produkt verkauft, das Menschen ihrer Bewegungsfreiheit beraubt, trägt man Verantwortung dafür, wie es eingesetzt wird“, sagt die texanische Juristin Fatma Marouf, die ICE im Auftrag mehrerer Familien verklagt hat.
Menschenrechtsorganisationen berufen sich auf internationale Konventionen: Artikel 7 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte untersagt Folter ebenso wie jede „grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung“. Die USA haben den Pakt ratifiziert. Trotzdem fliegen wöchentlich Maschinen, in denen Menschen in eine Vorrichtung geschnallt sind, die in Kalifornien mit einem Garantiesiegel ausgeliefert wird.
Die Verkommenheit von „Schutz“
Safe Restraints präsentiert sich auf seiner Website als Unternehmen, das „Leben rettet, Verletzungen reduziert und Haftungsrisiken minimiert“. In Wahrheit rettet es niemanden – es rettet Systeme vor Verantwortung. Es liefert die technische Infrastruktur für ein politisches Programm, das Schutz nur für jene kennt, die ihn nicht brauchen.
Auf Nachfrage bei der Homeland Security erhielt man das zur Antwort: „Der Einsatz von Fesseln bei Abschiebeflügen ist seit Langem ein fest etabliertes, standardmäßiges ICE-Protokoll und eine wesentliche Maßnahme, um die Sicherheit und das Wohlbefinden sowohl der Abschiebungsinsassen als auch der sie begleitenden Beamten und Agenten zu gewährleisten.“
Dass ein solches Gerät heute zu den Exportgütern der Vereinigten Staaten gehört, ist eine moralische Bankrotterklärung. Es ist der Beweis, dass die industrielle Logik des Gefängnisses längst den Staat selbst durchdrungen hat: die Idee, dass man Würde verpacken, fixieren und versenden kann – mit Versandbestätigung. Einer der Abgeschobenen, ein Mann aus Kamerun, beschreibt, wie ICE-Beamte ihn in den WRAP legten, nachdem er auf der Flugzeugtreppe gestolpert war. „Sie trugen mich wie eine Leiche“, sagt er. Er lebt heute mit Nervenschäden.
Die Behörden nennen es Sicherheit. Der Hersteller nennt es Innovation. Und die Opfer nennen es beim richtigen Namen: Verkommenheit – patentiert, zertifiziert und bezahlt mit Steuergeld.
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Wie menschenverachtend.
16 Stunden eingewickelt, wie ein Stück totes Fleisch.
Ohne Chance auf Trinken, Essen oder eine Toilette.
Keine Chance aich etwas zu bewegen. Die Haltung zu ändern.
Jeder, der einen Langstreckenflug in der Basisclass gemacht hat, weiß wie anstrengend das ist. Da kann man aber die Lehne etwas zurück klappen, austehen, die Toilette aufsuchen, essen und trinken.
Das erinnert mich so sehr an die Waggons voller Juden, die ins KZ fuhren. Zusammengepfercht.
Vielleicht wird mit dieser Abscheulichkeit getestet,wieviele Menschen man mit minimalist Aufwand in Massen deportieren kann.
Gestapelt, wie Frachtgut 😞
Genauso ist das. Abscheulich.😢
…ja, aktuell gibt es in U.S. keinerlei Grenzen mehr, dass merken wir an unseren recherchen, einfach schlimm
😢😡 mir fehlen die Worte, wie meist in der letzten Zeit. Erschütternd.😢
…uns auch oft, dass im Jahr 2025, was für eine Entwicklung…