Es ist wird wieder einer dieser Nächte in Washington, in denen die Demokratie am eigenen Stillstand zu zerbrechen droht. Stunden vor Fristablauf steht die US-Regierung vor einem teilweisen Stillstand, weil sich Kongress und Präsident auf keinen Haushalt einigen können. Was nach Routine klingt – schließlich hat die amerikanische Politik eine lange Tradition im Haushaltsstreit – ist in Wahrheit ein riskantes Spiel auf dem Rücken von Millionen Menschen. Diesmal geht es nicht um Mauerbau oder abstrakte Sparpakete, sondern um den Kern des amerikanischen Sozialstaats: die bezahlbare Krankenversicherung. Die Ausgangslage ist klar: Demokraten wollen die 2021 eingeführten erweiterten Subventionen für die Krankenversicherung nach dem Affordable Care Act (ACA) verlängern. Ohne diese Zuschüsse laufen zum Jahresende die Preisdeckelungen für rund 24 Millionen Versicherte aus. Die Folge wären sprunghaft steigende Prämien, die für viele Familien unbezahlbar wären. Republikaner blockieren und behaupten, die Zuschüsse seien ein Einfallstor für illegale Migranten – eine Behauptung, die längst von Faktenchecks widerlegt wurde. Nicht ein einziger undocumented immigrant erhält diese Subventionen. Trotzdem wird die Lüge immer wiederholt, weil sie politische Wirkung entfaltet.
Trump, der sich in seinem zweiten Amtsjahr nach der Rückkehr ins Weiße Haus noch immer als „Verhandler“ inszeniert, hat die Führungsriege des Kongresses ins Oval Office zitiert: Mike Johnson, den Speaker des Repräsentantenhauses, John Thune, Mehrheitsführer im Senat, und die demokratischen Gegenspieler Chuck Schumer und Hakeem Jeffries. Ein historisches Treffen? Eher ein Theaterstück. Während Schumer und Jeffries auf den Ernst der Lage hinweisen, postet Trump wenige Stunden später ein manipuliertes Video, das die Demokraten lächerlich machen soll – inklusive Cartoon-Sombrero und Mariachi-Musik. Was als Verhandlung gelten sollte, endet als Meme-Schlacht im Netz. Die Folgen eines Shutdowns sind indes alles andere als virtuell. Hunderttausende Bundesangestellte droht die Zwangspause ohne Bezahlung, viele könnten sogar entlassen werden. Bei der Luftsicherung würde zwar der Flugbetrieb aufrechterhalten, aber ohne Lohn, was in einem ohnehin von Personalmangel geplagten System zusätzliche Gefahren birgt. In Oklahoma City, wo die einzige Schule für Fluglotsen-Nachwuchs steht, müsste der Unterricht eingestellt werden – ein herber Rückschlag in einem Berufsfeld, das ohnehin unter 3.000 offenen Stellen leidet.
Auch das Gesundheitssystem selbst ist betroffen. Medicare und Medicaid laufen zwar technisch weiter, aber Personalabbau droht Verzögerungen bei Bearbeitungen und Zahlungen. Noch schwerer trifft es die Spitzenforschung: Das National Institutes of Health müsste drei Viertel seines Personals nach Hause schicken, neue Studien würden gestoppt, Patienten hätten keinen Zugang zu dringend benötigten experimentellen Therapien. In den Laboren würden teure Forschungsprojekte buchstäblich verfallen. Auch bei den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) droht mehr als die Hälfte der Mitarbeiter im Zwangsurlaub – ein riskanter Zustand in einer Welt, in der die nächste Epidemie jederzeit ausbrechen kann. FEMA, die Katastrophenschutzbehörde, bleibt zwar für akute Einsätze einsatzbereit, doch die Vergabe von Hilfsgeldern und Versicherungen würde blockiert. Neue Hypotheken in überflutungsgefährdeten Gebieten könnten nicht abgeschlossen werden, weil die Bundesflutversicherung stillsteht. Selbst die Lebensmittelkontrolle durch die FDA würde eingeschränkt, Inspektionen würden verschoben, was das Risiko von Lebensmittelskandalen erhöht.

Doch während in den Bundesbehörden die Schockwellen vorbereitet werden, zuckt die Wall Street mit den Schultern. Der Dow Jones steigt auf ein neues Rekordhoch, Investoren verweisen auf frühere Shutdowns, die meist kurzfristig wirkten. Analysten erinnern daran, dass Aktienkurse in der Vergangenheit oft sogar zulegten. Aber diesmal könnte es anders sein: Denn Trump und sein Budgetdirektor Russell Vought haben durchblicken lassen, dass der Präsident die Krise nutzen will, um den Staatsapparat systematisch zu verkleinern – nicht nur Pausen, sondern echte Massenentlassungen. Damit würde der Shutdown nicht nur zum kurzfristigen Schlagloch, sondern zu einer tektonischen Verschiebung in der Struktur des Staates.
Die Parallelen zur Vergangenheit sind auffällig. Im Winter 2018/19 hielt Trump das Land 35 Tage im Würgegriff, weil er Geld für seine Grenzmauer wollte. Damals kippte er erst, als Flughäfen lahmgelegt wurden und selbst konservative Abgeordnete Alarm schlugen. Heute geht es nicht um Beton, sondern um Gesundheit. Wieder stehen Millionen Bürger als Geiseln in einem politischen Machtspiel. Während Demokraten auf Zeit spielen und auf ein Einlenken hoffen, zementiert Trump seinen Ruf als Chaos-Präsident. Mit Drohungen, mit Spottvideos, mit der Ankündigung, „Dinge zu kürzen, die sie lieben“, gießt er Öl ins Feuer. Ein Präsident, der wie ein Troll im Netz agiert, während das Land auf den Stillstand zusteuert – das ist der beunruhigende Befund dieser Stunden.
Dass ausgerechnet die Gesundheitsversorgung zum Faustpfand wird, ist mehr als Symbolik. Es zeigt, wie sehr soziale Sicherheit in den USA zur Verhandlungsmasse geworden ist. Für Trump und seine Verbündeten geht es um Macht, für Millionen Familien geht es um die Frage, ob sie im kommenden Jahr ihre Versicherung noch bezahlen können. Washington spielt Poker – und als Einsatz liegen nicht Chips auf dem Tisch, sondern das Leben von Menschen.
Fortsetzung folgt …
Investigativer Journalismus braucht Mut, Haltung und auch Deine Unterstützung.
Unterstützen bitte auch Sie unseren journalistischen Kampf gegen Rechtspopulismus und Menschenrechtsverstöße. Wir möchten uns nicht über eine Bezahlschranke finanzieren, damit jeder unsere Recherchen lesen kann – unabhängig von Einkommen oder Herkunft.