Es war ein Moment, wie er selbst in der Ära Donald Trumps noch Seltenheitswert hatte. Auf offener Bühne, im vollen Scheinwerferlicht des NATO-Gipfels in den Niederlanden, entglitt die politische Ernsthaftigkeit vollends – mit nur einem einzigen, übergriffig-anhimmelnden Wort: „Daddy“.
Mark Rutte, der neue NATO-Generalsekretär und einstige niederländische Premier, stand neben Trump wie ein Mann, der seine Würde gerade zum diplomatischen Sonderangebot erklärt hatte. Während Trump mit verschränkten Armen und selbstgefälligem Grinsen seinem eigenen Redefluss lauschte – einem Tiraden-Gebräu aus Obszönitäten, Schuldzuweisungen und dem bekannten „sie haben meine Waffenruhe verletzt“-Gejammer – bemühte sich Rutte sichtlich, dem Weltpublikum irgendeine Form der politischen Kohärenz zu verkaufen. Und dann sagte er es: Er verstehe Trumps „emotionale Reaktion“ – schließlich sei der Präsident der Vereinigten Staaten „der Daddy des Friedensprozesses“. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Trump strahlte, als hätte man ihm gerade einen weiteren Golfplatz geschenkt. Minuten später war auf Truth Social zu lesen: „CALL ME DADDY 😎🇺🇸“ – ein Eintrag, der sogleich zu einem viralen Cringe-Moment avancierte. Selbst konservative Kommentatoren, die Trump sonst in Schutz nehmen, sprachen von „peinlichem Personenkult“ und einem „inakzeptablen Missbrauch institutioneller Rollen“.
Doch in Wahrheit war es weit mehr als nur ein peinlicher Moment. Es war ein Symptom. Ein Symptom dafür, wie sehr sich internationale Diplomatie in der Trump-Ära zu einer Showbühne für Eitelkeit, Gefälligkeit und symbolisches Duckmäusertum gewandelt hat. Dass ein NATO-Generalsekretär – ein Mann, dessen Aufgabe es ist, ein Verteidigungsbündnis in Kriegszeiten zusammenzuhalten – freiwillig in infantile Sprachbilder greift, um einem cholerischen US-Präsidenten zu schmeicheln, sagt mehr über den Zustand der Allianz aus als jedes Gipfeldokument. Denn es ging bei diesem Gipfel eigentlich um Krieg und Frieden – um Iran, Israel, Waffenruhe, Drohnen, Sanktionen. Stattdessen dominierte eine Szene, die eher in eine schlecht geskriptete Late-Night-Show gepasst hätte. Ein Präsident, der sich „Daddy“ nennen lässt. Ein NATO-Chef, der dies auch noch als strategische Kommunikation verkauft. Und eine Weltöffentlichkeit, die fassungslos den Kopf schüttelt – oder zum Meme greift.
Die Tragik liegt im Detail: In der Wortwahl, die jeden diplomatischen Anstand durch Kumpelhaftigkeit ersetzt. In der Selbstinszenierung eines Präsidenten, der sich lieber als unkontrollierbarer Alpharüde feiern lässt, denn als Garant globaler Ordnung. Und in einem Westen, der offenbar bereit ist, sich dem Populismus bis zur Sprachverwahrlosung zu unterwerfen. Wenn „Daddy“ der neue Titel für den selbsternannten Retter des Weltfriedens ist, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn der Rest der Welt irgendwann auf „Goodbye“ umschaltet.