Russlands Kriegskinder – Wie der Kreml Schüler systematisch für den Krieg rekrutiert

VonRainer Hofmann

September 14, 2025

Wie ernst es dem russischen Staat mit der systematischen Militarisierung von Kindern ist, zeigen unsere Recherchen zu den Vorrunden von Zarnitsa 2.0 im Uralföderalen Bezirk: Was früher einmal ein harmloses Schulspiel mit Sportcharakter war, ist heute ein paramilitärisches Großmanöver, das von höchsten staatlichen Stellen orchestriert wird. Begrüßt wurden die Teilnehmer – viele von ihnen noch minderjährig – nicht von Lehrkräften, sondern von einem Bevollmächtigten des russischen Präsidenten persönlich, flankiert von regionalen Machtträgern und Veteranen mit staatlichem Heldenstatus. Schon diese Inszenierung zielt darauf ab, den Kindern früh ein Gefühl von Loyalität und militärischer Pflicht gegenüber dem Staat einzuprägen. Die Kinder traten in Einheiten mit Namen wie „Armee Nord“ oder „Armee Süd“ gegeneinander an und führten realitätsnahe Manöver mit klarer Befehlshierarchie durch – inklusive Zielpunkt-Einnahmen, taktischem Vorgehen und Reaktion auf simulierten Beschuss.

✈️ SKAT – Gewinner des Förderwettbewerbs der Bewegung der Ersten!
Wir freuen uns, mitzuteilen: Unser Projekt zählt zu den besten Initiativen in ganz Russland und belegte Platz 33 von 5.567 eingereichten Bewerbungen aus 89 Regionen des Landes – das ist ein großer Beitrag zur Entwicklung des Wettbewerbs 💙
Dank der Förderunterstützung können wir das Programm noch reichhaltiger gestalten, mehr Teilnehmer gewinnen und ein großes Finale organisieren. Ein besonderer Dank gilt der Bewegung der Ersten für das Vertrauen und die Möglichkeit zu wachsen!
#BewegungDerErsten #FördermittelDerErsten

Was dabei auffällt: Es geht nicht um symbolische Nachstellungen oder abstrakte Planspiele, sondern um eine militärische Nachahmung mit echtem Drill. Die jungen Teilnehmer tragen Uniformen, folgen Rangordnungen, marschieren, legen Kränze für gefallene Soldaten nieder und sprechen Schwüre. Es ist ein psychologisches und pädagogisches Programm, das gezielt darauf ausgerichtet ist, aus Kindern willige Akteure im Dienst eines militarisierten Staates zu machen. Die Rolle der „Bewegung der Ersten“ und der „Jugendarmee“ (Junarmija) dabei ist zentral: Sie liefern das ideologische Gerüst, die Logistik und die politische Rückendeckung. Was hier geschieht, ist keine patriotische Erziehung – es ist eine systematische Kriegssozialisation im Kindesalter. Ein Missbrauch von Bildung, von Loyalität, von Zukunft. Und das in einem Land, das seine Opfer zu Helden verklärt und seine Kinder zu Soldaten erzieht.

In Russland werden Kinder nicht mehr nur auf die Zukunft vorbereitet – sie werden gezielt in sie hineinmanövriert. Mitten in einem Krieg, den der Kreml nicht Krieg nennen darf, werden inzwischen Hunderttausende Schülerinnen und Schüler darauf trainiert, Drohnen zu bauen, zu programmieren, zu steuern – und letztlich zur Tötung ukrainischer Zivilisten einzusetzen. Offiziell geht es um Technikförderung, Begabtenförderung, Berufsvorbereitung. Inoffiziell entsteht ein staatlich gefördertes Netzwerk, das in seiner Systematik beispiellos ist: Ein Pipeline-System aus Wettbewerben, Clubs und Lernplattformen, das Jugendliche frühzeitig in das militärtechnische Establishment integriert – mit Boni für das Zentralabitur, Karriereversprechen und patriotischem Pathos. Was sich anhört wie eine düstere Folge aus Black Mirror, ist russische Bildungspolitik im Jahr 2025.

Die Plattform „Berloga“, was so viel wie Bärenhöhle bedeutet, wurde bereits 2022 im besetzten Sewastopol feierlich gestartet. Die erste „Mission“: ein Spiel, in dem Kinder als „intelligente Bären“ mit Drohnen gegen feindliche „Bienen“ kämpfen – ein kaum verschlüsseltes Bild für ukrainische Städte und Streitkräfte. Spieler liefern „Energiehonig“ ab – eine Fantasiewährung, mit der Drohnenflüge bewertet und neue Fähigkeiten freigeschaltet werden. Der „Energiehonig“ symbolisiert dabei militärische Effizienz und technischen Fortschritt und belohnt gezielt jene Kinder, die sich besonders gut in der Drohnensteuerung bewähren –, programmieren Flugrouten, verbessern Drohnentypen, entwickeln gemeinsam neue Designs. Über 600.000 Jugendliche haben inzwischen teilgenommen. Was aussieht wie Gamification, ist tatsächlich ein Einstieg in die militärische Nachwuchsförderung. Wer sich in Berloga bewährt, landet im NTI-Club-System – einer landesweiten Infrastruktur für begabte Jugendliche, die direkt mit dem Verteidigungsministerium und militärnahen Konzernen vernetzt ist. Die nächste Stufe: der Archipel-Intensivkurs oder die Aufnahme ins „Big Challenges“-Programm des Sirius-Zentrums, das von Putins Vertrauter Jelena Schmelewa geleitet wird. Dort entwickeln Jugendliche nicht etwa hypothetische Szenarien – sondern funktionsfähige Prototypen für Unternehmen wie Roskosmos, Almaz-Antey, Rosatom oder Geoscan. In einer Runde ging es um die Entwicklung eines Kamikaze-Drohnentyps, der bei gleichem Schaden deutlich billiger als bestehende Modelle sein sollte. In einer anderen konstruierten Schüler ein Aufklärungs- und Evakuierungssystem per Drohne, betrieben mit Wärmebildtechnik. Ein 17-jähriger Schüler arbeitete an der Verbesserung von GPS-Resistenz für Drohnen, ein anderer an einer Software zur Erkennung feindlicher Objekte. Immer wieder tauchten in den Projektbeschreibungen Namen wie Yakovlev, NT-MDT oder das Atomkraftwerk Saporischschja auf – Partnerunternehmen, deren militärische Rolle offen ist oder deren Führungspersonal unter westlichen Sanktionen steht. Doch genau diese Unternehmen rekrutieren Talente aus dem Schulprogramm – teilweise mit Werkverträgen, teilweise mit vorgezogenen Studienplätzen.

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Martin Rossmann
Martin Rossmann
3 Monate zuvor

Ich bedanke mich für diesen Bericht, der aufwühlt und zum denken anregt. Das ist Journalismus auf höchsten Niveau.

Helga M.
Helga M.
3 Monate zuvor

Ich fasse es nicht.
Hitler hat damals auch die Jugend auf Krieg gedrillt. Alles zum Heulen schrecklich.

Jasmin Stang
Jasmin Stang
3 Monate zuvor
Antwort auf  Helga M.

Ich kann das auch nicht fassen. Gut das es noch Journalisten gibt, die sich dafür einsetzen, bestimmt nicht grade mit wenig Risiko. Danke

Ela Gatto
Ela Gatto
3 Monate zuvor

So funktionieren Autokratien.
Von Klein auf werden Kinder ran geführt, begeistert und eingeschüchtert.
Ermutigt negative Äußerungen über das großartige Land zu melden.

Das ist in Nord Korea so, war in der DDR so und in Nazi Feutschland.

Der Samen wird gesäat und dann kann man „ernten“. Willfähige Personen, die bicht hinterfragen.

Carmen Engelhardt
Carmen Engelhardt
3 Monate zuvor

Danke für diesen außergewöhnlichen Artikel.

Tatjana Philipp
Tatjana Philipp
3 Monate zuvor

Es macht mich unfassbar traurig. In meinen schlimmsten Träumen hätte ich mir so etwas nicht vorstellen können. Danke für den Bericht.

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