Propaganda mit Familienfoto – Die perfide Inszenierung der AfD und Weidel im Osten

VonRainer Hofmann

Juni 26, 2025

Sie nennen es einen Umfragerekord – dabei ist es eher ein Offenbarungseid. 32 Prozent für die AfD in Brandenburg, gemessen von Infratest dimap im Auftrag des RBB, sind nicht bloß ein politisches Signal, sie sind ein Alarmzeichen für das demokratische Gefüge eines Landes, das gerade versucht, sich nach rechts zu immunisieren und dabei an seinen eigenen Reflexen scheitert. Alice Weidel, Fraktionschefin im Bundestag und unangefochtene Leitfigur einer Partei, die lieber inszeniert als erklärt, feiert diesen Umstand mit einem Tweet, der alles will – außer präzise sein. Die AfD, so Weidel, vereine mehr Stimmen auf sich als die „Regierungsparteien zusammen“. Das Problem? Das ist falsch. Und zwar auf eine Art, die man entweder als absichtliche Irreführung oder als erschreckende Unkenntnis bezeichnen muss. Denn Brandenburg wird aktuell von einer Kenia-Koalition regiert – SPD, CDU und Grüne. Rechnet man die Werte der jüngsten Umfrage zusammen, ergibt sich: SPD 23 % + CDU 14 % + Grüne 5 % = 42 %. Die AfD steht bei 32 %. Selbst wenn man, aus einer sehr schrägen Logik heraus, die CDU als Oppositionspartei begreift – was sie faktisch nicht ist – bleibt es dabei: Weidels Vergleich funktioniert nur, wenn man großzügig Fakten ignoriert. Und genau das ist die Strategie. Eine Partei, die sich permanent als Opfer inszeniert, muss ihre eigenen Siege überhöhen. Alles andere würde die Illusion sprengen.

Die Screenshots, die Weidel beifügt, stammen aus einer Spiegelkabine des Glaubens. Es ist nicht die Realität, die sie zeigt, sondern das Bedürfnis, dass etwas wahr sein möge. Dass sich viele Menschen abgehängt fühlen – keine Frage. Aber wer Habeck in einem Facebook-Kommentar als „Schwachkopf“ beschimpft, wie auf dem Bild, das die AfD stolz teilt, oder „Medien“ ruft, als wäre jedes Mikrofon eine Waffe gegen die eigene Meinung, der hat nicht bloß Vertrauen verloren. Sondern Haltung. Eine politische Kultur, die auf Beleidigung statt Begründung setzt, beraubt sich jeder Möglichkeit zur Auseinandersetzung. Das war früher Stammtisch, heute ist es Regierungsperspektive. Zumindest in den Köpfen jener, die glauben, ein Staat könne sich durch Wut erneuern. Niehoff wurde zum Märtyrer des kleinen Mannes stilisiert – einer, der „nur seine Meinung gesagt hat“. In Wahrheit hatte er andere diffamiert. Und wer beleidigt, darf sich nicht über Widerspruch wundern. Doch genau darin liegt der perfide Spin: Die AfD erklärt jede Zurückweisung als Unterdrückung, jede Maßnahme als Zensur, jede Verantwortung als Bevormundung. Und so wird aus einem Rentner mit Facebooksperre ein politischer Kronzeuge der Meinungsfreiheit. Dass er nun mit Tochter und Frau vor die Kameras geführt wird, hat etwas Verstörendes. Es ist, als wolle man das Bild immunisieren – gegen Kritik, gegen Zweifel, gegen Anstand. Die Szenerie wirkt wie ein Propagandabild aus einem Handbuch der politischen Reizung: personalisierte Empörung, familiäre Nähe, behindertes Kind, großes Thema. Doch es geht nicht um Inklusion – es geht um Inszenierung. Weidel weiß, dass Bilder mächtiger sind als Argumente. Und sie nutzt sie mit chirurgischer Kälte.

Dass diese Bilder am selben Tag verbreitet werden wie das manipulativ betitelte Umfrageplakat, ist kein Zufall. Sie gehören zusammen. Beide erzählen dieselbe Geschichte: Wir sind die Stimme der Ausgeschlossenen, der Übersehenen, der angeblich Unerhörten. Dabei sind es nicht die Menschen, die ausgeschlossen werden – es ist die Demokratie, die an den Rand gedrängt werden soll. Denn wer Umfragen zur absoluten Wahrheit erklärt, verachtet den Wahlakt. Und wer Beleidigungen zur Zivilcourage stilisiert, verachtet die Würde des Gegenübers. Niehoff ist dabei nicht Täter oder Opfer – er ist Instrument. Seine Sperre war keine Zensur, sondern Konsequenz. Doch die AfD erklärt genau diese Konsequenz zum Angriff auf die Freiheit. Der eigentliche Skandal liegt aber nicht nur im Bild, sondern in seiner Wirkung. Weidel trifft auf Zustimmung. Die Umfragezahlen steigen. Der Ton wird schärfer. Die Differenz zwischen faktischer Macht und gefühlter Stärke wächst. Dass die AfD in Brandenburg laut Infratest dimap auf 32 Prozent käme, bedeutet eben nicht, dass sie regieren würde. Es bedeutet nur, dass ihre Inszenierung verfängt. Dass Angst, Ärger, Abgrenzung als politisches Kapital funktionieren. Und dass der demokratische Reflex, sich dieser Täuschung entgegenzustellen, erschreckend schwach geworden ist.

Was bleibt, ist ein erschütterndes Bild: eine Politikerin, die mit grafischen Halbwahrheiten um sich wirft und gleichzeitig mit einem Mann posiert, der andere als „Schwachkopf“ beleidigt – als wäre das eine Tugend. Daneben eine Tochter, die nichts von dieser politischen Instrumentalisierung verdient hat. Und ein Land, das zusieht, wie sich Realität in Rhetorik auflöst. Vielleicht ist das der eigentliche Sieg der AfD: nicht in Prozentpunkten, sondern im Gefühl, stärker zu sein, als man wirklich ist. Nicht weil man recht hat – sondern weil man laut ist. Und an jene, die in Brandenburg jetzt wirklich glauben, die AfD werde es schon richten: Ihr habt doch rein gar nichts verstanden. Ein Land, das sich nach einer jahrzehntelangen Teilung gerade erst wieder gefunden hat, wächst nicht von selbst zusammen. Aber es kann sehr schnell wieder auseinanderbrechen – an Ignoranz, an Hass, an kurzsichtigem Trotz, und es wird nicht nur die treffen, die ihr heute beschimpft.

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