Es braucht schon eine eigentümliche Mischung aus Machtbewusstsein und intellektueller Sorglosigkeit, wenn eine amtierende Justizministerin vor laufenden Kameras verkündet, sie werde „die gesamte Antifa auseinandernehmen“. Pam Bondi sagte das, als spräche sie über ein Drogenkartell, nicht über eine gesellschaftliche Strömung. Ihr Ton war kühl, sachlich, fast bürokratisch – das machte ihn nur gefährlicher. Denn wer in dieser Funktion so redet, spricht nicht mehr als politische Kommentatorin, sondern als oberste Hüterin des Rechtsstaats. Und sie tat es, als sei der Rechtsstaat ihr Werkzeug, nicht ihr Auftrag.
Pam Bondi: „Wir werden bei Antifa genauso vorgehen. Wir werden die gesamte Organisation von oben bis unten zerstören. Wir werden sie auseinandernehmen.“
Bondi weiß natürlich, dass Antifa keine Organisation im klassischen Sinn ist. Keine Mitgliederlisten, keine Führung, keine Satzung, die man verbieten könnte. Antifa ist ein Milieu, ein loses Netzwerk, eine Haltung. Wer davon spricht, sie „auseinanderzunehmen“, meint in Wahrheit Menschen – nicht Strukturen. Er meint Überwachung, nicht Aufklärung. Er meint Strafrecht als Ersatz für politisches Verständnis. Und er offenbart damit ein Denken, das in autoritären Systemen beheimatet ist, nicht in liberalen Demokratien. Was Bondi fordert, ist nicht nur juristisch absurd, sondern verfassungsrechtlich gefährlich. Denn wer eine Bewegung zerschlagen will, die gar keine feste Form besitzt, muss zwangsläufig auf Methoden zurückgreifen, die über das Legale hinausgehen: digitale Repression, Überwachung von Kommunikation, Einschränkung der Versammlungsfreiheit, polizeiliche Willkür. Es ist ein Muster, das man aus Geschichtsbüchern kennt – und das stets mit denselben Worten beginnt: Sicherheit, Ordnung, Kontrolle. Doch in Demokratien sind diese Begriffe nicht unendlich dehnbar. Irgendwann reißen sie – und mit ihnen das Vertrauen in den Staat.

Bondis martialische Rhetorik wirkt wie ein Echo jener politischen Alpträume, in denen abweichende Meinungen als Bedrohung gelten. Ihre Drohung verrät weniger Entschlossenheit als ein tief sitzendes Unverständnis für die Idee des Rechts. Sie spricht von „Zerstörung“, wo sie Schutz gewähren sollte, von „Auseinandernehmen“, wo sie Integration fördern müsste. Und sie beweist, dass der autoritäre Reflex längst nicht mehr an den Rändern der Macht sitzt, sondern in ihrem Zentrum angekommen ist. Man kann Bondis Worte als Ausrutscher abtun. Man kann sie aber auch als Ausdruck lesen – für eine Justiz, die zunehmend politisch instrumentalisiert wird, und für eine Regierung, die Verfassungsrechte als Störfaktor betrachtet. Der Glaube, man könne gesellschaftliche Konflikte mit Strafrecht befrieden, ist die bequeme Lüge autoritärer Politik: Sie ersetzt Denken durch Durchgreifen. Und wer das als Stärke verkauft, verwechselt Macht mit Verstand.

Auch Friedrich Merz schimpft über die Antifa, mit einer Leidenschaft, die er für die AfD sorgfältig meidet. Seine Politik ähnelt in vielen Dingen, anders verpackt, der Trump Regierung. Wer seinen konservativen Reden, Interviews und Auftritte der letzten Jahre verfolgt, erkennt das Muster sofort: Gegen die AfD wählt er oft, nicht immer, den Ton der staatsmännischen Distanz – „Wir arbeiten nicht mit ihnen zusammen“ –, über die Antifa spricht er mit dem Furor eines Mannes, der glaubt, er müsse die Republik vor einer unsichtbaren Armee retten. Begriffe wie „Krawall“, „Straßenterror“ oder „linksextreme Gewalt“ fallen dann in dichter Folge. Der Ton ist nicht analytisch, sondern empört; nicht aufklärerisch, sondern moralisierend. Es ist die Sprache eines Politikers, der weiß, dass man am sichersten dort Stärke demonstriert, wo sie keine Stimmen kostet.
Denn die Antifa ist für Merz kein Gegner, sondern ein Requisit. Sie dient ihm als Symbol für das, was seine Wähler verunsichert: Unordnung, Lärm, Widerspruch. Gegenüber der AfD bleibt er vorsichtig, aber nicht höflich. Ihre Wähler sollen zurückkehren, nicht verschreckt werden. Also wird die Linke zum Blitzableiter, die Antifa zum Stellvertreter des Chaos. In ihr lässt sich die Angst vor Kontrollverlust bündeln, ohne die konservative Mitte zu vergraulen. Es ist politische Statik – die kontrollierte Empörung als Mittel der Selbstvergewisserung.

Beide eint die Idee, dass Ordnung nur entsteht, wenn jemand dominiert – ein Denken, das Macht mit Klarheit verwechselt. Auch Merz benutzt Trumps erfolgreichstes Werkzeug: den permanenten Affront als Methode. Jeder Satz, der Empörung provoziert, verschiebt das Koordinatensystem ein Stück weiter nach rechts und zwingt die politische Mitte, sich zu rechtfertigen. So wird der Diskurs zur Bühne, auf der die eigene Härte als Prinzip erscheint.
Merz spricht über „die Antifa“, als handele es sich um eine greifbare Organisation, ein Gegenüber mit Vorstand, Mitgliedsausweis und Postfach. In Wahrheit meint er ein diffuses Spektrum – von linksradikalen Aktivisten bis zu bürgerlichen Antifaschisten, die sich schlicht weigern, mit Neonazis auf eine Stufe gestellt zu werden. Diese Gleichsetzung ist kein Zufall, sondern eine rhetorische Technik, die seit Jahren das Vokabular der Rechten prägt: Aus Kritik wird Chaos, aus Protest Gewalt, aus Antifaschismus eine Bedrohung. Als Merz den Mord an Walter Lübcke, verübt von einem Neonazi, in denselben Atemzug mit der angeblichen Untätigkeit der „Antifa“ stellte, verwandelte er ein Attentat in ein Argument – gegen jene, die eigentlich auf der Seite des Opfers stehen.
Das war kein Ausrutscher, sondern eine Strategie. Sie offenbart das beunruhigende Missverständnis, dass man Extremismus bekämpfen könne, indem man ihn sprachlich verdoppelt. Selbst in der CDU regte sich darüber Unbehagen, auch unter jenen, die Merz sonst stützen. Doch wie so oft in einer Partei, die noch immer nicht weiß, ob sie mehr Angst vor dem rechten Rand oder vor der eigenen Vergangenheit haben soll, blieb die Kritik leise – leiser jedenfalls als der Applaus auf Parteitagen, wenn Merz über „die Antifa“ spricht, als wäre sie ein Schreckgespenst, das man nur laut genug heraufbeschwören muss, um die eigene politische Verantwortung nicht anblicken zu müssen.
Es war einer dieser seltenen Momente, in denen politisches Kalkül und gesellschaftlicher Wandel zufällig dieselbe Richtung einschlugen. Als Angela Merkel im Sommer 2017 in einem Interview beiläufig erklärte, sie wolle in der Frage der „Ehe für alle“ eine Gewissensentscheidung zulassen, war das keine moralische Bekehrung, sondern ein Akt kontrollierten Rückzugs. Sie öffnete die Tür – und trat selbst nicht hindurch. Drei Tage später stimmte der Bundestag, mit den Stimmen von SPD, Grünen, Linken und Teilen der Union, für die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Merkel stimmte dagegen, aus persönlicher Überzeugung, wie sie sagte, aber sie wusste: Der Zug war längst abgefahren. Vielleicht war das ihre eigentliche politische Kunst – den Wandel nicht zu führen, sondern ihn im richtigen Moment nicht mehr zu blockieren. So wurde Deutschland moderner, ohne dass jemand das Gesicht verlor, und die Kanzlerin konnte sagen, sie habe die Demokratie nur atmen lassen.

Wenn man den politischen Sprachgebrauch der Rechten und Konservativen wörtlich nähme, wäre „Antifa“ längst kein politisches Milieu mehr, sondern ein Synonym für Anstand. In dieser Logik gilt schon als Verdächtiger, wer den Finger hebt und sagt, dass Menschenrechte keine Verhandlungsmasse sind. Antifaschist ist, wer Empathie nicht an der Grenze abgibt, wer soziale Ethik nicht mit Schwäche verwechselt. Doch genau diese Haltung wird in der neuen Rhetorik verdreht: Das Mitgefühl wird kriminalisiert, der moralische Impuls pathologisiert. Man nennt es „Antifa“, weil man nicht zugeben will, dass es eigentlich Menschlichkeit ist. Und so wird aus dem ältesten Instinkt – dem Wunsch, Unrecht nicht schweigend hinzunehmen – ein politisches Schimpfwort. Vielleicht ist das die perfideste Wendung des gegenwärtigen Diskurses: dass diejenigen, die sich wie Menschen verhalten, plötzlich als Bedrohung gelten.
Und damit zur Lösung, all dieser Sprachverkennungen:
Das neue Wort für menschlich im Jahr 2025 kann nur eines sein: Antifa
Entdeckt, verfälscht und auf den Sockel gehoben – nicht von ihren Anhängern, sondern von jenen, die Menschlichkeit am liebsten zur Bedrohung erklären würden.
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