Washington steht wieder vor einem Beben – diesmal nicht im Weißen Haus, sondern in den grauen Fluren der Behörde, die Donald Trump mehr als jede andere zu seinem Werkzeug gemacht hat: Immigration and Customs Enforcement. Nach übereinstimmenden Berichten mehrerer Regierungsinsider plant die Administration einen tiefgreifenden Umbau innerhalb von ICE, um die Abschiebungen zu beschleunigen. Betroffen wären leitende Beamte in mehreren regionalen Büros im ganzen Land – ein halbes Dutzend Posten steht zur Disposition. Der Grund ist so simpel wie brutal: Im Weißen Haus herrscht Frust. Trumps Ziel – über eine Million Deportationen im ersten Jahr seiner zweiten Amtszeit – ist in weite Ferne gerückt. Nach Angaben des Heimatschutzministeriums wurden bislang rund 400.000 Menschen abgeschoben, bis Jahresende sollen es 600.000 sein. Doch auch diese Zahl trügt, denn die Regierung rechnet selbst jene mit, die an der Grenze abgewiesen wurden und nie in den Vereinigten Staaten gelebt haben.
In den Sitzungsräumen von ICE herrscht seit Monaten Druck, Angst und Verschleiß. „Die Leute sind ausgelaugt. Es ist eine Kultur der Einschüchterung“, sagt Claire Trickler-McNulty, einst hochrangige ICE-Beamtin unter Präsident Biden. „Es werden ständig Stühle gerückt, aber niemand hat mehr die Kraft, sich den echten Problemen zu stellen.“ Die Abfolge von Entlassungen und Versetzungen hat die Behörde in einen Zustand permanenter Nervosität versetzt – und genau das scheint nun Methode zu haben. Im Kern geht es um Geschwindigkeit. Trumps Berater Stephen Miller, der das Projekt der Massenabschiebungen von Beginn an dirigiert, hatte sich bereits im Frühjahr mit den Führungskräften von ICE getroffen. Wenige Tage später trat er bei Fox News auf und formulierte öffentlich ein Ziel: 3.000 Festnahmen pro Tag. Kurz darauf schnellten die Zahlen tatsächlich nach oben – auf über 2.000 tägliche Verhaftungen. Doch die Euphorie hielt nicht lange. Seit dem Sommer pendelt sich die Zahl wieder bei rund 1.000 ein, zu wenig für einen Präsidenten, der Erfolge in Zahlen misst.

Das Weiße Haus sieht in ICE schon länger den entscheidenden Motor seiner innenpolitischen Agenda. Trump und seine Sprecherin Abigail Jackson betonen gebetsmühlenartig, die Regierung handle „in lock step“, also wie ein Uhrwerk, um die „illegale Einwanderung zu beenden“. Doch in Wahrheit knirscht es gewaltig in diesem Uhrwerk. Die Deportationsmaschine läuft heiß, aber nicht präzise. Während der Grenzschutz in Texas und Arizona immer größere Razzien in Wohnanlagen, Supermärkten und Parkhäusern durchführt, konzentrieren sich ICE-Teams weiterhin auf gezielte Festnahmen einzelner Personen – eine Strategie, die juristisch sicherer, aber zeitaufwendig ist. Trumps Mannschaft will das ändern: weniger Präzision, mehr Masse. Die Botschaft ist klar – jedes Gesicht zählt, jedes Flugticket, jede Statistik.
Innerhalb der Behörde fürchten viele Beamte, dass die geplante Umbesetzung die fragile Struktur völlig zerreißen könnte. Über zwei Dutzend Regionaldirektorinnen und -direktoren sind für gigantische Gebiete zuständig – etwa den gesamten Westen mit Kalifornien, Nevada und Arizona oder die dicht besiedelten Staaten des Nordostens. Sie koordinieren Haftzentren, Transporte, Gerichtstermine, medizinische Versorgung. Ihre Absetzung könnte monatelange Verwerfungen verursachen, aber das scheint in Washington niemanden zu stören. „Das Heimatschutzministerium bleibt fokussiert auf Ergebnisse und die Entfernung gewalttätiger, krimineller Illegaler“, heißt es in einem kühlen Statement von Sprecherin Tricia McLaughlin. „Zu Personalentscheidungen haben wir nichts anzukündigen.“ Es ist der übliche Satz, den Behörden verwenden, wenn längst alles entschieden ist.

Hinter den Kulissen verschiebt Trump das Machtzentrum von ICE zunehmend in die Grenzregionen. Während die Zahl der Inhaftierten in ICE-Gewahrsam auf über 60.000 gestiegen ist, wurde das Budget der Behörde mit dem neuen Haushalt auf 28 Milliarden Dollar erhöht – ein Rekord. Ziel: mehr Haftplätze, mehr Transporte, mehr Abschiebungen. Die Innenstädte sollen sauberer wirken, die Schlagzeilen patriotischer. Doch das Bild der Effizienz trügt. In Wahrheit häufen sich Klagen über fehlerhafte Datensätze, Verwechslungen und rechtswidrige Inhaftierungen. Selbst konservative Anwälte warnen, dass die rechtlichen Grundlagen für viele der sogenannten „beschleunigten Verfahren“ nicht tragfähig seien. „Wenn Sie eine Million Menschen in einem Jahr deportieren wollen, müssen Sie das Gesetz beugen – oder brechen“, sagt ein ehemaliger ICE-Justizberater, der anonym bleiben will.
Dass Trump bereit ist, beides zu tun, überrascht niemanden mehr. Der Präsident sieht in ICE nicht eine Behörde, sondern eine Bühne – und die Bühne funktioniert nur, solange sie Angst produziert. Die geplante Säuberung in den Reihen der Regionalleiter ist Teil dieser Inszenierung. Loyalität ersetzt Erfahrung, Tempo ersetzt Sorgfalt, Härte ersetzt Recht.
Noch bevor die Pläne offiziell sind, mehren sich die Anzeichen für Nervosität in den Feldbüros. Einige Direktoren sollen bereits von Washington kontaktiert worden sein, andere berichten von ungewöhnlich intensiven Überprüfungen ihrer Einsatzberichte. In E-Mails kursiert der Satz, der inzwischen wie ein Mantra wirkt: “ The President wants more.” Mehr Abschiebungen, mehr Bilder, mehr Kontrolle. Doch die Zahlen, die Trump so stolz präsentiert, sind trügerisch – und die Geschichten dahinter menschlich verheerend. In vielen Städten, von Chicago bis San Diego, leben Familien in ständiger Furcht, dass ein gewöhnlicher Morgen zum Ende ihres Lebens in Amerika wird.
Der Umbau bei ICE zeigt, was aus einem Land wird, wenn Macht sich nicht mehr an Recht bindet, sondern an Stimmung. Eine Behörde, die einst für Rechtmäßigkeit stehen sollte, verwandelt sich in ein Werkzeug politischer Härte. Und während der Präsident von Effizienz spricht, wird im Innern dieser Maschine das Menschliche Stück für Stück ausgeschaltet.
Investigativer Journalismus braucht Mut, Haltung und auch Deine Unterstützung.
Stärken bitte auch Sie unseren journalistischen Kampf gegen Rechtspopulismus und Menschenrechtsverstöße. Wir möchten uns nicht über eine Bezahlschranke finanzieren, damit jeder unsere Recherchen lesen kann – unabhängig von Einkommen oder Herkunft. Vielen Dank!
