Wir haben am Wochenende einen Blick in die Zukunft von MAGA geworfen – und sie trägt nicht mehr den Namen Donald Trump. Was sich bei der Gedenkfeier für Charlie Kirk zeigte, war mehr als Trauerarbeit. Es war Katharsis, Generalprobe und Weihehandlung zugleich. Das alte Trump-Format – Rallye, Punchline, Personenkult – wurde überblendet von etwas Größerem: einer politischen Liturgie. Die Ikone bleibt orange, die Ästhetik bleibt Stadion, doch die Botschaft kippt. Aus „Make America Great Again“ wird „Make America God Again“. Der künftige Anführer? Kein Unternehmer, sondern ein Erlöser. Kein CEO des Staates, sondern ein Heilsbringer für die Nation.

Diese Bewegung hat verstanden, dass Trump zwar Katalysator, aber nie Kerygma war. Er war Priester des Zorns, nicht Prophet der Idee. Jetzt tritt an seine Stelle ein Programm, das im Namen der „christlichen Nation“ Politik, Kultur und Recht neu ordnen will – und das sich selbst per Definition nicht abwählen lässt. Wer gegen diese Ordnung opponiert, widerspricht nicht einem Präsidenten, sondern „der Wahrheit“. Wer widerspricht, steht – so die Logik – gegen Gott. Aus dem Personenkult wird Offenbarungspolitik. Aus dem Wahlplakat wird ein Katechismus.

Man sah es in Gesten, Worten, Bildern: Märtyrer-Narrativ statt Parteitagstape. Kirk als gefallener Soldat im Kulturkrieg; die Bühne als Kanzel; die Menge als Gemeinde. Wo früher die Pointe stand, steht jetzt die Predigt. Wo früher „Lock her up“ rangierte, erklingt „revival“. Das ist strategisch klug. Denn die Frage „Wer folgt Trump?“ wird so elegant umgangen. Die Antwort lautet: Niemand – und alle. Es formiert sich ein Kollegium der irdischen Statthalter. Namen wie J.D. Vance, Mike Johnson, Stephen Miller, die Think-Tank-Architekten der „Regierung per Dekret“ – sie sind nicht der neue Trump. Sie sind Diakone einer Doktrin, die politische Macht als göttlichen Auftrag definiert.

Historischen Aufmarsch des Ku-Klux-Klan in den USA, in den 1920er-Jahren. Solche Bilder sind mehrfach dokumentiert: In dieser Zeit erreichte der Klan seine größte Mitgliederzahl (Schätzungen sprechen von bis zu 4–6 Millionen Mitgliedern). Sie marschierten damals häufig in Städten – nicht nur im Süden, sondern auch im Mittleren Westen und im Nordosten – und trugen Schilder mit Parolen wie „America First“ oder „One God, One Country, One Flag“.
Das Motto „America First“ war tatsächlich in den 1920ern eine zentrale Klan-Parole und wurde auch von anderen nativistischen Bewegungen in den USA benutzt.
Der Trick sitzt tief: Wenn Souveränität nicht länger beim Volk, sondern im „Willen Gottes“ verankert wird, sind Checks & Balances plötzlich Glaubensfragen. Verwaltungsrecht wird Moraltheologie. Die Unabhängigkeit von Gerichten – „Relativismus“. Pressefreiheit – „Sünde der Lüge“. Minderheitenschutz – „Angriff auf die natürliche Ordnung“. Das ist kein zufälliger Drift, das ist ein Design. Die Kulisse der Trauer taugt dabei perfekt als Schutzschild. Wer widerspricht, „instrumentalisiert“ einen Todesfall; wer schweigt, legitimiert die neue Orthodoxie. So wird ein privater Schmerz zur öffentlichen Ordnungsfantasie.

Man darf sich nicht täuschen: Diese Zukunft braucht Trump nicht – aber sie nutzt ihn. Als Ikone, als Relikt, als Türsteher ins Reich der Sakralpolitik. Der Applaus für ihn wird bleiben, doch er ist nicht mehr der Satz, sondern das Satzzeichen. Sein wahres Erbe ist nicht seine zweite Amtszeit, sondern die Normalisierung des Ausnahmezustands: die Idee, dass Politik nicht verhandelt, sondern verkündet wird. Dass Niederlagen „ketzerisch“ sind, Institutionen „feige“, Kompromisse „sündhaft“. Was jetzt kommt, ist die Verkapselung dieser Affekte in Kodizes, Erlasse und Personalpolitik.

MAGA 2.0 denkt in Liturgie, Infrastruktur und Langfristigkeit. Man baut Schulcurricula um, besetzt Behörden wie Sakristeien, schreibt moralische Absoluta in technische Paragrafen. Was früher nur als „Project 2025“ in PDFs zirkulierte, tritt jetzt in Fleisch und Blut – unter Tränen, Fahnenträgern und Chorälen. Man verspricht „Ordnung“ und liefert Ordnungsmacht, man ruft „Freiheit“ und meint Gehorsam, man predigt „Wahrheit“ und verordnet Deutungshoheit. Die Bewegung ist reifer geworden – nicht moderater, sondern methodischer.

Wer dem etwas entgegensetzen will, muss begreifen: Das ist kein Wahlkampf, das ist eine Missionsbewegung. Man schlägt sie nicht mit schärferen Slogans, sondern mit säkularer Selbstaufklärung: Institutionen erklären, Verfahren schützen, Sprache entgiften, Gemeinsinn verteidigen. Den Mythos entromantisieren, ohne den Schmerz zu verhöhnen. Die Trauer respektieren, die Instrumentalisierung benennen. Und vor allem: die liberal-demokratische Erzählung wieder zur Mehrheitskultur machen – nicht als Predigt, sondern als Praxis.

Wir recherchieren seit Monaten tief im MAGA-Umfeld, sprechen mit Insidern und verfolgen die Fäden, die im Schatten gezogen werden. Dabei zeigt sich ein Bild, das bedrückender kaum sein könnte: Die Bewegung zerfällt nicht in Widerstände, sondern in Strömungen, die sich gegenseitig im Wahn überbieten. Wer an der Spitze dieser Dynamik steht, ist klar: J.D. Vance, der sich als Prophet einer „christlichen Nation“ inszeniert und den Bruch mit der Demokratie zur Glaubenspflicht erklärt. Und an seiner Seite liefert der Tech-Milliardär Peter Thiel das Know-how – ein Geflecht aus Datenmacht, Strategiepools und finanzieller Gefügigkeit. Mit Rockbridge entsteht die Verbindung von Kapital und Kultur, die aus dem Ausnahmezustand eine Dauereinrichtung machen will. Es ist die gefährlichste Kombination: ideologischer Fanatismus, gespeist durch technokratische Präzision.

Und während Amerika sich in diese neue Sakralpolitik hineinstürzt, werden die toxischen Muster längst nach Europa exportiert. Die AfD versucht, was Charlie Kirk in den USA vorgemacht hat: eine rechte Jugendkultur aufzubauen, die digitale Räume besetzt und Zorn in Identität verwandelt. Schon jetzt zeigt sich, dass sie stärker wird, je mehr sie ihr ökonomisches Vakuum füllt. Ausgerechnet dort, wo bislang nur Parolen standen, beginnt sie, sich als angebliche Alternative für den ökonomischen Niedergang Deutschlands zu inszenieren. Genau das macht sie brandgefährlich. Die Parallele zu Weimar liegt offen: Eine Demokratie, die ihre soziale Krise nicht löst, wird von denen gekapert, die einfache Lügen als Zukunft verkaufen. Ihre wachsende Macht speist sich dabei nicht nur aus Rhetorik, sondern aus der breiten Unterstützung, die sie in fast allen Bereichen erfährt – von anonymen Geldgebern über internationale Netzwerke bis hin zu digitalen Plattformen und gesellschaftlichen Milieus, die ihre Narrative normalisieren. Diese Rückendeckung macht aus radikalen Minderheiten Bewegungen, die plötzlich mehrheitsfähig wirken. Besonders gefährlich ist dabei, dass diese Unterstützung quer durch alle Schichten geht: vom Arbeiter, der sich im Niedergang verraten fühlt, bis hin zum Konzernchef, der sich von Deregulierung und autoritärer Ordnung Profit verspricht. Genau diese Allianz aus unten und oben macht die Rechte so mächtig – und so schwer zu bremsen.

Europa steht am Kipppunkt. Statt eigene Antworten auf den Zerfall der Globalisierung zu entwickeln, kopiert man die Schattenseiten der USA – und mit ihnen das politische Gift. Was früher Starbucks und Hollywood waren, sind heute Rockbridge-Strategiepapiere und MAGA-Dogmen, die in rechte Netzwerke eingespeist werden. Wer glaubt, das seien ferne amerikanische Experimente, sollte nur auf die AfD blicken: eine Partei, die längst nicht mehr nur im Modus der Provokation lebt, sondern die Infrastruktur des Staates erobern will. Hier zeigt sich die ganze Dimension: Wenn die Verbindung von Vance, Thiel und Rockbridge den Takt vorgibt, werden auch in Europa Parteien groß, die Demokratie nur noch als Übergangsstadium betrachten.

Die Stunde nach Trump ist angebrochen. Sie wird nicht leiser, nur heiliger daherkommen. Die Frage ist nicht mehr, ob ein Mann geht. Die Frage ist, ob eine Republik standhält, wenn Politik sich als Religion verkleidet. Die Antwort wird nicht im Stadion fallen, sondern im mühsamen Alltag der Demokratie – dort, wo Gesetze gemacht, Rechte garantiert und Unterschiede ausgehalten werden. Wenn wir das vergessen, ist der Messias schon da. Nur, dass er nicht kommt, um zu erlösen, sondern um zu regieren.
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Krasser Artikel. Danke für klasse Arbeit die ihr macht. Hoffentlich dankt man euch das auch.
Was unsere „links-von-rechts-Parteien“ einmal versuchen sollten ist die Einigung auf einen „Ehrenkodex“. Richtlinien, die Verantwortung, Moral und Ethik hervorheben, von allen mitgetragen werden können und durchaus feierlich unterzeichnet werden sollten.
Das würde das Gemeinschaftsgefühl der Demokraten unterstützen und wäre von den Nationalisten nicht angreifbar (bis auf das übliche sich lächerlich machen).
Vielleicht appelliert das auch bei dem Einen oder Anderen an ein schon lange vergrabenes Gewissen.
Ich werde einmal die in Frage kommenden Parteien (incl. Union) anschreiben. Mal sehen, ob ich Antworten bekomme.
Was für eine heftige Recherche.
Das Trump nur Platzhalter war, war mir klar.
Aufgrund seines Alters ist immer absehbar gewesen, dass dieser blinde Personenkult nicht ewig anhält/anhalten kann.
Wie praktisch, dass Kirk genau jetzt ermordet wurde.
Jetzt wo der Personenkult Trump noch steht, aber noch genug Zeit ist, den religiösen Wahn zu verbreiten.
Die Verfassung der USA nur noch eine Farce?
Trennung von Religion und Staat? Nicht für Project 2025.
Ich weiß, dass ACLU jetzt ständig gegen die religöse Einflussnahme an öffentlichen Schulen klage und viele Siege erringt.
Auch in Staaten wie Texas.
Man kann nur sagen, wehret den Anfängen.
In den USA ist es leider schon mehr als nur ein Anfang.
Hier in Europa sind die Chancen (noch) besser.
Aber das Zeitfenster schließt sich.