Kristi Noem und ihre Schattenmänner – Wenn aus Luft ein Feindbild wird

VonRainer Hofmann

Mai 31, 2025

Ein Artikel über Angst als Waffe, einen erfundenen Brief und die Propaganda der Macht.

Es beginnt mit einem Brief. Hellblaue Tinte, eine wütende Botschaft, die droht, Donald Trump bei einer seiner Kundgebungen mit einem Gewehr zu erschießen. Absender: angeblich ein „illegaler Einwanderer“. So verkündet es Heimatschutzministerin Kristi Noem – öffentlich, stolz, dramatisch. Sie zeigt das Schreiben, veröffentlicht ein Foto des angeblichen Täters auf X, und das Weiße Haus verbreitet die Nachricht umgehend. Das Feindbild ist gesetzt: Der Migrant als Gefahr, als Terrorist, als Inbegriff des Bösen.

Doch schon wenige Tage später fällt die Geschichte in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Ramon Morales Reyes, der beschuldigte Mann, hat laut Ermittlern weder die nötige Sprachkenntnis noch eine Handschrift, die mit dem Brief übereinstimmt. Die Behörden, die ihn um eine Probe baten, kamen zum Schluss: Die Drohung ist nicht glaubwürdig. Der Brief, so die Erkenntnis, stammt aller Wahrscheinlichkeit nach nicht von ihm. Warum Noem dennoch die große Bühne betrat, warum das DHS eine Pressemitteilung verbreitete, bleibt unbeantwortet. Es bleibt nur die Propaganda.

Erinnerungen werden wach an einen Fall, der ähnlich konstruiert war: Henrry Josue Villatoro Santos, den die Trump-Regierung öffentlichkeitswirksam als „drittgrößten Anführer der MS-13“ brandmarkte – ohne jeden Beweis. Auch hier wurden Geschichten erfunden, Bedrohungen konstruiert, Narrative gebaut. Durch unsere Recherchekonnte der Fall aufgedeckt, öffentlich gemacht und vollständig zerschlagen werden. Mein damaliger Artikel ist hier zu finden:

👉 https://kaizen-blog.org/ein-kleiner-sieg/

Der Mechanismus ist stets derselbe: Es wird nicht ermittelt, es wird inszeniert. Nicht Rechtsstaatlichkeit bestimmt die Logik, sondern politische Verwertbarkeit. Morales Reyes sitzt derzeit in einem Gefängnis in Wisconsin – nicht wegen nachgewiesener Schuld, sondern vermutlich, weil er als Opfer in einem Gewalttat-Prozess aussagen sollte. Seine Anwältin, Kime Abduli, erklärt nüchtern, ihr Mandant habe nie eine Schule besucht, könne nicht schreiben, nicht lesen – weder Spanisch noch Englisch. Dennoch steht sein Name nun im Raum, verknüpft mit einem Mordaufruf, den er nie geschrieben haben kann.

Die Frage, die bleibt: Was, wenn der Staat selbst zur Quelle der Desinformation wird? Wenn Ministerinnen wie Kristi Noem öffentlich mit falschen Behauptungen hantieren, als wären sie politisches Werkzeug? Wenn Medienkanäle des Weißen Hauses unkritisch weiterverbreiten, was offensichtlich nicht überprüft wurde?

Es ist eine Rhetorik, die an dunkle Zeiten erinnert – eine Sprache, die sich an der Grenze zur politischen Verleumdung bewegt, gespeist aus Misstrauen, autoritärer Bildsprache und der bewussten Gleichsetzung von Herkunft mit Gefahr. Was Noem hier betreibt, ist keine Sicherheitspolitik. Es ist ein Theater. Eine Inszenierung für die radikalisierte Öffentlichkeit, die den Mythos vom kriminellen Fremden bereitwillig aufnimmt – selbst wenn es keine Substanz gibt.

Und genau darin liegt die eigentliche Gefahr. Wenn politische Macht beginnt, mit erfundenen Geschichten zu arbeiten, wenn Menschen zu Werkzeugen gemacht werden, um Angst zu säen, wenn Institutionen wie ICE oder DHS zu Propagandainstrumenten verkommen, dann ist der Punkt erreicht, an dem Demokratie nicht mehr nur verteidigt, sondern gerettet werden muss.

Kristi Noem hat keinen Anschlag verhindert. Sie hat einen Menschen beschädigt – vermutlich wider besseres Wissen. Es ist an uns, das zu benennen. Wie schon bei Villatoro Santos. Denn die Wahrheit ist nicht immer laut, aber sie bleibt. Und sie vergisst nicht.

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