Kokain, Krieg und Kulisse – Was hinter Trumps Karibikschlag gegen „Venezuelas Drogenboote“ wirklich steckt

VonRainer Hofmann

September 3, 2025

Die Bilder sind gemacht für die Nachrichten-Primetime: ein Körnchen-Video aus der Vogelperspektive, ein Boot im südlichen Karibikmeer, dann eine Explosion. Präsident Trump verkündet, auf seinen Befehl hin hätten US-Streitkräfte ein Schmugglerboot der venezolanischen Bande Tren de Aragua versenkt – elf Tote. Während vor Venezuelas Küsten mehrere US-Kriegsschiffe kreuzen, triumphiert Washington über einen „kinetischen Schlag“ gegen die Kartelle. Caracas spricht von KI-Fälschung, liefert aber keinen Beleg. Und Amerika fragt: Flutet Venezuela die USA wirklich mit Drogen – oder wird hier Sicherheitspolitik als Theater gespielt? Wer die nüchternen Daten statt die Schlagzeilen liest, sieht ein anderes Bild. Venezuela ist kein nennenswerter Produzent von Kokain. Es ist vor allem Transitland – ein Korridor, gespeist durch die poröse, tausend Kilometer lange Grenze zu Kolumbien, dem weltweit größten Produzenten. Schätzungen der US-Regierung verorteten 2020 rund 200 bis 250 Tonnen Kokain, die jährlich über Venezuela weiterflossen – grob ein Zehntel der Weltmenge. Das ist viel, aber nicht das Epizentrum. Andere Routen bewegen weitaus mehr Ware; 2018 liefen laut US-Daten etwa 1.400 Tonnen über Guatemala. Entscheidend ist zudem die Geografie der Logistik: Der Hauptstrom für Nordamerika geht durch den Pazifik. 2019 wurden rund drei Viertel aller Lieferungen über den Pazifikkorridor registriert, vor allem von Kolumbien und Ecuador aus; die Karibik war die kleinere, wenn auch sichtbare Bühne. Auch beim Fentanyl – dem wahren Killer der US-Opioidkrise – ist Venezuela kaum mehr als ein rhetorischer Blitzableiter. Die synthetische Droge entsteht nahezu vollständig in Mexiko, aus Vorläufersubstanzen, die häufig aus China kommen. Dass Kokain in den USA mit Fentanyl gestreckt wird, ist belegt – doch das Schneiden passiert in Mexiko oder auf US-Boden, nicht in Caracas. Wer also aus einem Schlag gegen ein Boot vor Venezuela einen Schlag gegen die Fentanyl-Epidemie macht, betreibt vor allem symbolische Politik.

Das heißt nicht, Venezuela sei unschuldig. Das Land ist durchsetzt von Schmuggelnetzwerken, begünstigt von schwachen Institutionen und systemischer Korruption. US-Anklagen und geleakte Ermittlungsakten aus Kolumbien zeichnen seit Jahren ein Bild, in dem Sicherheitskräfte Transporte schützen, Mitwisser kassieren und staatliche Strukturen als Schmiermittel des Geschäfts dienen. Die amerikanische Justiz hat Präsident Nicolás Maduro 2020 wegen Verschwörung zum Drogenschmuggel angeklagt – zusammen mit Vertrauten und Militärs, etikettiert unter dem Sammelbegriff Cartel de los Soles. Juristisch bewiesen ist davon wenig; politisch wirksam ist es allemal. Expertinnen und Experten beschreiben das „Kartell“ weniger als klassische Drogenfirma, sondern als Patronagenetz: illegales Gold, fette Staatsverträge, veruntreute Hilfsgelder – Geldströme, die Loyalitäten kaufen und das Regime versorgen. Oder, wie es ein langjähriger Venezuela-Analyst formulierte: Maduro hält die oberen Ränge „satt und still“.

Bringt die Armada vor Venezuelas Küste nun messbaren Effekt? Militärisch wohl kaum. Die Kokainrouten sind diffus, anpassungsfähig, elastisch. Die USA jagen seit Jahrzehnten Milliarden hinter ihnen her – die Lieferkette verlagert sich, sie versiegt nicht. Politisch hingegen liefert der Aufmarsch gleich mehrere Dividenden. Nach innen sendet er Härte, vor allem Richtung Südflorida, wo venezolanische und kubanische Communities jede Form von „Annäherung“ an Caracas verabscheuen – und der jüngste Neustart der Chevron-Förderung sowie Abschiebeflüge nach Caracas als Verrat empfunden wurden. Nach außen kaschiert er Widersprüche: Ein Öl-Deal hier, ein Marineschiff dort – und schon hat man wieder die Pose des unnachgiebigen Sheriffs. Doch je lauter die Pose, desto lauter die juristischen Fragen. Völkerrechtlich bewegt sich der Schlag in rauer See. Außerhalb bewaffneter Konflikte gilt auf Hoher See der Grundsatz der Nichteinmischung. Eingriffe sind eng umrissen: Flaggenstaaten, Piraterie, Notfälle, Hot-Pursuit aus Territorialgewässern – und selbst dann sind zunächst nicht-tödliche Mittel geboten. Den Drohnen- oder Lenkwaffenschlag gegen ein mutmaßliches Schmugglerboot als „Drogenkriegsmaßnahme“ zu rechtfertigen, ist ein Stretch, den zahlreiche Völkerrechtler klar zurückweisen. Auch die UN-Charta kennt die Selbstverteidigung – aber nicht den präventiven Tötungsschlag gegen Kriminelle in internationalen Gewässern, wenn keine unmittelbare Lebensgefahr für Einsatzkräfte besteht. Die Grenze zum „außergerichtlichen, willkürlichen Töten“ ist hier nicht dünn, sie ist sichtbar.

Die USS Sampson, ein Zerstörer der Arleigh-Burke-Klasse, liegt in Panama vor Anker, während die Spannungen mit Venezuela zunehmen. Ausgestattet mit dem Aegis-Kampfsystem, führt sie bis zu 96 Raketen an Bord, darunter Tomahawks und Standard Missiles, verfügt über ein hochmodernes Radarsystem und zwei MH-60R-Seahawk-Hubschrauber.

Verfassungsrechtlich ist es nicht weniger heikel. Der Präsident ist Oberbefehlshaber, aber den Krieg erklärt der Kongress. Seit 2001 dient die AUMF als Gummiparagraph für Operationen gegen mit Al-Qaida verbundene Gruppen – Drogenbanden aus Lateinamerika fallen nicht darunter. Also etikettiert das Weiße Haus die Tren de Aragua kurzerhand als „ausländische Terrororganisation“, verklammert Kartellgewalt mit Terrorrecht und reklamiert damit einen militärischen Spielraum, den das Gesetz so nicht vorsieht. Die War Powers Resolution verlangt Konsultation und Berichtspflichten bei Einsätzen in Feindseligkeiten. Ob und wie das geschehen ist, lässt das Pentagon offen. Rechtsstaatlichkeit auf Zuruf ist keine. Auch die begleitende Deportationspolitik fügt sich ins Bild eines politischen Doppelgriffs. Mit Berufung auf den Alien Enemies Act wollte die Administration zuletzt Venezolaner massenhaft ohne Verfahren ausweisen – eine Bundesberufungsinstanz hat das kassiert, weil kein Kriegszustand vorliegt. Ein bewaffneter Schlag in der Karibik plus eine aggressive Rhetorik über „narco-terroristische“ Feinde erzeugt nun genau den Deutungskorridor, den man für die nächste juristische Runde braucht: ein „offener Konflikt“, in dem das Exekutivrecht wächst, wo das Parlamentsrecht fehlt. Und die Schiffe? Auch sie sind Teil der Inszenierung. Ein Aegis-Kreuzer wie die USS Lake Erie im Karibikraum, dazu Zerstörer wie die USS Gravely und die USS Jason Dunham, eine Docklandung wie die USS Fort Lauderdale – Punktlichter auf einer Karte, die Handlungsfähigkeit signalisieren sollen. Ob diese Präsenz Schmuggler abschreckt, ist fraglich. Sicher ist: Sie erfüllt die Kameraperspektive, die dieses Weiße Haus so liebt.

Die richtige lautet: Wollen die USA die Drogenkrise lösen – oder die Drogenkrise benutzen?

Bleibt die Realität hinter der Kulisse. Ja, Venezuelas Staat ist durchsetzt von kriminellen Netzwerken. Ja, das Regime hat mit Schmugglern paktiert und profitiert. Aber nein, Venezuela ist weder das Fentanyl-Herz der USA noch der alleinige Knotenpunkt des Kokainflusses. Wer Drogenpolitik auf die Geopolitik eines Feindbildes reduziert, bekämpft nicht die Ursachen, sondern die Bilder. Prävention, Behandlung, Finanzverfolgung, Korruptionsbekämpfung und internationale Strafverfahren sind mühsamer als ein Sprengkopf auf See – aber sie sind das, was wirkt. Trumps Schlag mag innenpolitisch lohnen: Er markiert Stärke, verschiebt den Diskurs, übertönt die eigene Widersprüchlichkeit zwischen Öl-Lizenzen und Law-and-Order-Pathos. Außenpolitisch vergrößert er jedoch das Risiko eines gefährlichen Präzedenzfalls – eines Amerikas, das nach Laune exekutiv tötet, ohne Kriegsmandat, ohne klare Rechtsgrundlage, in internationalen Gewässern. Wer internationale Regeln für das Nützliche biegt, sollte wissen, dass andere Mächte es ebenso tun werden – und dass sie künftig auf diesen Tag verweisen. Die Frage, ob Venezuela die USA mit Drogen flutet, ist die falsche. Die richtige lautet: Wollen die USA die Drogenkrise lösen – oder die Drogenkrise benutzen? Der Unterschied entscheidet darüber, ob Politik Menschen rettet oder nur Geschichten schreibt. In der Karibik brannte eine Bootssilhouette auf, in Washington eine Erzählung. Die Zahl der Toten in Amerika wird sich an keiner von beiden messen lassen.

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Ela Gatto
Ela Gatto
3 Monate zuvor

Danke Rainer.
Genau das alles ist mir durch den Kopf gegangen, als ich von der Bombardierung las.

Das Venezuela eine Diktatur ist, darüber sind sich wohl alle einig.

Aber einfach, ohne Provokation, ohne vorherige Drohung oder einen Angriff ein Boot mit Menschen verwenden.
In internationale Gewässern.
Das ist in meinen Augen Bruch des Völkerrechtes.

Es gibt keinen einfügen wirklich validen Beweis für Trumps Äußerungen.
Er behauptet dass es ein Drogenboot war. Maduro sagt es war Keines.

Ein Staat darf nicht, ohne dass es im Krieg mit dem entsprechenden Land steht, einfach in internationale Gewässern Schiffe bombardieren und versenken.

Wollen sie die USA „schützen, sollen sie in ihrer Seemeilenzone agieren.

Und wie immer, Europa und der Westen schweigen.

Sehr gefährlich was da passiert.

Putin, Xi und Kim beobachtet das genau.
Aber auch die Huthi.

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