Jean-Luc Brunel, Epstein – und das perfide Timing des Todes

VonRainer Hofmann

Juli 22, 2025

Wer Jeffrey Epstein verstehen will, muss Jean-Luc Brunel kennen, besser noch, lassen wir Epstein sprechen. Jean-Luc Brunel – das ist der Name, der sich wie ein Schatten über die europäische Seite des Epstein-Komplexes legt. Der französische Modelagent, langjähriger Geschäftspartner und enger Vertrauter von Jeffrey Epstein, wurde am 19. Februar 2022 tot in seiner Zelle in Paris aufgefunden. Offiziell: Suizid durch Erhängen. Es ist ein Satz, der an ein Déjà-vu erinnert – an das Jahr 2019, an die Zelle in New York, an jenen anderen angeblichen Suizid, der weltweit Zweifel aufwarf. Auch Brunel soll sich erhängt haben. Auch Brunel wartete auf seinen Prozess. Auch Brunel war ein Schlüsselzeuge. Die Parallelen sind frappierend. Wie Epstein war Jean-Luc Brunel nicht nur ein mutmaßlicher Sexualstraftäter, sondern Teil eines Netzwerks, das junge Frauen und Mädchen unter dem Deckmantel von Glamour und Modelkarrieren rekrutierte. Wie Epstein war auch Brunel ein Mann mit Kontakten in höchste Kreise – zu Politik, Adel, Medien, Geld. Und wie Epstein hinterließ auch Brunel einen Scherbenhaufen aus Opfern, offenen Fragen und Akten, die nie vor Gericht verhandelt wurden.

Brunel wurde 1946 geboren und gründete 1977 die Modelagentur Karin Models in Paris. Später, mit Geld von Jeffrey Epstein, baute er MC2 Model Management in New York und Miami auf – eine Agentur, die laut mehreren Zeugenaussagen gezielt Minderjährige ins Visier nahm. Brunel war nicht nur Manager. Er war Gastgeber, Vermittler, Teil des Systems. Er stellte Epstein junge Frauen vor, organisierte Reisen, verschleierte Alter, Herkunft und Absichten. In einer Nachricht vom 11. April 2005 – archiviert in Epsteins digitalem Fundus – heißt es:


„Nachricht WICHTIGE NACHRICHT – Für: Jeffrey – Datum: 11.04.2005 – Uhrzeit: 8:08 Uhr abends – Von: Jean-Luc – Telefon: 646 286 7000 – Anruf erhalten: ✅ – Nachricht: Er hat eine Lehrerin für dich, um dir Russisch beizubringen. Sie ist 2 × 8 Jahre alt (also 16 Jahre alt), nicht blond. Der Unterricht ist kostenlos und du kannst heute die erste Stunde haben, wenn du anrufst.“ Wer Jeffrey Epstein verstehen will, muss Jean-Luc Brunel kennen. Besser noch: Man muss Epstein selbst sprechen lassen.

Brunel wurde im Dezember 2020 am Flughafen Charles de Gaulle verhaftet, als er gerade nach Senegal ausreisen wollte. Der Vorwurf: Vergewaltigung Minderjähriger, Menschenhandel, Beihilfe zur sexuellen Ausbeutung. Französische Ermittler hatten Dutzende Hinweise gesammelt, darunter auch Aussagen ehemaliger Models, die über systematischen Missbrauch berichteten. Eine von ihnen, Thysia Huisman aus den Niederlanden, warf Brunel vor, sie im Alter von 18 Jahren betäubt und vergewaltigt zu haben. Sie kämpfte seit Jahren für ein Gerichtsverfahren. Am Tag von Brunels Tod sagte sie der BBC: „Es ist eine riesige Enttäuschung, dass er sich nie vor einem Gericht verantworten musste.“ Der Tod kam mitten im Verfahren – kurz nach einer richterlichen Anhörung, bei der neue Beweise zur Sprache kamen. Laut offiziellen Angaben erhängte sich Brunel in seiner Zelle im Pariser Gefängnis La Santé in der Nacht zum 19. Februar 2022. Es war 1:00 Uhr morgens. Die Überwachungskameras? Angeblich ohne Aufzeichnung. Die Justiz? Schnell in der Erklärung. Die Anwälte? Sprachlos. Oder wie es einer formulierte: „Er war von der Medienjustiz zermalmt.“ Doch Zweifel blieben – und wurden nie ausgeräumt. Mehrere Ermittler, darunter ehemalige Beamte des französischen Innenministeriums, berichteten anonym über Unregelmäßigkeiten im Haftverlauf. Es sei unklar, wie Brunel an das Material gelangt sei, mit dem er sich erhängt haben soll. Sicherheitsvorkehrungen seien mehrfach ausgesetzt gewesen. Dass ein Zeuge von solcher Bedeutung plötzlich stirbt, weckte erneut Verschwörungstheorien – aber auch sehr reale Fragen. In einem Punkt waren sich viele Beobachter einig: Der Tod kam zu früh. Und er kam zu passend.

Virginia Giuffre, eine der Hauptklägerinnen im Epstein-Komplex, die auch gegen Prinz Andrew aussagte, sagte: „Ich bin enttäuscht, dass ich ihm nicht noch im Prozess begegnen konnte. Aber ich bin dankbar, dass ich im vergangenen Jahr ausgesagt habe und er in Haft bleiben musste.“ Brunel galt als einer der wichtigsten Verbindungsmänner Epsteins in Europa. Er kannte die Szene, kannte die Tricks, kannte die Namen. Sein Tod war für viele Opfer nicht nur ein Schock, sondern eine Zäsur. Denn mit ihm starb auch ein Teil der Hoffnung, dass das Netzwerk Epstein vollständig aufgeklärt wird. Ghislaine Maxwell schweigt. Noch. Während das US-Justizministerium laut stellvertretendem Justizminister Todd Blanche angekündigt hat, ein neues Gespräch mit ihr zu führen, bleibt die zentrale Frage: Was weiß Maxwell über Brunel? Was könnte sie über seinen Tod wissen? Oder fürchtet sie, das gleiche Schicksal zu erleiden? Maxwell sitzt in einem Hochsicherheitsgefängnis, hat offiziell nichts mit dem Tod Brunels zu tun – und dennoch ist die symbolische Verbindung unübersehbar. Zwei zentrale Figuren eines internationalen Missbrauchsnetzwerks. Zwei Zellen. Zwei Stricke. Zwei Suizide, an denen viele zweifeln. Und eine Justiz, die ihre Erzählung abgeschlossen hat, bevor der letzte Satz gesprochen wurde. Es bleibt uns, die neuen Akten zu lesen. Die Aussagen der Opfer zu hören, nach Frankreich zu reisen. Die Spuren zu verfolgen. Und die systemische Vertuschung zu benennen. Jean-Luc Brunel war mehr als ein Mitläufer. Er war ein Täter, ein Organisator, ein Strippenzieher im Schattenreich eines kriminellen Netzwerks. Sein Tod ist nicht das Ende. Sondern ein weiterer Beleg dafür, wie tief und unaufgearbeitet der Epstein-Komplex bis heute ist.

Fortsetzung folgt …

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Vanny
Vanny
3 Monate zuvor

Wie geil seid ihr denn?

Thomas Winter
Thomas Winter
3 Monate zuvor

Ein schockierender Einblick in eine schockierende Welt. Tolle Arbeit.

Irene Monreal
Irene Monreal
3 Monate zuvor

Es ist fast unglaublich, was Macht durch Geld und Einschüchterung zusammen mit einem grenzenlosen Ego, bewirken können. Auch, dass sich solche Menschen in mafiösen Strukturen und dem Gefühl der Unbesiegbarkeit zusammenfinden und durch Bedrohung, Gewalt und wieder Geld, Menschen und in diesem Fall auch Kinder, benutzen und vernichten. Es ist das selbe System in diesem Missbrauchskartell, wie bei der Regierungs-Übernahme der USA – Trump und seine „Mannschaft“ bedrohen jeden Abweichler, wie auch diese Kinder mit Sicherheit bedroht wurden „ihr habt mitgemacht (egal ob freiwillig oder nicht) es werden schlimme Dinge geschehen, wenn du redest“. Ich kann mir nur zu gut vorstellen, wieviel Scham ein junges Mädchen empfindet, wenn es von durchtriebenen alten Säcken in die Glamour-Falle gelockt wird und die dann vor nichts, gar nichts zurückschrecken.
Vielen Dank, Rainer Hoffmann und allen, die an dieser grausamen Geschichte arbeiten!

Ela Gatto
Ela Gatto
3 Monate zuvor

Wieder unglaublich gut recherchiert.

Die Parallelen sind frappierend.

Die Mächtigen schließen ihre Reihen um sich zu schützen.

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