Es war ein Satz, so schlicht wie demütig. „Ja, Ma’am“, sagte Gregory Bovino, der bullige Leiter der US-Grenzschutzbehörde Border Patrol im kalifornischen El Centro, jedes Mal, wenn Richterin Sara Ellis eine neue Forderung stellte. „Ja, Ma’am“ – auf diese zwei Wörter schrumpfte an diesem Tag die Macht eines Mannes, der in den vergangenen Wochen Chicago in ein Labor autoritärer Ordnungspolitik verwandelt hatte. Zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte der Vereinigten Staaten hat eine Bundesrichterin einen ranghohen Grenzschutzbeamten dazu verpflichtet, ihr jeden Abend Rede und Antwort zu stehen. Kein Pressetermin, kein Verwaltungsbericht – sondern ein persönliches Treffen um 18 Uhr, täglich, bis auf Weiteres. Ellis will wissen, wie Bovinos Agenten handeln, ob sie sich an Recht und Verfassung halten – und ob sie das verstehen, was seit Wochen in Chicago geschieht: eine Stadt unter Belagerung, geführt von Männern in grünen Uniformen, die meinen, Patriotismus beginne mit Tränengas.

Mehr als 1.800 Menschen wurden seit September festgenommen. Die Aufnahmen, die um die Welt gingen, zeigten Straßenzüge im Nebel chemischer Reizstoffe, Kinder mit tränenden Augen, Reporterinnen mit erhobenen Händen. Die offizielle Erklärung lautete: Einsatz gegen illegale Migration. Doch die Realität war eine andere. Die Einsätze trafen auch Bürgerinnen, Protestierende, Passanten – Menschen, deren einziger Fehler war, zur falschen Zeit auf der Straße zu stehen.

Richterin Ellis’ Geduld war am Dienstag zu Ende. Schon nach wenigen Minuten im Gerichtssaal machte sie deutlich, dass sie sich nicht mit bürokratischen Floskeln abspeisen lassen würde. „Meine Aufgabe ist es nicht, Ihnen zu sagen, dass Sie Gesetze, die der Kongress verabschiedet hat, nicht durchsetzen dürfen“, sagte sie. „Meine Aufgabe ist es lediglich sicherzustellen, dass die Agenten bei der Durchsetzung dieser Gesetze im Einklang mit der Verfassung handeln.“ Dann kam die Anordnung: Tägliche Treffen. Vollständige Berichte. Körperkameras. Und ein unmissverständlicher Tonfall, der den Raum füllte, bevor Bovino überhaupt antworten konnte. „Ja, Ma’am“, sagte er. Und wieder. Und wieder.
Was Ellis veranlasste, zu so drastischen Mitteln zu greifen, waren Bilder aus dem vergangenen Wochenende. Kinder auf dem Weg zu einer Halloween-Parade im Nordwesten der Stadt, Tränen in den Augen, weil eine Rauchgranate in ihre Richtung geflogen war. Anwohnerinnen, die versuchten, die Kleinen zu schützen, während Agenten in grüner Uniform den Bürgersteig abriegelten. „Diese Kinder wurden auf dem Weg zu einer Halloween-Feier mit Tränengas besprüht“, sagte Ellis. „Ihr Gefühl von Sicherheit wurde an diesem Samstag zerstört – und es wird lange dauern, bis das zurückkehrt, wenn überhaupt.“

Damit war der Ton gesetzt. Die Richterin ordnete an, dass Bovino sämtliche Berichte über Gewaltanwendung seit dem 2. September vorzulegen habe. Er versuchte zu erklären, das sei „physisch unmöglich“ – zu viel Material, zu viele Einsätze, zu viele Agenten. Ellis hörte zu, wartete einen Moment, und wiederholte ruhig: „Bis Freitag.“

Juristen nannten den Schritt der Richterin „beispiellos“. Der ehemalige Bundesanwalt Phillip Turner sagte, er habe in fünfzig Jahren Gerichtspraxis nichts Vergleichbares erlebt. „Das ist Kontrolle in Echtzeit – und genau das, was hier nötig war.“ Denn Chicago ist nicht El Paso, und die Border Patrol ist keine Polizei. Die Anwesenheit der Behörde im Inneren des Landes war von Beginn an rechtlich fragwürdig. Doch Trumps Regierung hatte das Konzept der „City Operations“ zu einem neuen Instrument gemacht – koordiniert von Bovino, der bereits die umstrittene Offensive in Los Angeles geleitet hatte. Dort wurden Türen aufgesprengt, Fenster eingeschlagen, Menschen aus Autos gezerrt. Jetzt war dieselbe Handschrift in Chicago zu sehen.

In Little Village, einem überwiegend mexikanischen Viertel, wurde Bovino auf einem Foto festgehalten, wie er selbst Tränengas in eine Menge warf. Ein Bild, das in den Prozessakten liegt – und das Ellis offenbar gut kennt. Sie hat ihm inzwischen untersagt, „bestimmte Räumungstechniken“ gegen friedliche Demonstrierende und Journalistinnen anzuwenden. Alle Agenten müssen künftig Namensschilder tragen und Körperkameras benutzen.
„Ich vermute, dass wir, nachdem nun klar ist, wo wir stehen und was ich erwarte, in der kommenden Woche wohl deutlich weniger Tränengas sehen werden“, sagte Ellis mit trockenem Unterton.
Bovino nickte. „Ja, Ma’am.“
Manche im Saal lächelten. Andere wussten, dass dieser Satz in seiner Kürze eine Zeitenwende markiert. Es war der Moment, in dem ein Beamter, der sich über Wochen unangreifbar fühlte, plötzlich einem Maßstab gegenüberstand, den er nicht kontrollieren konnte: der Verfassung. Und während draußen vor dem Gerichtsgebäude Demonstrierende ihre Schilder hochhielten – „No tear gas on our streets“, „Hands off Chicago“ –, ging drinnen das Protokoll weiter. Die Richterin notierte knapp, was Bovino noch vorlegen muss. Dann schloss sie die Akte. Zum ersten Mal seit Beginn der Offensive steht jemand, der Tränengas befehligt, selbst unter Aufsicht. Nicht durch Kameras, sondern durch das Recht.
Und wieder sagte Bovino leise: „Ja, Ma’am.“
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