Heute ist Kilmar Abrego Garcia frei. Er ist jetzt bei seiner Familie in Maryland.“ – Aber …

VonRainer Hofmann

August 23, 2025

Die Geschichte von Kilmar Abrego Garcia liest sich wie ein dystopischer Roman, doch sie ist bittere Realität und offenbart die erschreckende Erosion rechtsstaatlicher Prinzipien im Herzen der amerikanischen Demokratie. Während die Trump-Administration einen Mann, der seit über einem Jahrzehnt friedlich mit seiner Familie in Maryland lebte, durch ein perfides Netz aus illegaler Deportation, Folter und erpresserischen Drohungen zu zermalmen versucht, schweigt die internationale Gemeinschaft ohrenbetäubend. Es ist ein Schweigen, das uns alle zu Komplizen macht – ein Schweigen, das nur durchbrochen wird von den wenigen investigativen Journalisten, die monatelang gegen Windmühlen kämpfen, nach El Salavdor reisten, während die meisten großen Medienhäuser erst dann aufwachen, wenn die Geschichte bereits in ihren dramatischsten Zügen liegt und sich mit minimalstem Aufwand spektakuläre Schlagzeilen generieren lassen.

Was sich hier abspielt, ist nichts weniger als die vollständige Pervertierung des Asylrechts und der Genfer Flüchtlingskonvention. Ein Mann, dem 2019 ein US-Immigrationsrichter explizit bescheinigte, dass er in El Salvador Verfolgung und Gewalt durch lokale Gangs zu befürchten hätte – ein richterlicher Schutzstatus, der sakrosankt sein sollte –, wurde durch einen angeblichen „administrativen Fehler“ dennoch in genau dieses Land deportiert. Doch dies war kein Fehler, es war der Beginn einer staatlichen Vendetta, die in ihrer Brutalität und Rechtsverachtung ihresgleichen sucht. Die Tatsache, dass Abrego in El Salvadors berüchtigtem Anti-Terror-Gefängnis CECOT inhaftiert wurde, wo er nach eigenen Angaben „schwere Schläge“, Schlafentzug, Unterernährung und andere Formen der Folter erlitt, macht aus diesem „administrativen Fehler“ ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Berichte anderer Insassen, die kürzlich in einem Gefangenenaustausch zwischen El Salvador und Venezuela freikamen, bestätigen diese Hölle auf Erden – und dennoch bleibt der internationale Aufschrei aus.

Die juristische Farce erreicht ihren Höhepunkt in der aktuellen Erpressungstaktik der Trump-Administration: Nachdem ein Bundesrichter die Regierung zwang, Abrego zurück in die USA zu holen – was monatelang ignoriert wurde, bis man hastig Schmuggel-Anklagen konstruierte, um einen Vorwand zu schaffen –, steht er nun vor einer unmöglichen Wahl. Entweder er bekennt sich schuldig zu Verbrechen, die er vehement bestreitet, und wird nach Costa Rica deportiert, wo er in relativer Sicherheit leben könnte, oder er beharrt auf seiner Unschuld und wird nach Uganda verschickt, einem Land, zu dem er keinerlei Verbindung hat und wo seine Sicherheit und Freiheit akut bedroht wären. Diese Drohung mit Uganda – einem Land, das gerade erst ein Abkommen zur Aufnahme von Drittstaatsangehörigen unterzeichnet hat, explizit aber keine Kriminellen akzeptieren will, womit die Regierung ihre eigene Darstellung von Abrego als gefährlichem MS-13-Mitglied ad absurdum führt – ist nichts anderes als staatliche Erpressung in Reinform.

Die rechtlichen Implikationen dieses Falls sind katastrophal und reichen weit über die individuelle Tragödie hinaus. Hier wird das fundamentale Prinzip des Non-Refoulement, der Nichtzurückweisung, das den Kern des internationalen Flüchtlingsschutzes bildet, mit Füßen getreten. Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention verbietet explizit die Abschiebung oder Zurückweisung von Flüchtlingen in Gebiete, in denen ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht wären. Die USA, als Unterzeichnerstaat dieser Konvention, brechen hier nicht nur nationales, sondern auch internationales Recht. Die Drohung, Abrego nach Uganda zu deportieren – ein Land, mit dem er keinerlei kulturelle, sprachliche oder familiäre Verbindungen hat –, stellt eine besonders perfide Form der Zwangsmigration dar, die an die dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte erinnert.

Die Rolle von Heimatschutzministerin Kristi Noem in diesem Skandal verdient besondere Beachtung. Ihre Aussage über „aktivistische liberale Richter“ unmittelbar nach Abregos Freilassung offenbart eine erschreckende Verachtung für die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz. Wenn eine Heimatschutzministerin öffentlich erklärt, sie werde „nicht aufhören zu kämpfen, bis dieser salvadorianische Mann Gerechtigkeit erfährt und AUS unserem Land ist“, dann ist das nicht nur eine Vorverurteilung, sondern auch eine Drohung an die Justiz selbst. Es ist die Sprache des Autoritarismus, die Rhetorik derer, die den Rechtsstaat als Hindernis und nicht als Fundament der Demokratie betrachten.

Die Behauptung der Regierung, Abrego sei ein MS-13-Mitglied und „ausländischer Terrorist“, basiert auf Beweisen, die selbst Bundesrichter als „dürftig“ bezeichnet haben. Dennoch wird diese unbewiesene Anschuldigung wie ein Damoklesschwert über ihm geschwenkt, um seine Deportation zu rechtfertigen und öffentliche Unterstützung für sein Schicksal zu untergraben. Es ist die alte Taktik der Entmenschlichung: Man etikettiert jemanden als Gangmitglied oder Terrorist, und plötzlich scheinen alle Rechtsverletzungen gerechtfertigt. Doch selbst wenn diese Anschuldigungen wahr wären – was Abrego vehement bestreitet und wofür es keine überzeugenden Beweise gibt –, würde dies die staatliche Folter, die illegale Deportation und die erpresserischen Taktiken nicht rechtfertigen. Menschenrechte sind nicht verhandelbar, sie gelten universal oder gar nicht.

Der zynische Handel mit Menschenleben, den wir hier beobachten – die Deals mit Uganda und Costa Rica, die wie auf einem Basar ausgehandelt werden –, zeigt, wie weit sich die USA von ihren eigenen Gründungsprinzipien entfernt haben. Die Freiheitsstatue mit ihrer Inschrift „Give me your tired, your poor, your huddled masses yearning to breathe free“ ist zur bitteren Ironie verkommen. Stattdessen erleben wir ein System, das Menschen wie Waren behandelt, das Deals mit autokratischen Regimen schließt, um unerwünschte Personen loszuwerden, und das die fundamentalsten Prinzipien der Menschenwürde mit Füßen tritt.

Die Tatsache, dass Abrego seit über zehn Jahren in den USA lebt, dort eine Familie gegründet hat, seine Kinder dort zur Schule gehen, macht diesen Fall umso tragischer. Hier wird nicht nur ein Individuum zerstört, sondern eine ganze Familie zerrissen. Die psychologischen Traumata, die seine Kinder erleiden, wenn ihr Vater erst verschwindet, dann gefoltert wird und nun möglicherweise für immer aus ihrem Leben gerissen wird, sind unermesslich. Dies ist kollektive Bestrafung in ihrer grausamsten Form. Was wir hier erleben, ist ein Testfall für die Widerstandsfähigkeit demokratischer Institutionen. Wenn es der Exekutive gelingt, richterliche Entscheidungen zu ignorieren, internationale Verträge zu brechen und Menschen durch Folter und Erpressung zu Geständnissen zu zwingen, dann ist der Rechtsstaat tot. Dann leben wir in einem System, in dem Macht Recht bricht, in dem die Schwächsten der Willkür der Mächtigen ausgeliefert sind. Die Anwälte von Abrego haben es in ihrer Eingabe treffend formuliert: „Es ist schwer, sich einen Weg vorzustellen, den die Regierung hätte einschlagen können, der ihre Rachsucht besser betont hätte.“ Die internationale Gemeinschaft, die Vereinten Nationen, die Menschenrechtsorganisationen – sie alle müssten aufschreien. Doch stattdessen herrscht betäubende Stille. Gelegentlich gibt es eine Pressemitteilung, einen besorgten Tweet, aber keine konkreten Maßnahmen, keine Sanktionen, keinen wirklichen Druck. Diese Passivität macht uns alle zu Komplizen. Wenn wir zulassen, dass in einem Land, das sich als Leuchtturm der Demokratie versteht, solche Gräueltaten geschehen, dann haben wir jeden moralischen Anspruch verloren, anderswo Menschenrechtsverletzungen anzuprangern.

Die wenigen von uns, die diese Geschichte von Anfang an verfolgt haben, die jeden Gerichtstermin beobachtet, jedes Dokument analysiert, jede Lüge entlarvt haben, stehen oft allein da. Die Kosten – finanziell, emotional, manchmal auch physisch – sind enorm. Reisen nach El Salvador, um die Bedingungen in CECOT zu recherchieren, sind nicht nur teuer, sondern auch gefährlich. Stundenlange Telefonate mit traumatisierten Zeugen, das Durcharbeiten von Hunderten Seiten juristischer Dokumente, die ständige Konfrontation mit staatlicher Brutalität – all das zehrt an den Kräften. Und während wir diese Arbeit leisten, meist unterbezahlt und unterbesetzt, warten die großen Medienhäuser ab, bis sie die Früchte unserer Arbeit ernten können, bis die Geschichte so weit fortgeschritten ist, dass sie mit minimalem Aufwand maximale Aufmerksamkeit generieren können.

Der Fall Abrego Garcia ist ein Weckruf. Er zeigt, wie fragil unsere demokratischen Institutionen sind, wie schnell Rechtsstaatlichkeit in Willkür umschlagen kann, wie leicht es ist, Menschen zu entmenschlichen und ihre Rechte zu negieren. Wenn wir jetzt nicht handeln, wenn wir diesen eklatanten Rechtsverletzungen nicht mit aller Entschiedenheit entgegentreten, dann wird dieser Fall zum Präzedenzfall. Dann wird aus der Ausnahme die Regel, aus dem Skandal die Normalität.

Die Frist läuft. Montag, den 25. August 2025 soll Abrego sich bei der ICE-Behörde in Baltimore melden. Wir werden auch dort sein. Bis dahin hat er Zeit, sich schuldig zu bekennen zu Verbrechen, die er nicht begangen hat, um der Deportation nach Uganda zu entgehen. Es ist eine Wahl zwischen Pest und Cholera, eine Erpressung, die in einem Rechtsstaat undenkbar sein sollte. Die Frage ist: Wie lange noch schaut die Gesellschaft bei solchen Fällen zu? Wie lange noch werden wir schweigen? Und vor allem: Wann werden wir begreifen, dass das, was Kilmar Abrego Garcia heute widerfährt, morgen jedem von uns widerfahren kann, wenn wir nicht jetzt, in diesem Moment, aufstehen und Nein sagen zu dieser Perversion von Recht und Gerechtigkeit?

Die Geschichte ist noch nicht zu Ende geschrieben. Noch können wir eingreifen, noch können wir dieses Unrecht verhindern. Aber dafür braucht es mehr als ein paar investigative Journalisten, die gegen Windmühlen kämpfen. Es braucht eine internationale Öffentlichkeit, die nicht länger wegschaut, Regierungen, die Druck ausüben, Menschenrechtsorganisationen, die handeln statt nur zu reden. Es braucht uns alle. Denn wenn wir jetzt versagen, wenn wir Kilmar Abrego Garcia seinem Schicksal überlassen, dann haben wir nicht nur einen Menschen im Stich gelassen – dann haben wir die Grundprinzipien verraten, auf denen unsere Zivilisation ruhen sollte: Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit und die unveräußerlichen Rechte jedes Einzelnen. Die Zeit zum Handeln ist jetzt. Morgen könnte es zu spät sein.

Investigativer Journalismus braucht Mut, Haltung und auch Deine Unterstützung.

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Belinda B.
Belinda B.
2 Monate zuvor

Vielen Dank für die Arbeit dir ihr leistet. Ich finde das Großartig.

Helga M.
Helga M.
2 Monate zuvor

Zusätzlicher Kommentar ist überflüssig.😢😢
Ich kann euch leider nicht unterstützen, Rainer, dazu fehlt mir der finanzielle Background. Eure Arbeit ist so so wichtig. Ein dickes Dankeschön dafür. Aber das Lesen ist auch die Seele vereinnahmend. Drum muss ich immer wieder einmal kurz pausieren. Als alter Mensch hat man auch noch andere Baustellen😔. Ich hoffe deiner Frau geht es soweit gut!🍀🍀🍀

Silke Friedel
Silke Friedel
2 Monate zuvor

Wie kann es sein, dass fabrizierte Anschuldigungen Bestand haben können?
Jetzt, wo er frei ist, hat er immer noch kein Recht auf eine faire Verhandlung?
Es muss doch Anwälte geben, die sich darum reißen, ihn zu vertreten.
Es kann ja für diese Vorwürfe keinerlei Beweise geben.

Esther Spori
Esther Spori
2 Monate zuvor

Es ist erschütternd! Mehr kann ich nicht sagen….ausser das noch: Leute wie diese Kristi Noem sind Teufel ….. Sadisten….
Vielen Dank für Ihre Aufklärungsarbeit! Wenn möglich werde ich Ihnen eine Spende zukommen lassen…..
Beste Grüsse

Ela Gatto
Ela Gatto
2 Monate zuvor

Dieser Mann hat so unendlich viel Schlimmes (wie tausenden Andere) durchgemacht.
Nun darf er ein paar wenige Tage, mit Fußfessel, bei seiner Familie bleiben.
Er weiß, dass er wieder nur verlieren kann.

Er war unschuldige, als er verhaftet wurde. Er war unschuldige, als er deportiert wurde.
Der juristische Kampf tobte, die Regierung wollte und will nicht kleinbei geben.
Er wurde diffamiert und es wurden krude Anschuldigungen kreiert.

Jetzt hat man alles beisammen und zeigt ein Bild von Kilmar, dass nicht stimmt.
MAGA glaubt es und jubelt. „That’s what we voted for“.
Derweil hat ein Unschuldiger die Wahl zwischen Pest jnd Cholera.
Gibt er die konstruierten Straftaten zu, kann Trump sagen „wir wussten es von Anfang an. Er hätte in El Dalvador bleiben sollen, wo er hingehört.
Kilmar ist inzwischen auch eine Obsession für Trump geworden.
Gibt Kilmar die nicht während Straftaten nicht zu, wird er nach Uganda deportiert. Man stelle sich das vir. Ein Unschuldiger wird in ein Land deportiert dessen Sprache er nicht spricht, wo er keinerlei Bindungen oder Hilfen hat.

Dieser eine Mann steht für so Viele.
Und die Welt schweigt.
Ist halt „nur der Eine“. Man muscat sich nicht in ein „rechtmäßiges“ Strafverfahren in den USA ein.

Das Fazit? Egal ob Du unschuldig bist. Hat Dich diese Regierung im Visier, hast Du keine Chance.

Wirklich traurig

Danke für diesen erschütternden Bericht Rainer

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