Donald Trump hat am Mittwochabend aus dem Weißen Haus zur Nation gesprochen. Auf dem Papier war es eine Ansprache, in der Wirkung eher eine Fernsehkundgebung: schnell, aggressiv, voller Eigenlob, mit langen Passagen gegen Demokraten und gegen seinen Vorgänger Joe Biden. Trump erzählte, ein Land im Aufschwung und eine Bevölkerung, die endlich entlastet werde. Nur sagen viele Amerikaner längst das Gegenteil, und die überprüfbaren Zahlen widersprechen zentralen Behauptungen.
„Wenn die Welt im nächsten Jahr auf uns blickt, soll sie eine Nation sehen, die ihren Bürgern verpflichtet ist, ihren Arbeitern treu, sicher in ihrer Identität, überzeugt von ihrem Schicksal – und der Neid der ganzen Welt. Wir werden wieder respektiert, so wie wir es einmal waren.“ (Wovon träumt er eigentlich in der Nacht? – Anmerkung der Redaktion)

Trump stellte die wirtschaftliche Lage als Erfolgsgeschichte dar, doch gerade dort rutschte er in Aussagen, die sich nicht halten lassen. Beim Benzinpreis behauptete er einen landesweiten Durchschnitt von 2,50 Dollar pro Gallone und sprach sogar von 1,99 Dollar in einigen Staaten. Wir suchen immer noch. Tatsächlich lag der landesweite Durchschnitt in dieser Woche bei rund 2,90 Dollar, und kein Bundesstaat lag im Schnitt unter 1,99. Auch bei Energie machte er eine Zahl in den Raum, die wie aus einem Wahlkampfbüro der AFD klingt: Haushalte hätten 3.000 Dollar weniger Energiekosten. Belege lieferte er nicht. Gleichzeitig versprach er, innerhalb von zwölf Monaten 1.600 neue Kraftwerke zu eröffnen, eine Ankündigung, die eher nach Verwirrung als nach Plan wirkt. Wer Kraftwerksprojekte kennt, weiß: Genehmigungen, Netzanbindung, Bauzeiten, Fachkräfte, Material, das alles verschwindet nicht, nur weil ein Präsident es behauptet.
„Ich bin stolz, bekannt zu geben, dass mehr als 1.450.000 Angehörige der Streitkräfte eine besondere sogenannte Warrior-Dividende erhalten werden. Wir schicken jedem Soldaten 1.776 Dollar. Und die Schecks sind bereits unterwegs. Das hat vor 30 Minuten noch niemand verstanden.“
Dann kam das Geldgeschenk: Schecks über 1.776 Dollar an mehr als 1,4 Millionen Soldaten noch vor Weihnachten, von ihm „Warrior Dividend“ genannt. Trump deutete an, das werde durch Zolleinnahmen möglich. Nur ist genau das der Punkt, an dem die Show mit dem Staatsrecht kollidiert: Zolleinnahmen sind keine Privatkasse des Präsidenten. Über Ausgaben entscheidet der Kongress. Und selbst wenn man die Einnahmeseite nimmt, bleibt der Widerspruch: Trump spricht davon, Zolleinnahmen gleichzeitig für Schecks, Steuersenkungen, Entlastungen und Ausgleichszahlungen auszugeben, also mehrfach zu verplanen. Genau diese Märchengeschichte fällt in den Details auf, die er in der Rede wegließ. Denn ja, die Zölle bringen Geld. Die US-Zollbehörden meldeten für den Zeitraum vom 20. Januar bis 15. Dezember geschätze Einnahmen von mehr als 200 Milliarden Dollar an Zolleinnahmen, deutlich mehr als zuvor. Nur: Trump verkauft Einnahmen als Wohlstand, während viele Verbraucher die Kehrseite über höhere Preise spüren. Alleine die Farmer haben Verluste von 44 Milliarden verkraften müssen.
Seine großen Zahlen kamen auch bei Investitionen, und auch dort wackelt das Fundament. Trump behauptete „18 Billionen“ an gesicherten Investitionen. Die Einordnung dazu ist simpel: Diese Zahl liegt deutlich über dem, was selbst sein eigenes Umfeld bisher zusammengerechnet hat, enthält Absichtserklärungen, alte Ankündigungen und teils Versprechen aus dem Ausland, die in ihrer Höhe kaum realistisch wirken. Es ist die bekannte Technik: groß sagen, klein belegen, weitergehen, bevor jemand nachfragt.
400, 500, 600 🤣🤣🤣
Beim Arbeitsmarkt passte die Realität ebenfalls nicht zur Inszenierung. Trump sprach so, als sei das Land längst über den Berg. Gleichzeitig zeigen die jüngsten amtlichen Daten: Die Arbeitslosenquote stieg im November auf 4,6 Prozent, in vielen Darstellungen gerundet 4,7, der höchste Stand seit 2021. Und das Jobwachstum war zuletzt dünn. Auch andere Behauptungen aus der Rede kippen bei normaler Plausibilitätsprüfung. Trump prahlte erneut mit angeblichen Medikamentenpreissenkungen um 400, 500 oder 600 Prozent. Eine Senkung um 100 Prozent wäre bereits null Dollar. Alles darüber ist keine Übertreibung mehr, sondern mathematisch Unsinn. Er behauptete außerdem, der Thanksgiving-Truthahn sei 33 Prozent billiger geworden, während belastbare Schätzungen eher von deutlich geringeren Rückgängen sprechen, und Großhandelspreise in Teilen sogar stiegen. Und er redete von einer Rückkehr der Industrie in „Rekordzahlen“, obwohl die Ausgaben für Fabrikbau nach einem Peak zuvor wieder nachgaben.
„Schaut euch MINNESOTA an, wo Somalier die wirtschaftlichen Strukturen des Bundesstaates übernommen haben und Milliarden und Abermilliarden Dollar aus Minnesota und, in der Tat, aus den Vereinigten Staaten von Amerika gestohlen haben. Wir werden dem ein ENDE setzen!“
(Aussagen, die auch in Deutschland zur Realität werden könnten, wenn ganz besonders viele Medien nicht umdenken, denn investigativer Journalismus ist in Deutschland am Boden, weggespart und ausgehungert, hart, aber die Realität)
Den politischen Trick seiner Rede zog er offen durch: Er band Wirtschaft an Migration. Er sagte sinngemäß, Abschiebungen brächten „mehr Wohnungen und mehr Jobs für Amerikaner“. So klingt ein Sündenbockangebot, das ein kompliziertes Problem auf einen Gegner reduziert. In einem Atemzug präsentierte er seine Abschiebepolitik als Kriminalitätsbekämpfung, obwohl unabhängige Auswertungen zeigen, dass über 75 % Menschen ohne Vorstrafen betroffen sind. Und während er „Bezahlbarkeit“ versprach, blieb er konkrete Antworten schuldig, wie Mieten sinken, Gesundheitskosten sinken oder Alltagspreise sinken sollen. Er kündigte lediglich an, nächstes Jahr „sehr aggressive“ Wohnungsreformen vorzustellen, ohne ein einziges Detail zu nennen. Wahrscheinlich weiß er es noch selber nicht.
„Wir hatten Männer, die im Frauensport gespielt haben. Transgender für alle.“
Dazu kam der Kulturkampf, als wäre er ein Pflichtteil jeder Rede. Trump sagte: „Wir hatten Männer, die im Frauensport gespielt haben. Transgender für alle.“ Das ist nicht Analyse, das ist ein Reizsatz. Er setzt auf Empörung, nicht auf Klärung, und er weiß genau, dass diese Sätze die Debatte verschieben, weg von Zahlen, hin zu Reflexen. Und noch etwas fehlte auffällig: Trump erwähnte Iran und Gaza und wiederholte seine Behauptung, er habe seit Amtsantritt acht Kriege beendet. Kaum vorkam dagegen die militärische Eskalation näher an „zu Hause“: Die US-Regierung hat in Einsätzen gegen Boote vor der Küste Lateinamerikas nach öffentlich gewordenen Angaben fast 100 Menschen getötet. Gleichzeitig droht Trump mit einer Seeblockade gegen venezolanische Ölexporte, spricht offen über das Ziel, venezolanisches Rohöl zu bekommen, und stellt Landangriffe in Aussicht. In dieser Rede kam das, wenn überhaupt, nur am Rand vor.
Warum macht er das so? Weil Druck da ist. Die Zustimmung bröckelt, vor allem bei denen, die nicht parteitreu sind. In einer aktuellen Umfrage lehnen 57 Prozent Trumps Wirtschaftskurs ab, nur 36 Prozent stimmen zu. Seine Gesamtzustimmung liegt bei 38 Prozent. Und rund 70 Prozent sagen, das Leben in ihrer Gegend sei nicht bezahlbar. Am Ende blieb das eigentliche Signal der Rede nicht ein Plan, sondern ein Ton: gereizt, gehetzt, auf Angriff. Trump wollte den Eindruck erzeugen, dass alles besser wird, wenn die Menschen nur weiter warten. Gleichzeitig musste er die Realität übertönen, weil sie ihm gerade politisch überrollt. Die Fakten, die sich prüfen lassen, erzählen eine andere Geschichte als seine Träumereien. Und genau deshalb drängt sich nach dieser Rede die Frage auf, die viele im Land längst nicht mehr nur leise stellen: Glaubt er das eigentlich selbst?
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Die Frage ist nicht, ob Trump selber glaubt, was er sagt (ich behaupte, er versteht selber nicht, was er sagt. Trump hat den Verstand eines Vierjährigen, dem jegliches Wissen oder jegliche Kompetenz fehlt).Die Frage ist doch, weshalb immer noch ein beachtlicher Teil der amerikanischen Bevölkerung glaubt, was er sagt. Bereits in seiner ersten Amtszeit machte er gemäss dem «Fact Checker» der Washington Post 30’573 falsche oder irreführende Aussagen. Hat es ihm geschadet? Nein er wurde nochmals gewählt. Und er lügt munter weiter. Die Aufklärung all seiner Lügen ist zwar löblich, doch sie führt letztlich ins Leere. Weder seine Anhänger noch am wenigsten er selber sind zur Einsicht fähig noch willig. Noch auf dem Sterbebett wird Trump der Überzeugung sein, dass er der beste Präsident aller Zeiten gewesen sei. Ganz einfach, weil er hochgradig psychisch krank ist (wäre er nicht Präsident, würde er vermutlich in einer psychiatrischen Anstalt leben – ohne Aussicht auf Heilung).Heinz Rudolf Kunze sang in seinem Lied «Angst» von 1983 «Wie krank muss der sein, der sich heute für normal hält?». Trump und seine Anhänger halten sich alle für komplett normal.