Glauben an der Wand – Texas verpflichtet Schulen zum Aushang der Zehn Gebote

VonRainer Hofmann

Juni 22, 2025

Inmitten wachsender Spannungen zwischen Verfassungsrecht und religiöser Symbolpolitik hat der Bundesstaat Texas ein Gesetz verabschiedet, das in allen öffentlichen Klassenzimmern die Zehn Gebote sichtbar anbringen lässt. Mit dem am 2. Juni beschlossenen und von Gouverneur Greg Abbott unterzeichneten Gesetz macht Texas sich zum größten Bundesstaat der USA, der derart explizit religiöse Inhalte im öffentlichen Bildungssystem verankert – ein Schritt, der bereits jetzt scharfen verfassungsrechtlichen Widerspruch auslöst. Mindestens 41 mal 51 Zentimeter groß soll das Plakat oder der gerahmte Abdruck sein – und exakt in einer festgelegten englischen Version verfasst, die konfessionelle Unterschiede ignoriert. Ob katholisch, jüdisch, evangelikal oder muslimisch: Die Vielfalt religiöser Interpretationen, Sprachtraditionen und kultureller Kontexte spielt laut Gesetz keine Rolle mehr. Es zählt nur die staatlich definierte Version – im Klassenraum, Tag für Tag.

Das Gesetz wurde mit Leichtigkeit durch das republikanisch dominierte Parlament gebracht. Die Mitinitiatorin, die texanische Abgeordnete Candy Noble, sprach von einem „historisch bedeutsamen Bildungsauftrag“. Kritiker hingegen sprechen von einem eklatanten Angriff auf die Trennung von Staat und Kirche. Besonders brisant: Ein nahezu identisches Gesetz in Louisiana wurde am Freitag von einem Bundesberufungsgericht für verfassungswidrig erklärt. Auch Arkansas sieht sich mit einer Klage gegen eine ähnliche Regelung konfrontiert. In einem offenen Brief warnten Dutzende jüdische und christliche Geistliche aus Texas: In einem Bundesstaat mit fast sechs Millionen Schüler:innen und über 9.000 öffentlichen Schulen sei es nicht hinnehmbar, dass religiöse Vielfalt im Klassenzimmer durch eine einzige, staatlich verordnete Deutung ersetzt werde. Die Gebote, so heißt es, gehörten ins Herz des Glaubens – nicht an die Wand eines staatlichen Lehrgebäudes.

Trotzdem geht Texas weiter. Parallel wurde ein weiteres Gesetz verabschiedet, das Schulen erlaubt, eine tägliche freiwillige Gebets- oder Lesepause für religiöse Texte während der Unterrichtszeit anzubieten. Gegner:innen sprechen von einer schleichenden Theokratisierung der öffentlichen Bildung – angetrieben von konservativen Mehrheiten und getragen von Gouverneur Abbott, der bereits 2005 als damaliger Generalstaatsanwalt vor dem Supreme Court erfolgreich für die Beibehaltung eines Zehn-Gebote-Denkmals auf dem Gelände des texanischen Kapitols kämpfte. Da sowohl Louisiana als auch Texas unter die Zuständigkeit des 5. US-Berufungsgerichts fallen, könnte auch hier ein entsprechendes Urteil folgen. Doch Texas’ Justizministerium bereitet sich offenbar bereits auf eine Grundsatzentscheidung vor dem Supreme Court vor. Und so bleibt am Ende eine Frage im Raum: Was geschieht, wenn der Staat religiöse Wahrheit diktiert – in einem Klassenzimmer, das allen gehören sollte? Was bleibt, ist ein Land, in dem das Recht auf Glaubensfreiheit an der Wand hängt.

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