Florida 2025 – Die leise Rückkehr der alten Dunkelheit

VonRainer Hofmann

April 26, 2025

Jetzt ist es amtlich – Kinderarbeit – Kinder, 14 Jahre alt, manche noch jünger, steigen in staubige Lastwagen, bevor die Sonne den Himmel färbt. Vor sechs Uhr morgens, weit vor dem ersten Glockenschlag der Schulen, tragen sie Körbe voller Früchte, die einst von anderen Händen gepflückt wurden. Hände, die nun fort sind – vertrieben, deportiert. Florida, das Land, das sich Freiheit nennt, hat ein neues Gesicht – und es ist das Gesicht der Kinderarbeit. Mit der Verabschiedung von HB 1225 und SB 918 hat die Legislative des Bundesstaates die zivilisatorischen Schutzmauern eingerissen. Arbeitgeber dürfen nun 16- und 17-jährige Jugendliche unbegrenzt und ohne Pausen arbeiten lassen – selbst während der Schulzeit. Sogar 14- und 15-Jährige, die online unterrichtet werden oder ihren Abschluss bereits in Händen halten, sind nicht länger geschützt. Das Gesetz HB 49 öffnet zusätzlich die Schleusen: Arbeitszeiten vor 6 Uhr morgens und nach 23 Uhr sind erlaubt, auch auf Schultagen. Eine Minute öffentlicher Anhörung genügte den Mächtigen, um über das Wohl der Schwächsten zu entscheiden. In diesem neuen Florida gibt es keine Pflicht mehr, Pausen zu gewähren. Keine Pflicht, Schutz vor der brennenden Sonne zu bieten, wenn das Thermometer auf 100 Grad Fahrenheit klettert. Keine Pflicht, die kleinen Körper zu schonen, die sich unter der Last der Ernte beugen. Keine Pflicht, sie vor den Pestiziden zu schützen, die in ihre Haut kriechen, ihre Lungen verbrennen, ihre Zukunft vergiften. Wer bringt diese Kinder auf die Felder? Wer holt sie zurück, wenn die Sonne hoch steht und die Erschöpfung ihre Knie einknicken lässt? Wer hört ihre Stimme, wenn sie keine Pausen bekommen, wenn sie stumm leiden unter Hitze, Hunger und Übergriffen? Die Antwort, so einfach wie entsetzlich: Niemand.

Gouverneur Ron DeSantis, Architekt dieses Umsturzes, nannte das neue Gesetz eine „notwendige Anpassung“. „Was ist falsch daran, von unseren jungen Leuten zu erwarten, dass sie jetzt Teilzeit arbeiten? So war es doch früher auch“, sagte er, bevor er das eigentliche Ziel benannte: DeSantis selbst hat den Gedanken klar vertreten, dass Jugendliche die durch Migranten-Abschiebung entstandenen Lücken füllen sollen. Es war kein Richter, der entschied. Kein unabhängiges Gericht, das fragte, was Recht und Gerechtigkeit gebieten. Es war ein Kalkül – geboren aus politischer Machtgier, getragen von wirtschaftlichem Interesse, zementiert von einer Legislative, die nicht einmal den Anstand hatte, der Öffentlichkeit mehr als sechzig Sekunden Gehör zu schenken. Was verloren ging, ist mehr als eine Gesetzeszeile. Es ist die Vorstellung, dass eine Gesellschaft die Pflicht hat, ihre Kinder zu schützen. Es ist der Glaube, dass Kindheit ein Recht ist, kein Vorrecht. Es ist der Traum, dass Fortschritt bedeuten könnte, nie wieder kleine Körper in die Felder zu schicken, während die Sterne noch am Himmel stehen. Florida kehrt nicht in die Zukunft – Florida kehrt zurück – in die dunklen Kapitel der Geschichte, in denen Arbeit wichtiger war als Leben, in denen Schweigen mehr galt als Schutz. Eine Rückkehr in eine Zeit, in der Kinder keine Kinder mehr sein durften, sondern bloße Räder im Getriebe eines unbarmherzigen Systems. In dieser neuen Ordnung zählt nicht, wer sie sind – Nur, wie lange sie stehen können, bevor sie fallen.

Anmerkung zur Rechtslage: Nach internationalen Maßstäben stellt Floridas neues Kinderarbeitsgesetz, insbesondere HB 1225, SB 918 und HB 49, einen klaren Bruch fundamentaler Menschenrechtsnormen dar. Es verstößt gegen die in Artikel 32 der UN-Kinderrechtskonvention (CRC) sowie in den Artikeln 2 und 3 der ILO-Übereinkommen Nr. 138 (Mindestalter für Beschäftigung) und Nr. 182 (Verbot der schlimmsten Formen von Kinderarbeit) definierten Schutzstandards. Die USA haben jedoch die UN-Kinderrechtskonvention und das ILO-Übereinkommen Nr. 138 nie ratifiziert und sind daher völkerrechtlich nicht gebunden. Obwohl die Vereinigten Staaten das ILO-Übereinkommen Nr. 182 ratifiziert haben, existieren keine wirksamen internationalen Durchsetzungsmechanismen, die eine direkte Sanktionierung ermöglichen. Floridas Gesetz mag innerhalb der US-Rechtsordnung formell legal sein – mit den grundlegenden Prinzipien internationaler Menschenrechte ist es unvereinbar.

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