New York, 26. Juni 2025 – Es war ein politisches Erdbeben, das nicht nur die Straßen New Yorks erschütterte, sondern die gesamte Demokratische Partei in Aufruhr versetzte: Zohran Mamdani, ein 33-jähriger, selbsternannter demokratischer Sozialist, hat am Dienstagabend den ehemaligen Gouverneur Andrew Cuomo in der Vorwahl der Demokraten zur Bürgermeisterwahl geschlagen – ein Sieg, der in seiner Symbolkraft weit über die Grenzen der Stadt hinausstrahlt. Der Sohn der preisgekrönten Filmemacherin Mira Nair und des renommierten Anthropologen Mahmood Mamdani trat im Oktober 2024 noch als weitgehend unbekannter Abgeordneter aus Queens an. Heute gilt er als Favorit für das mächtigste kommunale Amt Amerikas – gegen einen Amtsinhaber, der als Unabhängiger antritt, gegen einen Trump-nahen Republikaner und möglicherweise sogar gegen Cuomo erneut. Sein Sieg ist nicht nur ein Triumph der Basis gegen das politische Establishment, sondern auch ein Brennglas für die tiefen Risse innerhalb der Demokratischen Partei.
Mamdani vereint Widersprüche, die in der heutigen Politik Seltenheitswert haben: Er ist links, aber diszipliniert; lautstark in seiner Haltung, aber offen für Dialog; religiös geprägt, aber säkular im Regierungsstil. Seine Kampagne setzte auf direkte Ansprache der Lebensrealität – mit kostenlosen Bussen, kostenlosen Kinderbetreuungsplätzen, staatlich geführten Supermärkten, Mietpreisstopp und mehr bezahlbarem Wohnraum. Finanziert werden soll all das durch höhere Steuern für Reiche. Dabei war Mamdani nie zimperlich. In einem früheren Post bezeichnete er das NYPD als „rassistisch, queerfeindlich und Bedrohung für die öffentliche Sicherheit“ – eine Aussage, die er im Wahlkampf relativierte, ohne sich gänzlich davon zu distanzieren. Stattdessen schlug er die Gründung einer neuen Sicherheitsbehörde vor, die stärker auf psychologische Betreuung und Prävention setzt. Seine Haltung zur israelischen Offensive im Gazastreifen sorgte ebenfalls für Kontroversen. Mamdani sprach offen von „Genozid“, verteidigte die Parole „globalize the intifada“ als Ausdruck des weltweiten Strebens nach Gleichberechtigung und sagte im „Late Show“-Interview mit Stephen Colbert, dass Israel wie jeder andere Staat existieren dürfe – aber auch internationales Recht einhalten müsse. In einem Land, in dem das Thema Israel schnell zur Nagelprobe politischer Loyalität wird, war das eine kalkulierte Provokation. Dass Mamdani überhaupt in diese Position gelangte, lag nicht zuletzt am tiefen Fall seines Hauptkonkurrenten: Andrew Cuomo, einst Hoffnungsträger der Demokraten, versuchte ein Comeback nach seinem Rücktritt wegen sexueller Belästigungsvorwürfe 2021. Doch die Wähler:innen verziehen ihm nicht. Er gewann kaum über konservative und orthodox-jüdische Stadtteile hinaus Stimmen.

Selbst Republikaner jubelten über Mamdanis Sieg – nicht aus Sympathie, sondern in der Hoffnung, ihn zum nationalen Feindbild stilisieren zu können. Präsident Donald Trump ließ nicht lange auf sich warten: „Ein 100-prozentiger kommunistischer Irrer“, schrieb er auf Truth Social. „Wir hatten schon radikale Linke – aber das hier ist absurd.“ Während Bernie Sanders Mamdani als Zukunft der Partei feierte – „Endlich jemand, der nicht fragt, was Milliardäre wollen, sondern was die Arbeiterklasse braucht“ – warnten andere Demokraten vor einer drohenden Katastrophe. Lawrence Summers, einst Finanzminister unter Barack Obama, schrieb auf X: „Ich bin zutiefst beunruhigt über die Zukunft der Partei – und des Landes.“ Auch das moderat-demokratische Lager blieb auffällig verhalten. Weder Chuck Schumer noch Hakeem Jeffries oder Gouverneurin Kathy Hochul sprachen nach Mamdanis Wahlsieg eine explizite Unterstützung aus. Es war ein Schweigen, das Bände sprach.

Mamdani ist nicht nur der erste muslimische und indisch-amerikanische Kandidat mit realistischen Chancen auf das Bürgermeisteramt – er wäre auch der jüngste Amtsinhaber seit über 100 Jahren. Er steht für eine neue, multiethnische Generation, die sich nicht für ihre Überzeugungen entschuldigt. In Astoria lebt er mit seiner Frau Rama, einer syrisch-amerikanischen Künstlerin. Er war einst unter dem Namen „Young Cardamom“ als Rapper aktiv, widmete seiner Großmutter ein Lied – heute wird genau dieses Video millionenfach geteilt. Sein Wahlkampf war kreativ, volksnah, digital und überraschend effektiv: Er sprang an Neujahr im Anzug ins eiskalte Meer von Coney Island, um seinen geplanten „Mieten-Freeze“ zu bewerben. Er marschierte zu Fuß durch ganz Manhattan. Er sprach auf TikTok in Bangla, Spanisch und Arabisch.

Seine Gegner werfen ihm vor, naiv zu sein. Mamdani kontert: „Ich habe keine Erfahrung mit Korruption, Skandalen und Rücktritt. Und darauf bin ich stolz.“ Die Demokraten blicken nun mit gemischten Gefühlen auf den Herbst. Mamdani gegen Amtsinhaber Eric Adams, der als Unabhängiger antritt. Gegen Curtis Sliwa, den ewig kämpfenden Republikaner. Und vielleicht – gegen Cuomo, erneut. Für viele steht nun mehr auf dem Spiel als das Bürgermeisteramt. „Die Republikaner werden Mamdani als Gesicht der Demokraten aufbauen“, warnte ein Vertreter der Anti-Trump-Gruppe „Republicans Against Trumpism“. „Das schadet den moderaten Kandidaten in Swing-Distrikten und verringert die Chance, das Repräsentantenhaus zurückzuerobern.“ Mamdani selbst sieht das anders: „Was passiert ist, ist kein Linksruck, sondern ein Zurück zur Basis. Die Demokraten haben die arbeitenden Menschen zu lange ignoriert – und sie haben uns ignoriert.“
Am Ende ist Zohran Mamdani nicht nur eine Person, sondern ein Prüfstein. Für die Demokratische Partei, für die Idee von sozialer Gerechtigkeit – und für die Frage, ob ein anderer Weg in der amerikanischen Politik noch möglich ist.