Es war ein Satz mit politischer Sprengkraft – und er fiel nicht in Peking, sondern in Washington: Am Mittwoch kündigte US-Außenminister Marco Rubio an, die Vereinigten Staaten würden beginnen, die Visa chinesischer Studierender zu entziehen – vor allem jener, die in „kritischen Bereichen“ eingeschrieben seien oder eine Verbindung zur Kommunistischen Partei Chinas hätten. Die Maßnahme sei Teil einer umfassenden Strategie unter Präsident Trump, so Rubio, um Amerikas Hochschulen gegen „Einflussnahme durch ausländische Feinde“ zu schützen.
Die Reaktionen auf Rubios Worte lassen nicht lange auf sich warten. In China spricht man von „Diskriminierung und politisierter Schikane“. In den Vereinigten Staaten regt sich Unruhe – auf dem Campus, in den Rektoraten, in den Herzen jener, die längst hier leben, lernen, hoffen.
Eine neue Version des Chinese Exclusion Act?
Für Liqin, einen Studenten an der Johns Hopkins University, war es ein Moment des Innehaltens. Er lebt seit einem Drittel seines Lebens in den USA, hat studiert, sich integriert – und nun? „Das ist eine neue Version des Chinese Exclusion Act“, sagt er, in Anspielung auf das berüchtigte Einwanderungsgesetz von 1882, das Chinesen die Zuwanderung verbot und sie systematisch entrechtete. Zum ersten Mal denkt er daran, das Land zu verlassen.
Und Liqin ist nicht allein. Chinesische Studierende in Boston, Chicago, Los Angeles, Hongkong – überall herrscht Verunsicherung. Viele vermeiden derzeit Reisen in ihre Heimat, aus Angst, bei der Rückkehr kein Visum mehr zu erhalten. Andere überlegen, ihre Zukunft neu zu planen – außerhalb der Vereinigten Staaten.
Die Vereinigten Staaten sind traditionell ein Magnet für internationale Talente – für neugierige, engagierte, hochqualifizierte junge Menschen aus aller Welt. Im Studienjahr 2023/2024 waren rund 277.000 Studierende aus China an US-Hochschulen eingeschrieben. Das entspricht knapp einem Viertel aller internationalen Studierenden. Nur Indien stellt mehr.
Doch dieses Bild beginnt zu bröckeln. Schon Rubios Ankündigung von Anfang Mai, neue Visainterviews für Ausländer generell auszusetzen, sorgte für Unmut. Nun folgt der nächste Schritt – gezielt gegen chinesische Studierende.
Rubio betont, es gehe um nationale Sicherheit, um sensible Forschungsfelder, um den Schutz vor Spionage. Doch viele Experten, darunter PEN America und zahlreiche Universitätsleitungen, warnen: Der pauschale Generalverdacht untergräbt nicht nur die akademische Freiheit – er beschädigt die internationale Glaubwürdigkeit amerikanischer Bildung.
Harvard, DHS und die Eskalation
Hinter der jüngsten Eskalation steht auch ein konkreter Fall: Harvard University. Das Department of Homeland Security unter Ministerin Kristi Noem warf der Universität vor, mit der Kommunistischen Partei Chinas zu kooperieren – über gemeinsame Forschungsprojekte und angeblich sogar durch die Ausbildung paramilitärischer Gruppen. Die Konsequenz: Harvard sollte keine internationalen Studierenden mehr aufnehmen dürfen. Ein Bundesgericht stoppte die Maßnahme – vorerst.
Doch die Tonlage bleibt scharf. Präsident Trump selbst forderte am Mittwoch im Oval Office, Harvard solle den Anteil internationaler Studierender von derzeit über 25 % auf 15 % senken. „Ich möchte sicherstellen, dass die ausländischen Studierenden Menschen sind, die unser Land lieben“, so Trump.
Für Studierende wie Zou Renge, 27, angehende Masterabsolventin für Public Policy an der University of Chicago, bedeutet das: Planänderung. Eigentlich wollte sie nach ihrem Abschluss ein Jahr Pause einlegen, in der humanitären Arbeit tätig sein. Jetzt bleibt sie vorsichtshalber in den USA – solange das noch möglich ist.
Auch Chen, Student an der Purdue University, wartet derzeit in China auf sein Visum – vergeblich. Er fühlt sich betrogen: „Ich hatte auf Toleranz und Freiheit gehofft. Die USA standen für Vielfalt – das hier ist das Gegenteil davon.“
Hongkong als Ausweichziel
Während die USA mit Ausgrenzung reagieren, wirbt Hongkong um die Verunsicherten. Regierungschef John Lee erklärte, man heiße Studierende willkommen, die sich in den USA diskriminiert fühlten. Universitäten wie HKUST oder die Chinese University of Hong Kong kündigten an, Bewerbungsverfahren für Harvard-Studierende zu erleichtern.
Ein postkolonialer Reflex? Ein geopolitischer Gegenschlag? Vielleicht beides. Klar ist: Der einstige Leuchtturm der globalen Bildung beginnt zu flackern – und andere nutzen das Vakuum.
Rubios Ankündigung ist mehr als eine bürokratische Maßnahme. Sie ist ein Symbol – für die politische Richtung, in die sich die Vereinigten Staaten unter Trump bewegen: Isolation, Kontrolle, Misstrauen.
Zhang Qi, Postdoktorand in Peking, sieht darin fast schon einen Gewinn für China: „Wenn kluge Köpfe nicht mehr in die USA gehen, bleiben sie bei uns – und stärken unsere Universitäten.“
Es ist ein Szenario, das niemand leichtfertig herbeireden sollte. Denn eine Welt, in der der Austausch versiegt, ist eine ärmere Welt. Eine misstrauische Welt. Eine verletzliche Welt.