Ein Land im Schussfeld – Jeanine Pirro, Trump und das Ende der Vernunft in Washington

VonRainer Hofmann

August 21, 2025

Es gibt Momente, in denen man sich fragt, ob Washington noch eine Hauptstadt ist oder längst eine schlecht geschriebene Netflix-Serie. Donald Trump hat einmal mehr bewiesen, dass er die Grenzen zwischen Justiz und Entertainment nicht nur verwischt, sondern pulverisiert. Seine neueste Besetzung: Jeanine Pirro, Fox-News-Moderatorin, Ex-Richterin, Lautsprecherin der absurdesten Wahlverschwörungstheorien. Nun ist sie – zumindest interimistisch – oberste Bundesanwältin in Washington, D.C. Pirro, berühmt für Schrei-Monologe im Fernsehen, in denen Fakten und Fantasie miteinander verschmolzen wie Whiskey und Wasser, darf nun also über das Schicksal von Angeklagten in der Hauptstadt entscheiden. Eine Frau, die einst versuchte, Hillary Clinton aus dem Senat zu drängen, die ihren Ehemann nach dessen Steuerhinterziehungsprozess in Schutz nahm und die bei Fox News zuverlässig als Sirene für Trumps Linie diente, wird zur Hüterin von Recht und Ordnung. Washington als Bühne, Pirro als Hauptdarstellerin – das Drehbuch schreibt der Mann, der schon immer Politik als Reality-TV verstand.

Jeanine Pirro -😂😂😂😂😂😂 –
Comedy pur, wenn es nicht so gefährlich wäre. Unglaublich was in Washington in Regierung und Justiz sitzt, Verschwörungstheoretiker geben sich die Hand.
Würde man es nicht erleben, man würde es nicht glauben.

Und tatsächlich liefert Pirro sofort: Ihre erste große Amtshandlung ist ein juristischer Donnerschlag. Sie hat ihre Ankläger angewiesen, keine Felony-Anklagen mehr gegen Menschen zu erheben, die in Washington Schrotflinten oder Gewehre in der Öffentlichkeit mit sich herumtragen. Bisher war genau das ein schweres Verbrechen, mit bis zu fünf Jahren Haft bewehrt. Künftig? Kein Fall mehr für die Bundesstaatsanwaltschaft. Willkommen in der neuen Normalität, wo Langwaffen so alltäglich sind wie Coffee-to-go. Die Begründung klingt nach juristischem Hochamt, ist aber in Wahrheit ein Paragrafen-Slalom: D.C.s pauschales Verbot, Langwaffen in der Öffentlichkeit zu tragen, sei nach den Obersten Gerichtsurteilen District of Columbia v. Heller (2008) und N.Y. State Rifle & Pistol Association v. Bruen (2022) verfassungswidrig. Heller hatte das Handgun-Verbot in den eigenen vier Wänden gekippt, Bruen verlangte, dass Waffengesetze eine historische Tradition aufweisen müssen. Pirro folgert daraus, dass das Blanket-Ban der Hauptstadt schlicht nicht haltbar sei.

Juristen sehen das differenzierter: Heller betraf den privaten Besitz, Bruen das Tragen – aber beide ließen Raum für Einschränkungen. Ob D.C.s Langwaffenregel diesen Spielraum tatsächlich überschreitet, müsste ein Gericht entscheiden. Doch Pirro hat keine Lust auf jahrelange Prozesse. Sie entscheidet mit einem Federstrich – und entwertet ein Gesetz, das noch gilt, als sei es eine abgelaufene Theaterkulisse. Für die Praxis heißt das: Die Polizei kann weiterhin Waffen sicherstellen, sie kann Menschen festnehmen, wenn andere Verstöße vorliegen. Doch die spezifische Felony-Anklage – der schärfste Hebel im Strafrecht – fällt weg. Nur noch Handfeuerwaffen bleiben im Fokus, und die machen ohnehin den Löwenanteil der Kriminalität in D.C. aus. Dabei hatte das Gesetz durchaus Symbolkraft. Man erinnere sich an den „Pizzagate“-Vorfall 2016, als ein Verschwörungsgläubiger mit einem AR-15 in der Pizzeria Comet Ping Pong auftauchte. Oder den Schrotflintenangriff 2019. Beides Fälle, in denen die Langwaffen-Norm ein wichtiges Werkzeug der Strafverfolgung war. Umso erstaunlicher, dass Pirros Entscheidung ausgerechnet in Trumps angeblichem „Crime-Crackdown“ fällt. Offiziell verkündet das Weiße Haus hunderte Festnahmen und sichergestellte Waffen – doch die Statistik erzählt eine andere Geschichte. Laut Reuters ist die Gewaltkriminalität in D.C. zuletzt um sieben Prozent gesunken, die Mordrate liegt auf dem niedrigsten Stand seit drei Jahrzehnten. Es ist wie so oft: Trump beschwört eine Krise herauf, um sie dann mit autoritärem Gestus „zu lösen“.

Die Reaktionen? Ein Kaleidoskop der Absurditäten. Die Washington Post enthüllte das interne Memo, Reuters bestätigte die Linie, Axios und AP folgten, Fox News jubelte. Waffenkontrollgruppen wie GIFFORDS schlagen Alarm: Sie sehen darin ein Sicherheitsrisiko und einen gefährlichen Präzedenzfall gegen die Selbstverwaltung der Hauptstadt. Doch Pirro und Trump winken ab. Für sie ist es ein Sieg der Freiheit, ein Schritt zurück zur „wahren Verfassung“. Das Absurde ist: Während Handfeuerwaffen weiterhin scharf verfolgt werden, dürfen Langwaffen plötzlich ungestraft durch die Straßen getragen werden – als lebendige Reminiszenz an den Wilden Westen. Washington, einst Sinnbild des demokratischen Experiments, verwandelt sich in eine Bühne für „The Walking Rifle“.

Bleibt die Frage: Wohin führt das? Pirros Schritt verschiebt die Grenze zwischen lokalem Waffenrecht und Bundesermessen – ohne ein Gesetz zu ändern, aber mit massiver Wirkung. Ein zentrales Element von D.C.s strengen Regeln existiert nur noch auf dem Papier. Ob das zwingend verfassungsrechtlich geboten oder schlicht politisch motiviert ist, werden Gerichte entscheiden. Fakt ist: Diese Linie ist real, sofort wirksam und breit bestätigt. Sie ist eine Zäsur, die selbst den Schock von Heller übertrifft. Washington gleicht nun einem „Comedy Network“, in dem jede Nachricht eine Pointe ist und jeder Skandal wie eine Sitcom wirkt. Jeanine Pirro, die TV-Richterin, wird zur obersten Anklägerin. Waffen in den Straßen sind kein Verbrechen mehr. Die Realität hat ihre eigene Satire geschrieben – und die nächste Staffel dürfte noch grotesker werden.

FAQ: Was bedeutet Pirros Waffen-Erlass für den Alltag in Washington?

FAQ

Darf ich jetzt offen mit einer Schrotflinte durch die Mall spazieren?
Rein rechtlich: Das D.C.-Gesetz verbietet es nach wie vor. Praktisch: Die Bundesstaatsanwaltschaft erhebt keine Felony-Anklage mehr. Das heißt, die Polizei kann Sie stoppen, die Waffe sicherstellen, möglicherweise kleinere Delikte anklagen – aber die große, harte Strafverfolgung fällt weg. Mit anderen Worten: Das Gesetz existiert, aber niemand zieht die Notbremse.
Was passiert, wenn die Polizei mich anhält?
Die Metropolitan Police Department (MPD) darf Sie weiter kontrollieren. Beamte können Ihre Waffe konfiszieren, Sie wegen Ordnungswidrigkeiten oder anderer Delikte belangen. Doch die Bundesstaatsanwaltschaft wird keine Felony-Anklage für das bloße Mitführen von Gewehr oder Schrotflinte anstreben. Es bleibt ein absurdes Zwischending: verboten, aber folgenlos.
Gilt die neue Linie auch für Nicht-D.C.-Bewohner?
Ja. Washington ist Bundesdistrikt. Wer hier mit Langwaffe angetroffen wird, profitiert gleichermaßen von Pirros Erlass. Ein Tourist aus Texas mit Shotgun auf der Schulter wäre damit juristisch kaum anders gestellt als ein Einheimischer. Willkommen im föderalen Karneval.
Was ist mit Pistolen und Revolvern?
Keine Änderung. Handguns bleiben das Hauptziel der Strafverfolgung. Wer ohne Lizenz mit einer Pistole erwischt wird, landet weiterhin mit Felony-Anklage vor Gericht. Washington bleibt also streng – aber nur, wenn Sie die falsche Art von Waffe tragen.
Kann ich einfach ein AR-15 kaufen und durch die Straßen tragen?
D.C. hat nach wie vor Registrierungs- und Besitzregeln. Der Kauf ist reguliert, der Besitz erfordert Genehmigungen. Doch wenn Sie eine Langwaffe besitzen und damit öffentlich auftreten, greift Pirros Anweisung: keine Felony-Anklage. Die Polizei kann Sie belästigen, aber der Staatsanwalt zuckt mit den Schultern.
Heißt das, D.C.s Waffenrecht ist tot?
Noch nicht. Formal bleibt das Gesetz bestehen, theoretisch könnte die Stadt es verteidigen. Doch solange die U.S. Attorney’s Office sich weigert, das Gesetz zu vollstrecken, ist es entkernt. Washington hat eine der strengsten Waffengesetzgebungen der USA – auf dem Papier. In der Praxis: ein Kartenhaus im Sturm.
Wie gefährlich ist das wirklich?
Handfeuerwaffen bleiben das weitaus größere Problem: Sie sind in D.C. für den Großteil der Gewaltverbrechen verantwortlich. Doch die Freigabe von Langwaffen in der Öffentlichkeit sendet ein Signal: Die Hauptstadt akzeptiert plötzlich das Bild bewaffneter Bürger im Alltagsraum. Wer glaubt, das sei harmlos, sollte sich die „Pizzagate“-Episode von 2016 ins Gedächtnis rufen.

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Ela Gatto
Ela Gatto
2 Monate zuvor

Ein weiterer Schritt.

Eine Loyalistin im Amt, die außer Verschwörungswahn und Trumplinie nichts kann.

Die Nationalgarde gegen die geringer Kriminalität.
Das abreißen von Obdachlosen-Zelten, weil ja solch Gefahr von ihnen ausgeht.
Aber im gleichen Atemzug das Tragen von Langwaffen nicht mehr unter Anklage stellen.

Die Proud Boys, Oath Keeper etc wird es freuen.

Trumps weiterer Schritt in Richtung „Putsch“.
Seind Getreuen können sich quasi ungestört einfinden.
Und im entscheidenden Moment die Waffe nutzen.

Ein „Versagen“ wie am 6. Januar steht für Trump nicht nochmal zur Debatte.
Es wird alles Schritt für Schritt dafür vorbereitet.

Als demokratisches Mitglied des Reprãsentantenhauses oder des Senates hätte ich ein sehr mulmiges Gefühl.

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