Ein Königreich aus Code

VonRainer Hofmann

Oktober 25, 2025

Das Dark Enlightenment unterwandert seit Langem die amerikanische Demokratie. Es begann langsam, still, ohne großes Aufsehen, nicht mit Uniformen oder Marschmusik. Es begann mit einem Blog. Mit einem Mann, der sich „Mencius Moldbug“ nennt, obwohl er Curtis Yarvin heißt. Und es beginnt mit einer Idee: Dass Demokratie ein Irrtum war. Die Bewegung, die daraus entstand – das sogenannte Dark Enlightenment –, trägt ihren Widerspruch im Namen: Aufklärung, aber dunkel. Fortschritt, aber rückwärtsgewandt. Technik, aber ohne Moral. Und sie hat inzwischen mehr Macht, als man ihr je zutraute.

Was Yarvin entwarf, war keine Partei, kein Manifest mit Marschbefehlen. Es war ein Denkgebäude. Kalt, präzise, zynisch. Ein Modellstaat auf dem Reißbrett. Die Grundannahme: Menschen brauchen keine Freiheit. Sie brauchen Führung. Hierarchie. Gehorsam. „Menschen passen in Dominanz-Unterwerfungssysteme“, schrieb Yarvin 2008, als wäre der Mensch ein Stück Software. Demokratie, so seine Überzeugung, sei eine sentimentale Fiktion – nützlich für Werbung, aber untauglich für Macht.

Die Ideologie wirkt wie ein Gemisch aus Silicon-Valley-Zynismus, faschistischer Ästhetik und feudaler Machtfantasie. Sie will keinen Diskurs. Sie will Kontrolle. Und sie hat längst eine Heimat gefunden – nicht am Rand, sondern im Zentrum der amerikanischen Macht.

Der digitale Feudalismus

Curtis Yarvin, ein konservativer Blogger und ehemaliger Softwareingenieur, veröffentlichte seine ersten Thesen 2007 unter dem Pseudonym Mencius Moldbug. Heute führt er einen Substack mit über 49.000 Abonnenten. Er fordert nichts weniger als die Transformation der US-Demokratie in eine moderne Monarchie – geführt von einem CEO-artigen Autokraten. Die Institutionen der Gegenwart – Universitäten, Medien, NGOs – bezeichnet er als „Kathedrale“, die es zu zerstören gelte.

Was früher als Randerscheinung galt, ist längst einflussreiche Ideologie. Yarvin wird von Tech-Eliten wie Peter Thiel, Marc Andreessen und inoffiziell auch Elon Musk gelesen – und in Teilen umgesetzt. Vizepräsident J.D. Vance, Protegé Thiels, zitierte ihn mehrfach. Michael Anton, künftiger Chefstratege im Außenministerium unter Marco Rubio, nennt Yarvin einen wichtigen Gesprächspartner. Und Trump selbst postete im Februar 2025 ein Bild von sich mit Krone: „Long live the King.“

Bis Mitte 2025 hatten laut einer Analyse bereits mindestens 148.000 Bundesangestellte ihren Dienst quittiert – freiwillig oder unfreiwillig. Die Zahl verdeutlicht das Ausmaß des personellen Aderlasses unter der zweiten Trump-Regierung, die zahlreiche Behörden verkleinert, zusammengelegt oder politisch umgebaut hat. Hinter den nüchternen Statistiken steht ein tiefer Strukturwandel: jahrzehntelang gewachsene Verwaltungsapparate werden demontiert, Fachwissen geht verloren, und ganze Abteilungen arbeiten seither mit provisorischen Teams. Universitäten und Medien stehen unter Druck.

Elon Musks Einfluss über Starlink bleibt ein außergewöhnliches Beispiel privat konzentrierter Macht im 21. Jahrhundert. Das Satellitennetz, das mittlerweile zehntausende Verbindungen in entlegene Regionen der Erde ermöglicht, ist für viele Staaten zu einem unverzichtbaren Kommunikationsinstrument geworden – und zugleich zu einem sicherheitspolitischen Risiko. Denn über Starlink kontrolliert Musk in Teilen eine Infrastruktur, die längst zu den kritischen Bereichen globaler Informations- und Verteidigungspolitik gehört. Mehrere Länder – von der Ukraine über Brasilien bis Italien – nutzen oder nutzten das System, oder stehen in Verhandlungen darüber, häufig ohne klare rechtliche Kontrolle oder staatliche Datenhoheit. Zwar versuchen Regierungen inzwischen, Musk vertraglich zu zügeln, etwa durch nationale Vorgaben zur Datenkontrolle oder durch Einschränkungen bei militärischen Anwendungen. Doch das Grundproblem bleibt bestehen: Eine nicht gewählte Einzelperson verfügt über direkten Zugriff auf Kommunikationskanäle, von denen in Krisenzeiten ganze Regionen abhängen. In dieser Gemengelage wird Musks Macht zu einem politischen Faktor – nicht durch Wahlen, sondern durch Technik.

Yarvin war prominenter Gast auf Trumps „Krönungsball“, und obwohl er gegenüber der New York Times einräumte, seine Beziehung zu Vance werde „übertrieben dargestellt“, ist klar: Seine Ideen leben in dieser Regierung. In einem Podcast mit Jack Murphy sagte Vance 2021: „Trump sollte jeden einzelnen mittleren Bürokraten feuern.“ Der Einfluss Yarvins auf die Regierung ist unbestreitbar. In Interviews mit der New York Times sagte er, Demokratie sei „nicht böse, nur schwach“ – und deshalb abzuschaffen. Für Vance, der ihn 2021 in einem Podcast lobte, ist klar: „Wenn der Zusammenbruch kommt, bauen wir das Land neu auf – besser.“

Der Techno-Staat

Yarvins Ideologie gleicht einem stillen Staatsstreich. Sein Plan heißt RAGE – Retire All Government Employees. Gerichte, die dagegen urteilen, sollen ignoriert werden. Universitäten und Medien: schließen. Der Staat: privatisieren. Die Gewaltenteilung: abschaffen. Stattdessen: ein CEO-Präsident, der in einem „Full Power Start“ regiert. Kein Umbau. Ein Reset.

Michael Anton nennt es „Caesarismus“ – autoritäre Ein-Mann-Herrschaft. In seinem Buch „The Stakes“ beschreibt er das Ende der Selbstregierung. In Podcasts diskutiert er mit Yarvin, wie ein „amerikanischer Cäsar“ durch Wahlen an die Macht kommt – um dann die Demokratie von innen zu beenden. Die militärische Durchsetzung dieser Ordnung sei „ein notwendiger Schritt“.

Der stille Umsturz

Yarvins Konzept ähnelt der Strategie eines autoritären Autors aus dem Silicon Valley. Die App, so Yarvin, würde der Autokrat seinen Anhängern geben – um Proteste im Stil der „Sons of Liberty“ zu koordinieren. Ein digitaler Mob, gesteuert per Push-Nachricht. Kein Militär nötig, nur Netzwerke.

Thiel finanziert die Kandidaten. Yarvin liefert die Ideologie. Musk kontrolliert die Infrastruktur. Die Demokratie stirbt nicht im Chaos. Sie wird in Prozesse überführt, in Apps, in Kündigungen. Schritt für Schritt, immer effizienter.

Der neue Leviathan

Im Zentrum steht der Gedanke: Demokratie ist nicht mehr effizient. Sie ist ein Störfaktor. Was zählt, ist Geschwindigkeit. Kontrolle. Ergebnisse. Die Regierung als Start-up. Der Bürger als Nutzer. Der Präsident als Produktmanager. Nick Land, britischer Philosoph und Vordenker des Dark Enlightenment, formulierte es 1994 radikal: „Nothing human makes it out of the near-future.“ („Nichts Menschliches wird die nahe Zukunft überstehen.“)

Es ist technokratischer Nihilismus – faschistische Struktur mit digitaler Ästhetik. Cyberautokratie. Ein System ohne Volk. Was sie planen, ist keine Regierung. Es ist ein Konzern mit Exekutivgewalt. Eine Maschine. Und sie läuft bereits.

Der gefährliche Zirkel

Während die meisten Politiker noch über Steuerreform und Sicherheit diskutieren, hat sich ein Zirkel aus Ideologen, Milliardären und Strategen längst zusammengeschlossen: Yarvin, Thiel, Musk, Vance, Anton. Ihre Ideen wandern aus Podcasts in Positionspapiere, aus Blogs in Regierungserlasse. Die Claremont Institute, ein rechter Think-Tank, gilt als Nervenzentrum dieser Bewegung. Anton ist dort Senior Fellow, seine Bücher kreisen um die Idee des „Red Caesar“ – eines autoritären Führers, legitimiert durch Zusammenbruch und Notstand. Die Idee: Wenn die Republik nicht mehr funktioniert, braucht sie einen Alleinherrscher.

Trump scheint bereit. In Reden fordert er „reale, harte Maßnahmen“ gegen Kriminalität – notfalls mit „einem sehr rauen Tag“ voller Polizeigewalt. Gegen Richter. Gegen Medien. Gegen Gegner. Der neue Faschismus trägt keine Uniform. Er trägt Hoodie. Und Code. Was bleibt, ist eine Warnung. Dass Demokratie nicht nur mit Panzern zerbrechen kann – sondern mit Algorithmen, Spenden und Netzwerken. Und dass, wenn wir nicht aufpassen, der nächste Cäsar schon programmiert ist.

Fortsetzung folgt …

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