McAllen, Texas – Kinder, die von Erwachsenen zur Seite gestoßen werden, um an Trinkwasser zu kommen. Ein Kleinkind mit Durchfall, das tagelang nur mit Leitungswasser versorgt wurde. Ein Junge mit geschwollenen Füßen, dem eine medizinische Untersuchung verweigert wird. Die Szenen, die sich in den Familienhaftzentren von Texas abspielen, sind verstörend – und sie stehen nun im Zentrum einer Klage, die Menschenrechtsorganisationen gegen die Regierung von Präsident Donald Trump eingereicht haben. Der Vorwurf: systematische Missachtung des sogenannten Flores-Vergleichs, eines Schutzabkommens aus den 1990er Jahren, das die Haftbedingungen für minderjährige Migrantinnen und Migranten regelt. Die Berichte der betroffenen Familien sind Teil eines Antrags, den unter anderem das National Center for Youth Law, das Center for Human Rights and Constitutional Law, RAICES und Children’s Rights am Freitagabend bei einem Bundesgericht in Kalifornien eingereicht haben. Der Hintergrund: Die Trump-Regierung will den Flores-Vergleich aufkündigen, um künftig Familien auf unbestimmte Zeit inhaftieren zu können – gedeckt durch ein neues Gesetzespaket mit dem irreführenden Namen „One Big Beautiful Bill Act“, das zugleich Steuersenkungen und Ausgabenkürzungen beinhaltet, aber auch 45 Milliarden Dollar für den Ausbau von Abschiebehaft vorsieht.
Was sich aktuell in den Einrichtungen von Dilley und Karnes abspielt – beides wiedereröffnete Familienzentren in Texas –, war lange nicht öffentlich bekannt. Doch der Zugang zu diesen Einrichtungen ist überhaupt nur dank des bestehenden Flores-Vergleichs möglich: Er erlaubt unabhängigen Beobachtern, mit Inhaftierten zu sprechen, Zustände zu dokumentieren und Missstände aufzudecken. Ohne ihn, so warnen die Organisationen, wäre jede Kontrolle beendet. Bereits jetzt berichten 40 von 90 befragten Familien über medizinische Beschwerden. Eine Mutter musste ihrem Baby Leitungswasser für die Flaschennahrung geben – das Kind litt danach drei Tage an Durchfall. Eine 16-Jährige schilderte, wie Menschen buchstäblich übereinander fielen, um an Trinkwasser zu gelangen: „Sie stellen einen kleinen Wasserkasten hin – und alle müssen rennen. Ein Erwachsener hat dabei sogar meine kleine Schwester weggeschubst.“ Neben fehlendem Wasser sind es vor allem verweigerte medizinische Untersuchungen, die entsetzen. Ein zwölfjähriger Junge mit einer Blutkrankheit schildert, dass seine Füße so stark anschwollen, dass er kaum noch laufen kann – doch ein Arztbesuch mit weiterführender Behandlung wurde abgelehnt. Ein Kleinkind verlor acht Pfund in einem Monat Haft. Und ein krebskranker Junge verpasste einen lebenswichtigen Arzttermin, weil seine Familie nach einem Gerichtstermin festgenommen wurde – er zeigt inzwischen erste Rückfallsymptome.
Die Lage wird sich verschärfen. Denn die Regierung plant nicht nur mehr Abschiebezentren, sondern auch deren massive Ausweitung: Laut Angaben von Children’s Rights ist das Zentrum in Dilley mit knapp 300 Menschen belegt, obwohl Platz für über 2.400 vorgesehen ist. Nur zwei von fünf Bereichen sind bislang geöffnet – ein Hinweis auf die bevorstehende Masseninhaftierung. Unterdessen verkündete Trumps oberster Immigrationsstratege Stephen Miller, dass künftig täglich rund 3.000 Menschen festgenommen werden sollen – fast fünfmal so viele wie zu Beginn seiner zweiten Amtszeit. Während ICE seine Operationen im Inland ausweitet – auch gegen Menschen, die längst im Land leben und lediglich zu Anhörungen erscheinen –, bereiten sich Konzerne wie GeoGroup auf neue Aufträge vor. In Leavenworth, Kansas, soll ein ehemaliges Gefängnis, einst Heimat von Al Capone und Machine Gun Kelly, zur neuen Haftstätte für Migranten umgebaut werden. Derweil ringen Pädiater wie Dr. Marsha Griffin von der American Academy of Pediatrics darum, überhaupt Zugang zu den Einrichtungen zu erhalten. „Das, was wir derzeit sehen, ist eine unvorstellbare Verletzung von Kinderschutzstandards“, heißt es in einem Statement der Organisation RAICES. Und der Antrag der Kläger bringt es auf den Punkt: „Die Kläger haben sich nicht auf politische Absichtserklärungen eingelassen – sie haben Regelungen verlangt.“ Die nächste Anhörung in dem Verfahren ist für Mitte Juli angesetzt. Bis dahin bleibt vielen Kindern nur eines: warten. Auf Wasser. Auf Hilfe. Auf Menschlichkeit.
