Zorro Ranch, ein abgelegenes Anwesen in der Wüste von New Mexico, gehört zu einem Ort des Schweigens. So zumindest sah es der Staat New Mexico bisher. Ein Hügel, ein Herrenhaus, eine private Landebahn – und ein Name, der seit Jahren wie ein dunkler Nachhall im Raum steht: Jeffrey Epstein. Nun, Jahrzehnte nach seinen Besuchen, nimmt der Bundesstaat endlich einen neuen Anlauf, das Schweigen zu brechen. Und man spürt, wie viel mehr hier auf dem Spiel steht als die Geschichte eines Anwesens.
Andrea Romero, Abgeordnete aus Santa Fe, hat das ausgesprochen, was viele lange nur ahnten: Mehrere Überlebende von Epsteins Missbrauch haben jahrelang Hinweise gegeben, dass auch auf Zorro Ranch Minderjährige misshandelt wurden. Was dort genau geschah, weiß bis heute niemand vollständig. Zu viele Lücken, zu viele blinde Flecken, zu viele Behörden, die damals nicht handelten. „Es gibt keinen vollständigen Bericht darüber, was passiert ist“, sagte Romero vor einem Legislativgremium. Ihr Vorstoß: eine „Wahrheitskommission“, ausgestattet mit 2,5 Millionen Dollar, die endlich klären soll, was Beamte wussten, was vertuscht wurde und wie der Staat verhindern kann, dass sich solches Verbrechen je wiederholt.
Die Recherchen trafen den Nerv. Während in Washington Dokumente zu Epsteins Netzwerk reihenweise verschlungen, enthüllt und instrumentalisiert werden, während sogar König Charles III. seinem Bruder den Titel aberkennt, will New Mexico nicht länger Zuschauer bleiben, sondern selbst Aufklärung betreiben, was seit Jahren mehr als überfällig war. Es wäre ein Schritt hinein in jenes internationale Geflecht aus Ermittlungen, das seit Monaten Politik, Justiz und Öffentlichkeit erschüttert.

Epstein, der 2019 in einer New Yorker Zelle verstarb, hatte Zorro Ranch 1993 gekauft – vom damaligen Gouverneur Bruce King, einem Demokraten. Er errichtete dort ein 2.480-Quadratmeter-Anwesen, das Jahrzehnte lang abgeschirmt lag wie ein privates Königreich. 2023 wurde das Grundstück vom Nachlass verkauft, die Erlöse flossen an Gläubiger. Doch das Gebäude, so sagen viele, sei weniger ein Ort als ein Symbol: für jahrelange Passivität, juristische Rückzugsgefechte und die sichtbare Grenze zwischen Reichtum und Strafverfolgung.
New Mexico hatte schon einmal hingesehen – zumindest flüchtig. 2019 bestätigte das Büro des Generalstaatsanwalts, man habe mögliche Opfer befragt. Und 2023 leitete Generalstaatsanwalt Raúl Torrez eine Untersuchung der Finanzstrukturen ein, die Epstein im Bundesstaat genutzt hatte. Zwei Banken zahlten am Ende 17 Millionen Dollar für Maßnahmen gegen Menschenhandel. Doch die tiefere Frage, die moralische, die strukturelle, blieb unbeantwortet: Welche Behörden versagten? Warum musste ein Mann, der in Florida längst als Sexualstraftäter registriert war, sich in New Mexico nicht eintragen? Wie konnte ein solches Loch im System bestehen bleiben? Die Antwort: Alle.

Im Legislativsaal herrschte nun eine seltene Mischung aus politischer Vorsicht und parteiübergreifender Zustimmung. Republikanerin Andrea Reeb, einst Staatsanwältin in Clovis, formulierte es klar: „Ich glaube, die Menschen in New Mexico haben ein Recht zu erfahren, was auf dieser Ranch passiert ist.“ Und sie betonte, die Idee einer Kommission rieche für sie nicht nach parteipolitischer Inszenierung, sondern nach einem Versuch, Opfern endlich Gerechtigkeit zu verschaffen. Doch nicht alle waren überzeugt. Kollegin Stafani Lord, ebenfalls Republikanerin, stellte die Frage, die im Raum hing: „Warum erst jetzt?“ Sie verwies auf Trumps jüngste Ankündigung, Epstein-Akten freizugeben, und warnte vor politischer Aufladung. Gleichzeitig gab sie zu, dass sie jedes Mal, wenn sie mit dem Motorrad an der Ranch vorbeifahre, Übelkeit verspüre – eine körperliche Erinnerung an das, was an diesem Ort geschehen sein könnte.
Bis tatsächlich Antworten auf dem Tisch liegen, werden mindestens zwei Jahre vergehen. Zunächst muss das Repräsentantenhaus im Januar einem parteiübergreifenden Aufsichtsgremium zustimmen. Erst dann könnte die Wahrheitskommission ihre Arbeit aufnehmen – tiefgehend, unabhängig und ohne Schonung für jene, die zu lange wegsahen. Am Ende steht ein Staat, der sich seinen eigenen Schatten stellt. Ein Landstrich, der lange schwieg. Und eine Gesellschaft, die begreift, dass Orte wie Zorro Ranch nicht einfach verfallen, sondern Spuren hinterlassen – in den Akten, in den Seleen der Überlebenden, in der kollektiven Erinnerung. Und dass der einzige Weg, diesen Schatten zu begegnen, darin besteht, sie endlich beim Namen zu nennen.
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Wenn so etwas schon ungestraft in den „alten USA“ möglich war, reicht meine Phantasie nicht aus, was ist, wenn die USA ihren Wandel zur Diktatur vollzogen haben.
… der druck ist nun zu groß, new mexico kommt nicht mehr daran vorbei, den fall nochmals aufzurollen
Bei euch zeigt es sich wieder, wo der Unterschied zwischen Qualitätsjournalismus und zum Beispiel Medien wie Welt, Nius, Berliner Zeitung oder auch t-online liegt.
ganz lieben dank