Was sich nahe des Riverside Plaza Wohnkomplexes in Minneapolis abspielte, war kein Missverständnis und keine Grauzone. Es war ein dokumentierter Einsatz, der zeigt, wie schnell staatliche Macht in offene Gewalt kippt, wenn sie sich unbeobachtet glaubt. Eine Frau beobachtete einen Einsatz von ICE-Beamten. Friedlich. Unbewaffnet. Sie griff niemanden an, blockierte niemanden, bedrohte niemanden. Die Beamten saßen in ihrem Fahrzeug. Aus dieser Position heraus sprühten sie Pfefferspray auf die Beobachterin. Ohne Vorwarnung.
Damit war es nicht getan. Die Beamten stiegen aus dem Wagen, gingen näher heran und setzten erneut Pfefferspray ein – aus kürzester Distanz. Die Frau drehte sich um, rannte davon, sichtbar in Panik und unter starken Schmerzen. Einer der Beamten folgte ihr von hinten und sprühte weiter, während sie versuchte zu fliehen. Dann geschah etwas, das jede Rechtfertigung endgültig zerstört. Die Beamten stiegen wieder in ihr Fahrzeug, als wollten sie den Ort verlassen. Doch sie hielten erneut an, stiegen wieder aus und setzten das Spray ein drittes Mal ein. So lange, bis die Dose buchstäblich leer war.
Die Betroffene schilderte später die Folgen. Sie verlor ihre Stimme. Sie war rund 30 Minuten lang blind. Das eingesetzte Pfefferspray war so stark, dass sie vollständig orientierungslos wurde. Es ging nicht um Gefahrenabwehr. Es ging nicht um Selbstschutz. Es ging um Durchsetzung. Der Einsatz wirft grundlegende Fragen auf. Warum wird eine friedliche Beobachterin angegriffen. Warum wird Pfefferspray wiederholt eingesetzt, obwohl die Person flieht. Und warum kehren Beamte zurück, um eine bereits verletzte Person ein weiteres Mal zu besprühen.
ICE hat sich bislang nicht öffentlich zu dem Vorfall geäußert. Doch Bilder und Zeugenaussagen lassen wenig Raum für Zweifel. Wer dreimal Pfefferspray einsetzt, bis der Behälter leer ist, handelt nicht aus dem Moment heraus. Er handelt bewusst. Der Ort des Geschehens ist kein abgelegener Einsatzraum, sondern ein bewohntes Viertel in Minneapolis. Menschen sahen zu. Kameras liefen. Und dennoch fühlten sich die Beamten offenbar sicher genug, diesen Einsatz bis zum letzten Sprühstoß durchzuführen. Für das Opfer bleiben körperliche und psychische Folgen. Für die Öffentlichkeit bleibt die Frage, wie viele solcher Einsätze stattfinden, ohne dokumentiert zu werden. Und für einen Rechtsstaat bleibt die Verpflichtung, zu klären, wie ein solcher Einsatz möglich war – und wer dafür Verantwortung trägt.
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