Die unsichtbare Front – Wie Washington Kalifornien mit Strafdrohungen überzieht und der Rechtsstaat auf dem Spiel steht

VonRainer Hofmann

August 21, 2025

Lange haben wir in unseren Recherchen die zunehmenden Spannungen zwischen der Bundesregierung in Washington und dem Bundesstaat Kalifornien nur am Rande dokumentiert, ohne die Eskalation in den Mittelpunkt zu stellen. Zu viel spielte sich hinter verschlossenen Türen ab, zu undurchsichtig waren die juristischen Manöver, zu kalkuliert das Schweigen auf beiden Seiten. Doch die jüngsten Briefe, die zwischen dem US-Justizministerium und dem Büro von Gouverneur Gavin Newsom gewechselt wurden, markieren eine neue Qualität im Konflikt – eine Front, die sich mitten im Rechtsstaat auftut und nicht länger ignoriert werden kann. Der Auslöser ist ein Schreiben von Justizministerin Pam Bondi, datiert auf den 13. August 2025, in dem sie Kalifornien unverhohlen mit Strafverfolgung droht. Beamte auf Landes- und Kommunalebene, so der Vorwurf, würden durch die Umsetzung kalifornischer Gesetze „illegale Einwanderung erleichtern“ und sich damit selbst strafbar machen. Der Angriff zielt auf das Herzstück der kalifornischen Migrationspolitik – die Sanctuary-Regelungen, die Schutz vor einer Vereinnahmung der lokalen Behörden durch die Bundesimmigration gewähren.

Justizministerin Pam Bondi

Die Antwort aus Sacramento ließ nicht lange auf sich warten. Am 19. August antwortete David Sapp, Rechtsreferent im Büro von Gavin Newsom, mit einem Brief, dessen Tonfall zugleich scharf und juristisch unerschütterlich ist. Kalifornien, so Sapp, sei nicht nur rechtlich abgesichert, sondern handle im Einklang mit bindendem Bundesrecht. Mehrfach habe das Bundesberufungsgericht des neunten Bezirks bestätigt, dass Kalifornien das Recht hat, seine Behörden von einer aktiven Mitwirkung an der Bundes-Immigration auszunehmen. Präzedenzfälle wie United States gegen California und City and County of San Francisco gegen Barr hätten die Versuche Washingtons, Druck über Geldentzug oder strafrechtliche Vorwürfe auszuüben, bereits zu Fall gebracht. Der Brief, den David Sapp am 19. August 2025 an US-Justizministerin Pam Bondi schickte, liest sich wie eine juristische Ohrfeige. Nachdem Bondi am 13. August mit „strafrechtlichen Verfolgungen gegen staatliche und lokale Beamte“ gedroht hatte, die angeblich „ihre offizielle Position nutzen, um föderale Einwanderungsdurchsetzung zu behindern“, kontert Kaliforniens Rechtsberater mit vernichtender Präzision: Diese Drohungen seien nicht nur rechtlich haltlos, sondern könnten für die beteiligten Bundesanwälte selbst zum Bumerang werden. Sapp zitiert explizit Regel 3.1 der kalifornischen Standesregeln, wonach Anwälte keine Verfahren einleiten dürfen, die „keine wahrscheinliche Grundlage“ haben. Noch schärfer formuliert es Regel 3.8 für Staatsanwälte: Sie haben „die Verantwortung eines Ministers der Justiz“ – wer also wider besseres Wissen Verfahren anstrengt, verstößt gegen fundamentale ethische Verpflichtungen.

Die juristische Beweisführung, die Sapp vorlegt, ist erdrückend. Er verweist auf United States v. California, wo das Bundesberufungsgericht des neunten Bezirks 2019 klarstellte, dass Kalifornien „das Recht hat, gemäß dem zehnten Verfassungszusatz von der Unterstützung föderaler Bemühungen Abstand zu nehmen“. Im Fall City and County of San Francisco v. Barr scheiterte der Versuch des Justizministeriums, Fördergelder zurückzuhalten – das Gericht verwarf die Argumentation als „rechtlich unbegründet“. Diese Präzedenzfälle sind bindend, und jeder kalifornische Anwalt, der sich an Verfolgungen beteiligt, die diese etablierte Rechtsprechung ignorieren, riskiert nach Sapps unmissverständlicher Warnung seine Zulassung und könnte mit einer Ethikbeschwerde vor der kalifornischen Anwaltskammer konfrontiert werden.

Die Brisanz dieses Briefwechsels liegt nicht allein im politischen Schlagabtausch, sondern in der juristischen Dimension: Sapp verweist ausdrücklich auf die Regeln der kalifornischen Anwaltskammer, die es Anwälten und insbesondere Staatsanwälten verbieten, Verfahren zu betreiben oder auch nur anzudrohen, wenn keine hinreichende Grundlage besteht. Drohungen wie die der Bundes-Justiz könnten damit nicht nur rechtsstaatlich bedenklich, sondern selbst ein ethisches Vergehen darstellen – bis hin zu disziplinarischen Konsequenzen für jene Bundesanwälte, die sich an derartigen Drohungen beteiligen. Dieser Schlagabtausch ist nicht der erste seiner Art. Schon zuvor hat Washington versucht, Kalifornien mit ähnlichen Methoden in die Schranken zu weisen. In den Jahren 2018 bis 2020 entbrannte ein erbitterter Streit um die Auto-Emissionsstandards, bei dem die Bundesregierung Kalifornien sein Recht absprechen wollte, strengere Grenzwerte für Abgase festzulegen. Am Ende setzten sich die Gerichte durch: Kalifornien behielt seine Kompetenz, während die Bundesregierung eine empfindliche Niederlage einstecken musste. Ähnlich verhielt es sich mit dem Versuch, Kaliforniens Klimagesetze und Programme zur Förderung erneuerbarer Energien juristisch auszubremsen – auch hier wurde Washington in die Schranken verwiesen.

Das Muster ist unverkennbar: Wann immer Kalifornien eigene Standards setzt – sei es beim Klimaschutz, bei der Gesundheitsversorgung oder beim Schutz von Migranten –, antwortet die Bundesregierung mit Drohungen, Klagen oder der Androhung finanzieller Sanktionen. Doch ebenso regelmäßig scheitert sie an der Tatsache, dass das föderale System den Bundesstaaten Rechte zugesteht, die nicht ohne weiteres ausgehebelt werden können.

Besonders brisant ist dabei die schiere Dimension, in der dieser Konflikt ausgetragen wird. Kalifornien ist längst nicht irgendein Bundesstaat, sondern die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt – noch vor Deutschland. Nur die USA insgesamt, China und Japan verfügen über ein höheres Bruttoinlandsprodukt. Wer also Kalifornien in die Schranken weisen will, legt sich nicht nur mit einem regionalen Akteur an, sondern mit einer globalen Wirtschaftsmacht. Der Versuch, die politische und rechtliche Autonomie eines solchen Giganten zu untergraben, entfaltet weit größere Sprengkraft, als es der Anschein eines inneramerikanischen Disputs vermuten lässt.

Die Intel-Übernahme und Trumps widersprüchliche Industriepolitik

Parallel zu diesem juristischen Gefecht entfaltet sich ein wirtschaftspolitisches Drama von historischer Dimension. Die Trump-Administration verhandelt über eine zehnprozentige Staatsbeteiligung an Intel – ausgerechnet jene republikanische Regierung, die sich als Hüterin des freien Marktes inszeniert. Commerce Secretary Howard Lutnick rechtfertigt dies mit bemerkenswerter Chuzpe: Die 7,8 Milliarden Dollar aus Bidens CHIPS Act seien ein „giveaway“, Amerika solle stattdessen „den Nutzen des Deals bekommen“. Intel, das 2024 einen Verlust von 19 Milliarden Dollar einfuhr und in den ersten sechs Monaten 2025 weitere 3,7 Milliarden verlor, steht vor einem Personalabbau von 25.000 Stellen – ein Viertel der Belegschaft. Die Ironie könnte kaum beißender sein: CEO Lip-Bu Tan, den Trump am 7. August noch wegen seiner früheren Investitionen in chinesische Technologieunternehmen zum Rücktritt aufforderte, wurde nach einem eilig arrangierten White-House-Besuch plötzlich zum Mann mit einer „amazing story“. Diese Volte zeigt Trumps transaktionale Politik in Reinform – Loyalität wird belohnt, Opposition bestraft, und gestern Gesagtes gilt heute nicht mehr. Lutnick versichert zwar, die Regierung werde sich nicht in Intels Geschäfte einmischen und nur stimmrechtslose Anteile halten, doch Analysten spekulieren bereits, dass Unternehmen, die sich bei Trump einschmeicheln wollen, verstärkt Intel-Chips ordern könnten.

Howard Lutnick war nicht erfreut darüber, dass CNBC-Moderatoren Trumps Forderung nach einem Anteil an Intel als „Staatskapitalismus“ darstellten.

Gleichzeitig hat der Konflikt längst die Ebene der klassischen Politik verlassen und sich in eine bizarre digitale Fehde verwandelt. Newsoms Press Office hat begonnen, Trumps eigenen Kommunikationsstil auf dessen Plattform Truth Social zu spiegeln – spöttisch, aggressiv und in übersteigerter Sprache. Dort finden sich Attacken, in denen Trump wegen angeblicher Schreibfehler verhöhnt wird, Anspielungen auf Epstein-Akten und groteske Formulierungen, die die Rhetorik des Ex-Präsidenten karikieren. Trump wiederum antwortet mit den ihm eigenen Beleidigungen – von „Gavin Newscum“ ist die Rede, der „den einst großartigen Staat Kalifornien zerstöre“. Auch konservative Sender wie Fox News haben das Schauspiel aufgegriffen. Während Moderatoren Newsoms Posts als „kindisch“ und „eines Gouverneurs unwürdig“ verurteilen, kontert Sacramento mit noch drastischeren Spitzen, indem es Fox-Moderatoren verspottet und deren Sendungen als „Schnarchnummern“ bezeichnet. In diesem absurden Schlagabtausch wird deutlich, wie sehr sich politische Auseinandersetzungen in den USA von der sachlichen Ebene ins Reich der Inszenierung und des permanenten Spotts verlagert haben.

Besonders die internationalen Reaktionen auf Newsoms digitale Ausfälle sind bemerkenswert. Seine ironische Anspielung auf Russland – in Anlehnung an Trumps berüchtigten „Russia, if you are listening“-Satz – und die offene Forderung nach der Veröffentlichung der Epstein-Akten haben Schlagzeilen weit über die USA hinaus ausgelöst. In europäischen Medien wurden die Posts als beispielloser Tabubruch eines Gouverneurs gewertet, während Kommentatoren in Lateinamerika von einem „neuen Kommunikationskrieg“ sprachen, in dem selbst Staatsführer nicht mehr zwischen Ernst und Satire unterscheiden. Dass Kalifornien damit die globale Bühne erreicht, unterstreicht die Symbolkraft dieses Konflikts. Unsere eigenen Recherchen zu diesem Komplex haben wir bislang nur punktuell veröffentlicht. Wir wollten warten, bis sich die juristischen Frontlinien deutlicher abzeichnen. Mit den jetzt vorliegenden Dokumenten aber – den Drohungen aus Washington, der klaren, beinahe anklagenden Antwort aus Sacramento und der Eskalation in den sozialen Netzwerken – verändert sich die Lage grundlegend. Es wird offenkundig, dass dieser Konflikt nicht nur um Migrationspolitik geführt wird, sondern um den Kern dessen, was in den Vereinigten Staaten Rechtsstaat bedeutet: die Bindung der Exekutive an das Gesetz.

Wenn die Bundesregierung droht, lokale Beamte in Kalifornien strafrechtlich zu verfolgen, weil sie sich an kalifornisches Recht halten, dann geht es längst nicht mehr um die politische Auseinandersetzung über Zuwanderung. Es geht um die Frage, ob bindende Gerichtsurteile und rechtsstaatliche Prinzipien noch Gewicht haben – oder ob politische Macht den Anspruch erhebt, selbst über Recht und Unrecht zu entscheiden. Dass Kalifornien diese Auseinandersetzung nun so offensiv aufnimmt, markiert den Beginn eines Konflikts, der weit über die Grenzen des Bundesstaates hinausweist. Am Ende steht mehr auf dem Spiel als die Migrationspolitik eines einzelnen Bundesstaates. Der Streit zwischen Washington und Sacramento ist ein Testfall dafür, ob die föderale Ordnung der Vereinigten Staaten noch in der Lage ist, Machtansprüche der Exekutive zu begrenzen. Was sich hier abzeichnet, ist kein Randkonflikt, sondern ein Kampf um die Verfasstheit der amerikanischen Demokratie. Kalifornien hält dem Druck stand, indem es sich auf die Gewaltenteilung beruft – auf den Kern einer Ordnung, die seit über zwei Jahrhunderten den Zusammenhalt eines Landes garantiert.

Besonders brisant ist dabei die schiere Dimension, in der dieser Konflikt ausgetragen wird. Kalifornien ist längst nicht irgendein Bundesstaat, sondern die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt – noch vor Deutschland. Nur die USA insgesamt, China und Japan verfügen über ein höheres Bruttoinlandsprodukt. Wer also Kalifornien in die Schranken weisen will, legt sich nicht nur mit einem regionalen Akteur an, sondern mit einer globalen Wirtschaftsmacht. Der Versuch, die politische und rechtliche Autonomie eines solchen Giganten zu untergraben, entfaltet weit größere Sprengkraft, als es der Anschein eines inneramerikanischen Disputs vermuten lässt.

In diesem Licht betrachtet, sind die Briefe zwischen Bondi und Newsom weit mehr als juristische Schriftstücke. Sie sind Teil eines Ringens um die Frage, ob die Vereinigten Staaten ein Rechtsstaat bleiben oder ob politischer Wille über geltendem Recht stehen darf. Kalifornien hat seine Antwort gegeben. Nun wird sich zeigen, ob der Rest des Landes die Bedeutung dieser Auseinandersetzung erkennt – und welche Seite sich am Ende durchsetzt.

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Frank
Frank
1 Monat zuvor

Ich hoffe, die anderen demokratischen Staaten handeln ähnlich wie Kalifornien!

Ela Gatto
Ela Gatto
1 Monat zuvor

Kalifornien war Trump immer ein Dorn im Auge.
Zu woke, zu links, zu liberal, zu immigrantenfreundlich …..
Und dann „trotz alledem“ wirtschaftlich extrem erfolgreich.

Im Gegensatz zu seinem Lieblingsstaat Texas und anderen roten Staaten.
Sie western gegen Kalifornien. Aber der gros der Bundesmittel kommt von dort.

Wie immer die Scheinheiligkeit pur, der Republikaner.

Trump weiß, dass Kalifornien sozusagen das Leuchtfeuer der demokratischen Resistance ist.
Bricht er Kalifornien werden anderen demokratische Staaten, auch in Ermangelung der Finanzen, einknicken.

Ich wünsche Newsom viel Erfolg, hoffe dass er gesund bleibt und nicht plötzlich verschwindet.

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