Die Stille der Maschinen: Google hilft Trumps Grenzregime mit KI zu bewaffnen

VonRainer Hofmann

Juni 8, 2025

Es ist kein Mauerwerk aus Beton. Kein Stacheldraht, der sich durch das staubige Grenzland schneidet. Nein, das neue Amerika baut nicht in Stein, sondern in Code. Es errichtet seine Zäune aus Algorithmen, seine Aussichtstürme aus Kameraaugen, seine Kontrolle aus Datenströmen, so unsichtbar wie der Wind, der über die Sonora-Wüste zieht.

Und mitten darin: Google.

Einst versprach Google-Cloud-Chef Thomas Kurian den eigenen Mitarbeitenden, man werde sich nicht an der Überwachung der Südgrenze zu Mexico beteiligen, geschieht dass genau jetzt. Das Versprechen war eine rhetorische Wolke, kurz sichtbar, dann verweht, der Ruf des Dollars, Gier gegen Seele. Die Realität: Google stellt dem Department of Homeland Security (DHS) die Infrastruktur für ein KI-gestütztes Überwachungsregime zur Verfügung, das kaum Schlaf kennt.

In Arizona sollen alte Überwachungstürme, Relikte aus der Zeit vor den Sensoren, nun zu einem Netzwerk digitaler Wachposten aufgerüstet werden. Sie „sehen“ nicht nur, sie lernen. Maschinenlernen. Mensch und Fahrzeug werden automatisch erkannt, verfolgt, klassifiziert. Ohne einen einzigen menschlichen Blick. IBM liefert die Bilderkennung, Equitus den Überwachungsalgorithmus. Doch der Knotenpunkt, das schlagende Herz dieser kybernetischen Grenze, ist Googles Cloud-System „MAGE“. Daten aus bis zu 100 Kamerastreams fließen in Echtzeit in diese Plattform. Und Google speichert. Google analysiert. Google bereitet auf.

Google, das nicht beteiligt ist, aber doch überall mittendrin.

„Ich bin niemand.“ -. „Ich bin viele“, scheint das neue Motto von Google zu lauten. Respekt vor so wenig Respekt, würde der Söldner sagen. So lässt sich auch Google lesen, wenn es gleichzeitig versichert, nicht an der Überwachung beteiligt zu sein, und doch genau jene Werkzeuge bereitstellt, auf denen sie basiert. Es ist die Philosophie des Unsichtbaren: Verantwortung wird ausgelagert, Besitz durch „Partnerschaften“ verschleiert, moralische Grenzen werden von technischen Schnittstellen neutralisiert. „CBP (U.S. Customs and Border Protection – „Zoll- und Grenzschutzbehörde der Vereinigten Staaten) kann unsere Produkte wie jedes andere Standardprodukt kaufen – wie einen Drucker oder ein Mobilfunknetz“, so ein Google-Sprecher.

Doch ein Drucker ist kein neuronales Netzwerk. Und eine Cloud-Plattform ist kein Schraubenzieher. Sie ist der Raum, in dem sich die Logik des Staates und die Sprache der Maschine vereinigen – zur stillen Repression. Früher hätte man gesagt: Man darf keine Mauern bauen. Heute baut man Netze. Man ersetzt Grenzpolizisten durch Kameraobjektive, Gespräch durch Code, Gesetz durch Zugriff. In diesem neuen Grenzregime zählt nicht mehr, wo du bist, sondern was du im Bild darstellst. Bist du ein „Mensch in Bewegung“? Trägst du eine Sporttasche? Läufst du „im Karawanenstil“?

Das reicht, um getaggt zu werden. Gefiltert. Archiviert. In Metadaten überführt. Denn das System will keine Gesichter. Es will Muster. Dass Google all das nun ermöglicht, nach jahrelangen Dementis, fügt sich nahtlos in eine Ära, in der Verantwortung nur noch auf dem Papier existiert. Cloud-Dienste werden ausgelagert, über Reseller und Untervertragsnehmer eingekauft. Die Lieferkette des Digitalen ist so undurchsichtig wie die Nacht auf einem Bildschirm. Und so können Konzerne sagen: Wir sind nicht dabei. Während ihre Server summen. Während ihr Code entscheidet, wer gesehen wird und wer nicht. Die Grenze ist heute ein Bewusstseinszustand. Ihre Linien verlaufen durch unsichtbare Systeme, durch jene Türme in Arizona, die nun „intelligent“ sein sollen. Doch es ist eine Intelligenz ohne Erinnerung, ohne Zweifel, ohne Ethik. Nur Berechnung. Nur Signal. Nur Alarm. Grenzgemeinden zahlen dafür den Preis, mit ihrer Privatsphäre

Doch es ist mehr als das. Sie zahlen mit ihrem Platz in der Welt. Mit ihrer Definition von Menschsein. Denn wenn Maschinen entscheiden, was eine Bedrohung ist, dann verlieren wir das Menschliche. Und wer einmal als Bedrohung gespeichert ist, wird nie wieder unschuldig. Vielleicht ist genau das die Zukunft der Überwachung. Kein lauter Angriff auf Freiheit. Kein Knall. Kein Befehl. Sondern ein leises Absaugen der Wirklichkeit. Datenbankzeile für Datenbankzeile. Solange, bis niemand mehr weiß, wem die Grenze gehört, dem Staat oder der Maschine. Google oder dem Gesetz.

Oder gar niemandem mehr.

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