Die Pferde und das Glück – Eine Geschichte aus Namibia

VonKatharina Hofmann

Juni 2, 2025

Es gibt Gegenden der Welt, da geschieht das Wunderhafte im Staub. Nicht im Glanz der Oper, nicht im Lärm der Parlamente, sondern dort, wo ein Kind mit großen Augen die Nüstern eines Pferdes berührt und zu sprechen beginnt. Namibia, weit hinter den Bergen, irgendwo bei Windhoek, da lebt eine Frau, Susan de Meyer, die mit nichts als ihrer Liebe zu Tieren und Kindern ein Stück Welt verwandelt hat. Man stelle sich das vor: jeden Morgen ein kleiner Trupp, acht, vielleicht zehn Kinder, einige laut, andere still wie der Wind. Sie kommen aus einer jener Schulen, die man „besonders“ nennt, weil dort Kinder sind, die im lärmenden Rennen der Gesellschaft sonst übersehen würden. Hier aber sind sie Helden – zusammen mit den Pferden.Susan, eine Frau mit der Ruhe der Steppe in den Bewegungen, hat zwei Araber und ein Pony, das so klein ist, dass ein Fünfjähriger es auf Augenhöhe begrüßen kann. Faranah, die weiße Stute, ist ein sanftes Wesen. Lansha, der braune Wallach, hat Augen, in denen man verweilen möchte. Und Bonzi, das halbe Pferd, wie Susan lachend sagt, ist der Clown des Stalls – doch auch er hat seine Aufgabe.

„Die Kinder reden mit den Pferden, streicheln sie, reiten, und oft, ganz plötzlich, sagen sie Dinge, die sie vorher nie ausgesprochen haben“, erzählt sie. Das ist keine Therapie im klassischen Sinne. Es ist keine Sitzung, keine Übung mit Clipboards oder Tabellen. Es ist Leben, mit offenem Herzen. Und ein Tier, das nicht urteilt. Ein Pferd fragt nicht nach Diagnosen. Es fragt nicht nach Benimm, nicht nach Noten, nicht nach Sprache. Es fragt nach Vertrauen. Und genau das schenkt es zurück – hundertfach. „Wenn die Kinder die Zügel loslassen und die Arme ausstrecken, dann fliegen sie“, sagt Susan. „Das Lächeln, das sie dann zeigen, kann kein Medikament der Welt hervorrufen.“ So einfach ist das. So einfach und so groß. Unterstützt wird sie von der Namibischen Reiterföderation, sogar die Internationale Reiterliche Vereinigung hat sie ausgezeichnet – weil das, was hier geschieht, durch kein akademisches Lehrbuch zu ersetzen ist: Das Pferd als Gefährte des Menschlichen, als Brücke zwischen den Welten.

Lehrer:innen wie Chriszell Louw berichten von Kindern, die vorher in sich verschlossen waren, nun aber lachen, zuhören, mitkommen wollen. Ein Mädchen, das sonst ununterbrochen redete, wird still, sobald es beim Stall ankommt. Nicht aus Angst – aus Achtung. Und die Kinder, deren Körper ihnen nicht gehorchen wollten, gewinnen Haltung, Gleichgewicht, Selbstbewusstsein. Wer mit einem Pferd durch den Sand geht, der weiß, was es heißt, aufrecht zu sein. Das ist keine Allegorie. Das ist wörtlich gemeint. Vielleicht ist das, was Susan de Meyer tut, keine große Sache in den Augen der Weltpolitik. Vielleicht wird es keine Gipfel verändern. Aber für diese Kinder – und für jeden, der sehen kann – ist es ein stiller Triumph der Menschlichkeit. Einer, wie ihn Karl Zuckmayer in seinen Stücken gezeichnet hätte: ehrlich, warm, voller Staub und voller Licht. Und Susan? Sie sagt nur: „Wir machen die Welt anders für diese Kinder.“

Ein Programm, das den Kontinent verändert

Man sagt, Wunder ließen sich nicht planen. Und doch geschieht in Namibia eines, das sich Woche für Woche wiederholt, so verlässlich wie das Licht über den Hügeln von Windhoek: Kinder, die nicht sprachen, beginnen zu sprechen. Kinder, die kein Vertrauen hatten, öffnen die Hände. Und Kinder, die die Welt nur als Hindernis kannten, lernen, sie zu durchreiten – auf dem Rücken eines Pferdes. Was mit wenigen begann, ist zu einer Bewegung geworden. Die Namibian Equestrian Federation, kurz NAMEF, rief Anfang 2024 ein Programm ins Leben, das auf den ersten Blick unscheinbar wirkt: „Enabling Through the Horse“. Aber wer einmal gesehen hat, wie ein Kind, das bisher nur in sich selbst lebte, den Kopf hebt, um „Guten Morgen“ zu sagen – dem ist klar: Hier geht es nicht um Reitsport. Hier geht es um Hoffnung. Zunächst waren es dreißig Kinder aus fünf Sonderschulen und einem Waisenhaus, ausgewählt von Therapeuten, Psychologen, Pädagogen. Sie kamen mit Diagnosen: Autismus, Down-Syndrom, ADHS, Zerebralparese, FASD. Doch kein Pferd fragte danach. Die Tiere – Faranah, Lansha, Bonzi – stellten keine Fragen. Sie hörten zu mit den Augen, mit dem Atem, mit dem Schweigen.

Susan de Meyer, die stille Architektin dieses Wunders, hat kein Lehrbuch geschrieben. Aber auf einem staubigen Grundstück 15 Kilometer außerhalb Windhoeks lässt sie Worte wachsen, wo vorher nur Stille war. Colin, 14 Jahre alt, hatte Angst. Er weinte, wenn er ein Pferd sah. Jetzt reitet er, spricht, zählt. Seine Reise begann mit dem kleinen Bonzi, dem „halben Pferd“, und führt ihn nun auf die Rücken der Großen. „Ich habe ihn lachen sehen“, sagt Frankle. „Das allein ist ein Triumph.“

Die Internationale Reiterliche Vereinigung hat das Projekt mit dem FEI Inspire Award ausgezeichnet. Doch Susan sagt einfach nur: „Wir machen die Welt anders für diese Kinder.“ Es ist eine Welt, in der ein Junge namens Marvellous – geplagt von Zerebralparese und wildem ADHS – plötzlich ruhig wird, wenn er auf einem Pferd sitzt. Seine sonst verkrampfte Hand öffnet sich. Und Frankle, Präsident von NAMEF, sagt: „Ich freue mich auf den Tag, an dem er mir die Hand gibt. Und ich weiß, er wird kommen.“ Was in Khomas begann, wächst. Die Zahl der teilnehmenden Kinder stieg 2025 auf vierzig. Und die erste Stunde des Tages ist nun Reitunterricht – nicht mehr als Nebensache, sondern als Beginn des Lernens mit Herz und Haltung. Die Schulen haben verstanden, was es bedeutet, aufrecht zu gehen. Aufrecht zu leben. Nicht nur die Kinder verändern sich. Auch die Erwachsenen. Ein Fahrer, der die Kinder bringt, hat mehr Begeisterung gezeigt als mancher Reitlehrer. „Es hat sein Leben verändert“, sagt Frankle. „Und vielleicht verändert er nun andere.“

Denn noch immer, sagt Frankle, werden in Teilen Afrikas Kinder mit Behinderung versteckt. „Weil sie als Schande gelten.“ Aber hier, auf dem Pferderücken, sind sie Könige. Der nächste Schritt? Ausbildung. Die Älteren sollen lernen, Pferde zu führen, zu pflegen. Beruf statt Verdrängung. Zukunft statt Unsichtbarkeit. Frankle fragt: „Was passiert nach der Schule? Verschwinden sie? Oder geben wir ihnen etwas mit?“ Botswana, Eswatini, Ghana, Mauritius, Sambia, Simbabwe – überall gibt es Interesse, das Projekt nachzuahmen. Und Frankle glaubt fest daran: „Man braucht nur ein paar willige Hände und ein paar willige Pferde. Der Rest ist Menschlichkeit.“ Das Glück kommt nicht mit dem Blitzlicht, sondern mit dem sanften Tritt eines Pferdes im Sand. Und vielleicht würde er in Susan de Meyer eine moderne Vinzenzia erkennen – nicht auf der Bühne, sondern unter afrikanischer Sonne. Ein Mensch, der nicht fragt, was groß ist in der Welt, sondern was gut ist.

Und was gut ist, geschieht hier. Im Staub. Im Schweigen. Im Lächeln eines Kindes.

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