Die große Blockade – Wie Trumps Zollpolitik die Weltwirtschaft zum Faustpfand seiner Machtspiele macht

VonRainer Hofmann

August 7, 2025

Mit einem Federstrich hat Donald Trump das getan, wovor Ökonomen seit Monaten gewarnt hatten – er hat die Welt in einen wirtschaftlichen Ausnahmezustand versetzt. Seit Donnerstag um 0:01 Uhr Eastern Time sind die wohl umfassendsten Importzölle in der Geschichte der Vereinigten Staaten seit der Großen Depression in Kraft. Über 60 Länder, darunter enge Verbündete wie die EU, Japan, Kanada und Indien, sind betroffen. Für die amerikanische Wirtschaft, für internationale Partner, aber auch für Millionen Konsumenten bedeutet das nichts weniger als eine tektonische Erschütterung globaler Handelsströme – mit offenem Ausgang. Die Dimension der Maßnahmen ist historisch: Im Durchschnitt müssen US-Verbraucher nun mit 18,3 % höheren Preisen auf importierte Waren rechnen – dem höchsten Zollniveau seit 1934. Besonders einschneidend ist die Ankündigung eines 100-prozentigen Aufschlags auf Halbleiter und Computerchips, die als Herzstück moderner Technologie in nahezu jedem elektronischen Gerät stecken – vom Handy bis zur Waschmaschine. Zwar sollen Unternehmen, die in den USA fertigen, verschont bleiben, doch der Druck, Produktionsketten über Nacht umzustellen, gleicht einer ökonomischen Zwangsumsiedlung. Trump begründet diesen Schritt mit dem angeblichen Ziel, „Amerika endlich unabhängig von fremden Lieferketten“ zu machen. Tatsächlich aber ist der Kurs ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. Halbleiter sind keine billigen Billigprodukte, sondern hochkomplexe Bauteile, die jahrzehntelange Expertise, spezialisierte Materialien und präzise Fertigungsprozesse benötigen. Länder wie Taiwan, Südkorea oder Japan haben in diesem Bereich Weltmarktanteile aufgebaut, die sich nicht per Dekret aus Washington verschieben lassen.

Hinzu kommt ein politischer Sprengsatz: Indien, offiziell strategischer Partner der USA im indopazifischen Raum, sieht sich plötzlich mit einem Strafzoll von 50 % konfrontiert – eine Reaktion auf Delhis Entscheidung, weiterhin russisches Öl zu importieren. Die Regierung Modi sprach von einem „bedauerlichen und gefährlichen Signal“, das eine ohnehin fragile Handelspartnerschaft belaste. Premierminister Modi erklärte öffentlich, dass Indien „niemals die Interessen seiner Bauern aufs Spiel setzen“ werde – eine Anspielung auf Washingtons Versuch, den indischen Agrarsektor für amerikanische Produkte zu öffnen. Die Botschaft aus Neu-Delhi ist klar: Die USA können keinen Gehorsam erkaufen. Gleichzeitig nutzt Trump das Zollregime als politisches Druckmittel – im Fall Brasiliens etwa, dessen Einfuhrzölle auf US-Waren mit der juristischen Lage um Jair Bolsonaro verknüpft wurden. Kanada wiederum soll laut Weißem Haus zu wenig gegen Drogenschmuggel und grenzüberschreitende Kriminalität unternehmen und wird mit einem Zollsatz von 35 % belegt. Es sind Sanktionsdrohungen, die eher an geopolitische Erpressung erinnern als an rational gesteuerte Handelspolitik. Die Reaktionen aus der Wirtschaft reichen von Panik bis zu taktischem Schweigen. Viele Autohersteller versuchen, die neuen Kosten zunächst selbst zu tragen – eine Strategie, die sich nur kurzfristig halten lässt. Der Bundesstaat Michigan, Herz der US-Autoindustrie, dürfte besonders unter den neuen Halbleiterzöllen leiden. Und auch internationale Konzerne wie Sony warnen: Zwar seien die Auswirkungen bislang geringer als befürchtet, doch die Unsicherheit nehme weiter zu. Milliardenkosten und stagnierende Lieferketten drohen.

Besonders heikel ist das Timing. Nach Monaten der Drohungen hat Trump die Frist zur Umsetzung seiner April-Zölle mehrfach verschoben, zuletzt um 90 Tage. Doch statt nachhaltiger Abkommen folgten lediglich hektische Briefwechsel mit Weltregierungschefs, die sich wie Strafzettel lasen – eine Liste von Zollsätzen, ohne diplomatische Flankierung, ohne Rücksicht auf bestehende Verhandlungen. Die „Deals“, die daraus hervorgingen, sind bestenfalls brüchige Waffenstillstände – und schlimmstenfalls politische Zeitbomben. Währenddessen kämpft Asien mit einem unmittelbaren Kollateralschaden. In Indien warnt der Verband der Exportorganisationen davor, dass 55 % aller Ausfuhren in die USA gefährdet seien. Textilfabriken in Slums wie Dharavi in Mumbai rechnen mit Entlassungen und einem Kollaps ihrer Aufträge. „Diese plötzliche Kostenexplosion ist für uns nicht tragbar“, sagte S.C. Ralhan, Präsident des Dachverbands, in einer ersten Stellungnahme. Noch deutlicher wurde der Oppositionspolitiker Rahul Gandhi: Trumps Strategie sei nichts weniger als „wirtschaftliche Erpressung“. Tatsächlich erinnert vieles an eine aggressive Neuausrichtung amerikanischer Außen- und Handelspolitik – unter Umgehung multilateraler Regeln und mit dem erklärten Ziel, Handelsströme nicht zu steuern, sondern zu dominieren.

Und doch fällt die weltweite Reaktion erstaunlich schwach aus. Trotz massiver Eingriffe in den Welthandel – von Strafzöllen über Exportbeschränkungen bis hin zu politischen Erpressungsmechanismen – blieb eine koordinierte Antwort der internationalen Gemeinschaft bisher weitgehend aus. Die WTO wurde systematisch geschwächt, bilaterale Handelsgespräche verliefen oft ergebnislos, und Staaten wie Deutschland oder Frankreich äußerten sich zwar kritisch, aber selten konkret oder entschlossen. Selbst die EU hat bislang keine scharfen Gegenmaßnahmen ergriffen. Die Welt lässt sich vorführen – und kaum jemand wehrt sich. Gleichzeitig überbieten sich viele Medien im Totalversagen. Der Großteil etablierter Redaktionen – insbesondere im englischsprachigen Raum – berichtet über Trumps Wirtschaftspolitik oft in der nüchternen Sprache der Agenturmeldung, ohne tiefere Analyse der ökonomischen oder völkerrechtlichen Tragweite. Viele Journalisten geben Trumps Narrative („America First“, „China zahlt die Zölle“) nahezu ungefiltert weiter, statt die realen Auswirkungen auf Verbraucher, internationale Partner und die globale Ordnung einzuordnen. Investigativer Journalismus bleibt die Ausnahme. Kritische Kommentierung wird zur Randnotiz. Nur vereinzelte Redaktionen mit wirtschafts- oder außenpolitischem Fokus – etwa das Handelsblatt, The Atlantic oder Foreign Affairs – stemmen sich noch gegen die Flut. Trump hat es zudem geschafft, durch gezielte Reizüberflutung – tägliche Drohungen, abrupte Kurswechsel, inszenierte Deals – eine Art chronischen Ausnahmezustand herzustellen, der von vielen Redaktionen zunehmend als „business as usual“ behandelt wird. Die öffentliche Wahrnehmung stumpft ab. Selbst tiefgreifende, international destabilisierende Maßnahmen wie der 100 %-Zoll auf Halbleiter landen oft nicht einmal mehr auf den Titelseiten.

Selbst in den USA wächst jedoch die Kritik. Trumps Behauptung, Zölle würden von ausländischen Firmen bezahlt, ist laut Wirtschaftswissenschaftlern schlicht falsch: Amerikanische Importeure zahlen die Abgaben – und geben sie über kurz oder lang an Verbraucher und Unternehmen weiter. Die US-Zollbehörde CBP kassiert die Gebühren, aber die Belastung spüren vor allem Haushalte mit geringen Einkommen, deren Alltagsprodukte teurer werden. Waschmaschinen, Kühlschränke, Fernseher, aber auch Medikamente und Computerkomponenten verteuern sich. Trump setzt stattdessen auf Verlagerung: Wer in den USA produziert, wird verschont. So traf er sich demonstrativ mit Apple-Chef Tim Cook im Oval Office, um die neue Chipstrategie zu verkünden – 100 % Zoll auf alle Chips aus dem Ausland, „außer man baut in Amerika“. Doch während Apple bereits Teile seiner Fertigung nach Texas verlagert hat, können andere Unternehmen nicht folgen – ihnen fehlen die Milliardeninvestitionen, das Know-how und die Infrastruktur, um binnen Monaten Werke aus dem Boden zu stampfen. Ein Blick zurück macht die Schieflage deutlich: Joe Bidens CHIPS and Science Act aus dem Jahr 2022 war eine breit angelegte, parteiübergreifende Industriepolitik, die über 50 Milliarden Dollar in Forschung, Subventionen und Ausbildungsprogramme investierte. Trump hingegen lehnt staatliche Förderung kategorisch ab – sein Modell basiert auf Zwang und Abschottung. Der Markt solle es richten, notfalls mit der Peitsche.

Und so steht die Welt am Anfang eines neuen ökonomischen Zeitalters: fragmentiert, angespannt, voller Risiken. Noch ist offen, wie tief der Schaden sein wird. Doch eines ist schon jetzt klar: Donald Trump hat das Instrument der Zölle nicht als wirtschaftliches Werkzeug verstanden – sondern als politische Waffe. Und wer mit dieser Waffe handelt, macht die Welt zum Faustpfand seiner Machtspiele – und die eigene Bevölkerung zum unfreiwilligen Mitspieler. Denn die Wahrheit ist: Diese Zölle fließen direkt aus den Taschen der Amerikaner. Es sind die Importeure, die zahlen – und sie geben die Kosten weiter. An die Verbraucher. An die Familien. Kein Präsident vor ihm hat je so lautstark damit geprahlt, die eigenen Leute zu besteuern. Und dass die Republikaner im Kongress danebenstehen und es geschehen lassen, ist nicht nur politisch fahrlässig – es ist eine Schande. Es ist aber nicht nur Politikversagen in den USA, wie auch in Deutschland – es ist auch ein kollektives Wegsehen, das über Jahre in ein System geführt hat, in dem Verantwortungslosigkeit zur Prämie und Widerstand zur Fußnote geworden ist.

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Frank Schwalfenberg
1 Monat zuvor

Fox News hat recht:
Das Land ist so hot, dass es gerade verbrennt. ☹️

Ela Gatto
Ela Gatto
1 Monat zuvor

Wer glaubt denn wirklich daran, dass sich Trump an irgendwelche Deals hält?
Heute Hü morgen hott.

Und wie Politiker darauf reagieren ist mehr wie peinlich.

Schweizer Regierungschefin reist zu Trump um einen Deal zu erbetteln (anders kann man es nicht nennen)

Europa handelt nicht mal, sondern verkauft seine Bevölkerung auf dem Silbertablett. Wer soll denn bitte den angeblich fairen Deal zahlen … Investitionen von 600 Milliarden, schmutzige Energie für hundert Milliarden?
Trump tönt laut, „sie haben uns 600 Milliarden geschenkt, die investieren wir in was wir wollen“.

Und aus Europa? Wieder einmal schweigen.
Dabei droht Trump schon wieder mit anderen Zöllen… Verlässlich ist bei Trump nur Eins, sein Drang nach Macht und Geld.
Europa traut sich nicht Trump zu verärgern.
Wir sind keine kleine Wirtschaftsmacht und könnten sehr wohl Paroli bitten.
Aber Nein, stattdessen wird die „Unterwerfung“ noch als fairer Deal gefeiert.
Kritik kommt nur am Rande und nicht von den großen Medien.

Warum nutzen die Länder nicht die Chance um sich unabhängiges von den USA zu machen.
Generell zu starke Abhängigkeiten von einem Handelspartner zu vermeiden.

Wo das hinführt sieht man.
Ein Irrer spielt mit Zölle, wie mit Würfeln.
In Sachen Medikamentenherstellung sind wir voll von China abhängig.

Pandar
Pandar
1 Monat zuvor

Trump ist einfach ein Idiot, der nichts kann, ausser das er nichts kann.

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