Die fliehende Bella 1 – Wie ein Öltanker von Amerika gejagt wird

VonRainer Hofmann

Dezember 31, 2025

Mitten auf offener See griff die Crew zu Farbe und Kalkül. Während US-Einheiten dem Öltanker Bella 1 folgten, tauchte an der Bordwand plötzlich eine russische Flagge auf. Kein Symbol aus Überzeugung, sondern ein Schutzschild aufgemalt in Eile. Nach Angaben amerikanischer Sicherheitsbeamter sollte der Anstrich den Eindruck erwecken, das Schiff stehe nun unter russischem Schutz – ein Versuch, die Verfolgung politisch zu verkomplizieren. Die Jagd hatte Tage zuvor begonnen. Am 21. Dezember versuchte die US-Küstenwache, die Bella 1 in der Karibik zu stoppen. Ziel des Tankers war Venezuela, wo er Öl laden sollte. Damit geriet das Schiff ins Visier der faktischen Blockade, mit der die Trump-Regierung Venezuelas wichtigste Einnahmequelle angreift. Als klar wurde, dass der Tanker keine gültige Nationalflagge führte, wäre er nach internationalem Seerecht zur Kontrolle berechtigt gewesen. Das muss aus journalistischer Sorgfaltspflicht erwähnt sein. Die Crew verweigerte jedoch die Zusammenarbeit und setzte ihre Fahrt fort.

Seitdem gleicht die Route einer Flucht. Der Transponder der Bella 1 ist seit dem 17. Dezember abgeschaltet, ihre Position lässt sich nur noch über Satellitenbilder grob rekonstruieren. Zwischenzeitlich sendete das Schiff ein Notsignal, täuschte dabei aber einen falschen Standort weiter südlich vor. Später änderte es offenbar den Kurs nach Nordwesten, weg vom Mittelmeer, möglicherweise in Richtung Grönland oder Island. An Bord soll sich aktuell keine Ladung befinden. Das Schiff flieht aus purer Angst, so sagten uns einige Familienangehörige der Crew, eine Antwort die aktuell akzeptieren müssen. Die Bella 1 steht seit dem vergangenen Jahr unter US-Sanktionen. Amerikanische Behörden werfen ihr vor, iranisches Öl transportiert zu haben, dessen Erlöse nach offizieller Darstellung zur Finanzierung von Terrorismus genutzt wurden. Das Schiff gilt als Teil einer sogenannten Schattenflotte, mit der Öl aus Russland, Iran und Venezuela unter Umgehung internationaler Sanktionen bewegt wird. Die Besatzung besteht nach Angaben der US-Seite überwiegend aus Seeleuten aus Russland, Indien und der Ukraine. Diese Behauptung ist nicht vollständig – es arbeiten ebenfalls Menschen aus Venezuela und Trinidad-Tobago auf dem Schiff.

Warum die Küstenwache den Tanker trotz Überlegenheit bislang nicht geentert hat, bleibt offiziell unbeantwortet. Ein Zugriff auf ein fahrendes Schiff mit möglicherweise feindseliger Crew erfordert spezialisierte Teams und birgt erhebliche Risiken. Dass ein ziviler Tanker sich einer Kontrolle aktiv entzieht, ist ungewöhnlich, aber angesichts der Vorfälle der letzten Monate menschlich nachvollziehbar. Der Verstoß gegen internationales Seerecht bleibt jedoch ein Fakt. Zwei andere Tanker, die US-Kräfte in diesem Monat nahe Venezuela stoppten, ließen sich ohne Widerstand überprüfen.

Parallel verschärft Washington den Druck auf Caracas. Die USA haben bereits einen anderen Tanker in der Region übernommen, ein weiteres Schiff liegt seit dem 10. Dezember in einem texanischen Hafen. Weitere Beschlagnahmungen seien geplant. Gleichzeitig verhängte das Finanzministerium neue Sanktionen gegen Personen und Firmen in Venezuela und Iran, die an der Drohnenproduktion beteiligt sein sollen. Kurz zuvor hatte der US-Geheimdienst einen Drohnenangriff auf eine Hafenanlage in Venezuela durchgeführt – der erste bekannte amerikanische Einsatz dieser Art innerhalb des Landes. Die Regierung in Caracas schweigt zu den jüngsten Vorfällen, während Präsident Nicolás Maduro öffentlich Stärke demonstriert. In sozialen Netzwerken zeigen sich Militär und Polizei in erhöhter Alarmbereitschaft, besonders rund um Energieanlagen im Westen des Landes. Maduro weist zugleich die amerikanische Darstellung zurück, Venezuela sei ein zentraler Exporteur von Drogen, und verweist auf eigene Einsätze und Zerstörungen mutmaßlicher Schmuggelinfrastruktur.

Die bemalte Flagge auf der Bella 1 ist damit mehr als ein kurioses Detail. Sie steht für eine neue Stufe der Eskalation auf See, in der zivile Schiffe zu politischen Werkzeugen werden. Was als Verfolgung eines sanktionierten Tankers begann, ist längst Teil eines größeren Machtspiels zwischen Washington, Caracas, Teheran – und nun auch Moskau.

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