Die Abschaffung der Kontrolle – Wie Trump die Justiz seiner Macht unterwirft

VonRainer Hofmann

Mai 30, 2025

Es beginnt mit einem Brief. Gedruckt auf schwerem Briefpapier, versehen mit dem Siegel des Justizministeriums, unterzeichnet von Pamela Bondi, Trumps Generalstaatsanwältin. Was dort zu lesen ist, klingt harmlos – fast schon bürokratisch nüchtern. Doch hinter den Zeilen verbirgt sich ein dramatischer Akt der Machtverschiebung, ein Angriff auf eine der letzten verbliebenen Schutzmauern der amerikanischen Demokratie: die unabhängige Bewertung der Justiz.

Seit Jahrzehnten war die American Bar Association – kurz ABA – ein zivilgesellschaftliches Gewissen der US-Justiz. Eine Instanz, die nicht über Schuld oder Unschuld richtete, sondern über Eignung, Anstand, Integrität. Wer Richter oder Richterin werden wollte, musste sich befragen lassen, durchleuchtet, bewertet. „Well qualified“, „qualified“, „not qualified“ – das waren die Urteile, auf die es ankam, weil sie auf Erfahrung, Fachwissen und ethischer Einschätzung basierten, nicht auf Parteibuch oder Opportunismus. Demokraten wie Republikaner respektierten diese Praxis. Bis jetzt.

Denn nun erklärt Bondi: Schluss damit. Die ABA habe ihre Neutralität verloren, sie sei voreingenommen, zu demokratisch, zu systemkritisch. In ihrem Schreiben heißt es wörtlich:
„Leider fungiert die ABA inzwischen nicht mehr als unparteiischer Maßstab für die Qualifikation von Kandidatinnen und Kandidaten.“
Man wirft der Organisation vor, Bewerberinnen und Bewerber demokratischer Regierungen systematisch zu bevorzugen – ein Vorwurf, der seit Jahren unbelegt im Raum steht, aber nun politische Grundlage für einen radikalen Bruch ist.

Bondi weiter:
„Die konsequente Weigerung der ABA, diese Voreingenommenheit im Bewertungsprozess zu beheben – trotz Kritik von Kongress, Regierung und Wissenschaft – ist beunruhigend.“
Was sich hier vollzieht, ist kein Verwaltungsakt. Es ist eine systematische Delegitimierung der Kontrolle. Die Justiz, einst unabhängiger Pfeiler im Gefüge der Gewaltenteilung, wird Stück für Stück in die Exekutive überführt. Wer sich loyal zur Trump-Regierung verhält, darf hoffen. Wer kritisch denkt, wird ausgebremst. Und wer gar wagt, sich öffentlich gegen die Politik des Präsidenten zu stellen, verliert – seinen Posten, seine Zukunft, manchmal sogar seine Staatsbürgerschaft.

Informanten aus dem Justizministerium berichten unter der Zusicherung völliger Anonymität, dass intern längst Listen existieren. Namen von Kandidaten, die aus Sicht der Regierung als „ideologisch zuverlässig“ gelten – selbst wenn ihnen jegliche juristische Qualifikation fehlt. Ehemalige Militärjuristen, Verschwörungstheoretiker mit Abschluss, ultrakonservative Aktivistinnen mit Verbindungen zu evangelikalen Netzwerken. Allesamt bereit, das Recht so zu biegen, wie es dem Präsidenten gefällt. Früher hätte man diese Listen in der Schublade verstauben lassen. Heute dienen sie als Grundlage der Justizpolitik.

Bondi macht unmissverständlich klar, dass für zivilgesellschaftliche Kontrolle kein Platz mehr sei:
„Auch wenn die ABA wie andere aktivistische Organisationen das Recht hat, sich zu richterlichen Nominierungen zu äußern, gibt es keinen Grund, die ABA anders zu behandeln als andere solcher Organisationen.“

Diejenigen, die noch widersprechen, werden isoliert. Eine Richterin, die gegen Trumps Migrationspolitik urteilte, fand sich nach wenigen Wochen im Ruhestand wieder. Ein Professor für Verfassungsrecht, der auf einer Konferenz von „juristischer Verwahrlosung“ sprach, erhielt eine Vorladung wegen angeblicher Steuervergehen. Eine NGO, die sich für Pressefreiheit einsetzt, verlor über Nacht ihre Gemeinnützigkeit. Und die ABA? Sie darf noch sprechen – aber niemand muss mehr zuhören.

Bondis Schlussfolgerung ist eiskalt konsequent:
„Konkret wird das Office of Legal Policy keine Anweisungen mehr geben, die es der ABA ermöglichen, Zugang zu nicht-öffentlichen Informationen zu erhalten, einschließlich der Personalakten von Kandidatinnen und Kandidaten. Diese werden auch nicht mehr auf Fragebögen der ABA antworten oder an Interviews mit der ABA teilnehmen.“

Es ist die berühmte Zermürbung durch Gewöhnung. Der langsame Übergang von Alarm zur Akzeptanz. Die öffentliche Empörung ist längst ritualisiert, ihre Wirkung verpufft wie der Ruf in einem leeren Saal. Was bleibt, ist der ungebremste Vormarsch einer Regierung, die Kontrolle nicht fürchtet, sondern abschafft. Die Justiz soll nicht mehr urteilen, sie soll exekutieren. Und sie soll, wie der Präsident selbst, niemandem mehr Rechenschaft ablegen.

Wer heute mit kühlem Blick auf das politische Klima der Vereinigten Staaten blickt, erkennt das Muster. Man braucht keinen großen Knall, keine Verfassungsänderung, keinen Putsch. Eine Demokratie stirbt in kleinen Schritten. Mit jedem Richter, der nicht mehr unabhängig ist. Mit jeder Instanz, die mundtot gemacht wird. Mit jeder Bewertung, die nicht mehr zählt.

Die Entscheidung, die ABA aus dem Justizprozess zu entfernen, mag auf den ersten Blick juristisch-technisch erscheinen. Doch sie ist ein Fanal. Ein deutliches Signal, dass sich die Trump-Regierung nicht länger mit der Fassade liberaler Demokratie aufhält. Sie braucht keine Masken mehr. Sie regiert offen und willfährig – und sucht sich jetzt die Richter, die ihren Kurs bestätigen. Was noch bleibt, sind Beobachter. Und die stille Frage: Wie viele Instanzen müssen noch fallen, bevor jemand aufsteht?

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