Es ist eine Zahl, die aufhorchen lässt: 17 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner bezeichnen sich heute als demokratische Sozialisten. 83 Prozent lehnen dies ab. Jahrzehntelang galt der Begriff „Sozialismus“ in den USA als politisches Schreckgespenst, als Synonym für Fremdherrschaft und gescheiterte Systeme. Dass sich nun fast jeder Fünfte offen dazu bekennt, markiert einen kulturellen Bruch. Und doch zeigt die gleiche Umfrage: Die USA sind und bleiben mehrheitlich ein konservativ geprägtes Land – mit Rissen, die durch Generationen, Ethnien und politische Lager laufen. Die Altersverteilung legt die tektonische Verschiebung offen. Unter den 18- bis 34-Jährigen stimmen 24 Prozent zu, unter den 35- bis 49-Jährigen noch 18 Prozent. Ab 50 Jahren bricht der Wert ein: Nur 11 Prozent der 50- bis 64-Jährigen und 14 Prozent der über 65-Jährigen sehen sich als demokratische Sozialisten. Über alle Altersgrenzen hinweg gilt: Je jünger die Generation, desto stärker die Bereitschaft, den Begriff nicht als Schimpfwort, sondern als Selbstbeschreibung anzunehmen.
TABELLE 117 – IDEOLOTH_c
Hinweis: „Don’t know/Refused“ aus der Originaltabelle ist vollständig enthalten. * entspricht sehr kleinem Anteil (≈0–1 %) nach Rundung.
Gruppe | Yes % | No % | Don’t know/Refused | Sampling Error (+/-) |
---|---|---|---|---|
Total | 17 | 83 | * | 2.7 |
Men | 16 | 84 | 1% | 3.9 |
Women | 17 | 82 | 1% | 3.8 |
White | 14 | 86 | 1% | 3.3 |
People of Color | 23 | 77 | * | 4.8 |
Black | 26 | 74 | 0% | 9.2 |
Hispanic | 19 | 80 | 1% | 7.1 |
Gruppe | Yes % | No % | Don’t know/Refused | Sampling Error (+/-) |
---|---|---|---|---|
18–34 | 24 | 76 | 0% | 5.6 |
35–49 | 18 | 82 | 0% | 5.1 |
50–64 | 11 | 88 | 1% | 5.4 |
65+ | 14 | 86 | 0% | 5.5 |
<45 | 21 | 79 | * | 4.2 |
45+ | 13 | 86 | 1% | 3.5 |
Gruppe | Yes % | No % | Don’t know/Refused | Sampling Error (+/-) |
---|---|---|---|---|
<$50K | 21 | 79 | 1% | 4.5 |
$50K+ | 14 | 86 | 1% | 3.4 |
Non-college grad. | 15 | 85 | * | 3.6 |
College grad. | 20 | 84 | * | 4.0 |
White non-college grad. | 12 | 88 | 0% | 4.5 |
White college grad. | 16 | 83 | * | 4.6 |
Gruppe | Yes % | No % | Don’t know/Refused | Sampling Error (+/-) |
---|---|---|---|---|
Democrat | 35 | 64 | * | 5.1 |
Independent / Other | 16 | 84 | * | 4.2 |
Republican | 2 | 98 | * | 4.9 |
Liberal | 41 | 59 | * | 5.7 |
Moderate | 15 | 85 | * | 4.5 |
Conservative | 4 | 96 | * | 4.9 |
Gruppe | Yes % | No % | Don’t know/Refused | Sampling Error (+/-) |
---|---|---|---|---|
Lean Democrat | 33 | 66 | * | 4.1 |
Lean Republican | 2 | 98 | * | 4.1 |
2024 Voter (overall) | 18 | 82 | * | 2.9 |
2024 Voter – Harris | 32 | 68 | * | 4.4 |
2024 Voter – Trump | 2 | 98 | * | 4.5 |
Die ethnische Zugehörigkeit verschärft diese Unterschiede. Weiße verorten sich nur zu 14 Prozent als demokratische Sozialisten, Menschen of Color dagegen zu 23 Prozent. Besonders hoch liegt der Wert bei Schwarzen mit 26 Prozent, während sich knapp jeder fünfte Hispanic (19 Prozent) so einordnet. Damit wird sichtbar, dass Minderheiten den Begriff stärker tragen als die weiße Mehrheit. Auch Einkommen und Bildung spiegeln die Bruchlinien wider. Wer unter 50.000 Dollar im Jahr verdient, bejaht mit 21 Prozent deutlich häufiger als Besserverdienende (14 Prozent). College-Absolventen erreichen 20 Prozent Zustimmung, Nicht-Akademiker 15 Prozent. Unter weißen Nicht-Akademikern sackt die Zahl sogar auf 12 Prozent ab, während weiße Akademiker immerhin 16 Prozent erreichen. „Democratic socialism“ ist also kein reines Elitenlabel, sondern eine Identität, die sowohl von Prekären als auch von Gebildeten getragen wird. Am klarsten tritt die ideologische Trennlinie hervor. Bei den Demokraten bekennen sich 35 Prozent zu diesem Selbstverständnis, bei den Republikanern nur 2 Prozent. Unter Unabhängigen liegt der Wert bei 16 Prozent. Wer sich selbst als liberal beschreibt, erreicht den Spitzenwert von 41 Prozent – fast jeder Zweite. Bei den Moderaten sind es 15 Prozent, bei den Konservativen nur vier Prozent. Damit zeigt sich, dass „democratic socialism“ im Kern ein Projekt der liberalen Linken ist – mit Ausstrahlung in Teile der Demokraten und der Unabhängigen, aber ohne Resonanz in konservativen Milieus.
Noch deutlicher wird die Spaltung im Blick auf die Wählerkoalitionen der letzten Präsidentschaftswahl. Von den Harris-Wählern identifizieren sich 32 Prozent mit dem Begriff, bei den Trump-Wählern nur zwei Prozent. Unter jenen, die sich als „Lean Democrat“ verstehen, sind es 33 Prozent, bei „Lean Republican“ wiederum nur zwei. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Das Land ist konservativ dominiert, doch die Minderheit der Demokratischen Sozialisten ist jung, wächst und ist überproportional in liberalen und urbanen Milieus verankert. Die Demokraten führen zwar in den aktuellen Umfragen, doch nicht, weil eine Mehrheit plötzlich links geworden wäre. Vielmehr formiert sich ihre Wählerbasis als Koalition aus moderaten Vorstädtern, Minderheiten, jungen Menschen und Trump-Gegnern – eine fragile Allianz, die eher von Abwehr als von Vision getragen wird.
Damit löst sich auch der scheinbare Widerspruch: Ein Land, in dem sich vier Fünftel nicht als Sozialisten verstehen, kann dennoch demokratisch wählen. Nicht aus ideologischer Überzeugung, sondern aus Furcht vor einem autoritären Republikanismus. Der „democratic socialism“ bleibt in der Minderheit – doch die 17 Prozent sind keine Zahl am Rand, sondern ein Vorzeichen. In einer Gesellschaft, in der fast jeder zweite Liberale und jeder vierte junge Mensch sich so versteht, könnte dieser Bruch in den kommenden Jahrzehnten das gesamte politische Koordinatensystem der USA verschieben.
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