Der Showdown der Verzweifelten: Wenn ein Kartellstaat auf einen Narzissten trifft

VonRainer Hofmann

August 25, 2025

Die USS Gravely, die USS Jason Dunham und die USS Sampson – drei Aegis-Zerstörer der US-Marine – durchpflügen die Karibik, begleitet von U-Booten und Kampfjets. In Caracas drängen sich derweil Hunderte vor dem Präsidentenpalast Miraflores, um Formulare für die bolivarische Miliz auszufüllen. Frauen mit Einkaufstaschen, alte Männer mit zitternden Händen, Angestellte im grauen Büroanzug – sie alle folgen Maduros Aufruf, sich gegen die „imperialistische Bedrohung“ zu wappnen. Es ist ein Schauspiel des Wahnsinns auf beiden Seiten des karibischen Meeres.

Donald Trump verdoppelt das Kopfgeld auf Nicolás Maduro auf 50 Millionen Dollar – eine Summe, die mehr nach Wildwest-Romantik klingt als nach Diplomatie des 21. Jahrhunderts. Karoline Leavitt, Sprecherin des Weißen Hauses, wiederholt gebetsmühlenartig, man werde „alles in der Macht Stehende“ tun, um den Drogenhandel aus Venezuela zu zerschlagen. Doch was Trump hier inszeniert, ist nicht nur moralisch fragwürdig, sondern schlicht illegal. Nach Artikel 2 der UN-Charta ist die Souveränität eines Staates unantastbar. Militärische Interventionen sind nur mit Mandat des UN-Sicherheitsrats oder bei unmittelbarer Selbstverteidigung erlaubt. Venezuela bedroht die USA nicht. Trump hat kein Recht, dort einzumarschieren – egal wie oft er Maduro einen „Kartellführer“ nennt. Die Ironie dabei: Trump, der Mann, der selbst 34-mal wegen Fälschung von Geschäftsunterlagen verurteilt wurde, der Wahlniederlage leugnete und einen Mob aufs Kapitol hetzte, spielt sich als moralische Instanz auf. Ein verurteilter Straftäter, der einem mutmaßlichen Drogenbaron mit Kriegsschiffen droht – es ist die Groteske einer Weltordnung, die jeden Kompass verloren hat.

Das System Maduro: Ein Staat als Familienbetrieb

Maduros Regime ist keine Erfindung Washingtons, sondern brutale Realität. Seine Ehefrau Cilia Flores, die sich „Primera Combatiente“ nennen lässt, kontrolliert als ehemalige Parlamentspräsidentin zentrale Machtpositionen. Ihre Neffen sitzen in amerikanischen Gefängnissen – verurteilt zu 18 Jahren Haft wegen Kokainschmuggels. Sohn Nicolás Maduro Guerra, liebevoll „Nicolasito“ genannt, hat seine Finger im staatlichen Ölsektor und in den Goldminen des Amazonas. Es ist ein Familienbetrieb, der sich als Revolution tarnt.

Das „Cartel de los Soles“ – benannt nach den Sonnenabzeichen der Generäle – ist das eigentliche Rückgrat der Macht. Internationale Ermittler haben dokumentiert, wie venezolanisches Gold über Scheinfirmen in Dubai, Istanbul und Teheran gewaschen wird. Kokain wird tonnenweis über militärisch kontrollierte Routen nach Europa und Nordamerika verschifft. Der Geheimdienst SEBIN foltert laut UN-Berichten systematisch, die Spezialkräfte FAES haben zwischen 2018 und 2019 mindestens 6.856 Menschen außergerichtlich hingerichtet. Das ist kein gescheiterter Staat mehr, es ist ein Verbrechersyndikat mit UN-Sitz.

Doch die Bevölkerung spielt mit. Als Maduro zur Mobilisierung ruft, kommen sie tatsächlich. Nicht aus Überzeugung, sondern aus Kalkül. Wer sich einschreibt, sichert sich vielleicht ein CLAP-Lebensmittelpaket, eine Stelle im aufgeblähten Staatsapparat, oder schlicht die Garantie, nicht als „Verräter“ markiert zu werden. Im Museum der Militärgeschichte zeigt man den neuen Rekruten eine Ausstellung über die Blockade venezolanischer Häfen im frühen 20. Jahrhundert, danach paradieren Maschinengewehre, Granatwerfer, Panzerfäuste. Die Botschaft ist klar: Wir sind im Krieg, und wer nicht mitmacht, ist der Feind. Maduro spricht von 4,5 Millionen Milizionären, die er mobilisieren will. Das International Institute for Strategic Studies zählte 2020 gerade mal 343.000. Aber auf Zahlen kommt es nicht an. Es geht um die Bilder: Schlangen von Freiwilligen, schwenkende Fahnen, ein Präsident, der den „heiligen Eid auf Chávez“ beschwört. Es ist Theater, aber ein Theater mit echten Waffen und echten Toten.

Trumps völkerrechtswidrige Drohkulisse

Was Trump aufführt, ist nicht weniger grotesk. Die „Responsibility to Protect“, auf die sich manche Befürworter einer Intervention berufen, erfordert ein UN-Mandat. Die USA haben das nicht. Selbst der Vorwurf des Drogenhandels – und sei er noch so begründet – gibt völkerrechtlich kein Recht zur militärischen Intervention. Strafverfolgung von Staatsoberhäuptern ist Aufgabe internationaler Gerichtsbarkeit, nicht unilateraler Kanonenbootpolitik.

Trump weiß das. Seine Berater wissen das. Trotzdem schicken sie Zerstörer, erhöhen Kopfgelder, stufen venezolanische Gruppen wie Tren de Aragua als Terrororganisationen ein. Es ist die gleiche Arroganz, die 2003 zum Irak-Krieg führte – eine „präventive“ Aggression, die Hunderttausende Tote und ein zerstörtes Land hinterließ. Libyen, Syrien, Afghanistan – die Liste amerikanischer Interventionen, die im Chaos endeten, ist lang. Und jetzt Venezuela? Die Doppelmoral ist atemberaubend. Während Washington Chevron die Lizenz zur Ölförderung in Venezuela verlängert – das Geschäft muss schließlich weitergehen –, droht man gleichzeitig mit Invasion. Man tauscht Gefangene aus, verhandelt im Hinterzimmer, und schickt parallel die Marine. Es ist die Schizophrenie einer Außenpolitik, die zwischen Geschäftsinteressen und Großmachtfantasien pendelt.

Donald Trump hat bereits den Befehl gegeben. US-amerikanische F-22-Kampfjets überfliegen Caracas, und die US-Armee bereitet sich darauf vor, in Venezuela einzumarschieren. Das Ziel ist klar: die Festnahme von Nicolás Maduro.

Das Volk zwischen allen Fronten

Für die venezolanische Opposition ist Trumps Säbelrasseln ein zweischneidiges Schwert. María Corina Machado, seit Jahren Symbolfigur des Widerstands, dankt Trump „zutiefst“ für das Kopfgeld. Aus dem sicheren Exil ist es leicht, Eskalation zu bejubeln. Doch im Land selbst sind die Gefühle gemischt. Zu oft hat man erlebt, wie ausländische Versprechen verpufften. Die gescheiterte „humanitäre Hilfe“ an der kolumbianischen Grenze 2019, der Putschversuch mit Juan Guaidó, die Operation Gideon 2020 – alles endete im Fiasko. „Wir haben keine Kraft mehr für Erwartungen“, sagt eine Frau auf dem Markt von Petare, Caracas‘ größtem Armenviertel. Sie steht seit vier Uhr morgens für subventioniertes Maismehl an. Trumps Kriegsschiffe sind für sie so weit entfernt wie der Mond. Was zählt, ist der tägliche Überlebenskampf: Wo bekomme ich Medikamente? Wann kommt der Strom zurück? Wie ernähre ich meine Kinder? Diese schweigende Mehrheit ist die eigentliche Tragödie Venezuelas. Sie marschiert nicht für Maduro, aber auch nicht dagegen. Sie hat gelernt, im Ausnahmezustand Normalität zu simulieren. Während oben die Generäle am Kokainhandel verdienen und unten die Milizen paradieren, versucht sie einfach nur zu überleben. Die Hyperinflation hat ihre Ersparnisse vernichtet, die Emigration ihre Familien zerrissen – über sieben Millionen Venezolaner haben das Land verlassen. Wer bleibt, tut es nicht aus Überzeugung, sondern aus Mangel an Alternativen.

Die internationale Verstrickung

Venezuela ist längst keine souveräne Nation mehr, sondern Spielball globaler Interessen. Russland liefert Waffen und Söldner der Wagner-Gruppe, die Türkei kauft illegal gefördertes Gold, der Iran tauscht Öl gegen Technologie, Kuba schickt Geheimdienstoffiziere, die das Überwachungssystem perfektioniert haben. Jeder holt sich sein Stück vom Kuchen, während das Land ausblutet. Die Europäische Union verhängt Sanktionen und kauft gleichzeitig, wie auch unsere letzten Recherchen gezeigt haben, venezolanisches Öl über Mittelsmänner. China hat Milliardenkredite vergeben und lässt sich in Öl bezahlen – zu Spottpreisen. Es ist ein globales Schmierentheater, bei dem alle von Menschenrechten reden und mit Verbrechern Geschäfte machen.

Im Präsidentenpalast Miraflores wird derweil die Paranoia zum System. „Es gibt viele Feiglinge, die es nicht wagen, mir ins Gesicht zu sagen, was sie denken“, wettert Maduro vor versammelten Generälen. Er sieht Verräter überall, zweifelt an der Loyalität der eigenen Kader. Die ständige Rotation von Ministern und Militärs ist kein Zeichen von Stärke, sondern von Schwäche. Wer zu mächtig wird, fliegt. Wer zu reich wird, wird gefährlich. Es ist die Logik jeder Mafia: Vertraue niemandem, kontrolliere alles.

Die Militarisierung der Hoffnungslosigkeit

Die Bilder aus Caracas sind verstörend: Alte Männer, die kaum ihre Formulare halten können, schreiben sich in die Miliz ein. Mütter mit Kleinkindern auf dem Arm schwören den Eid auf Chávez. Es ist keine Begeisterung, es ist Resignation. Man macht mit, weil die Alternative noch schlechter erscheint. In einem Land, wo der Mindestlohn bei umgerechnet 3 Dollar im Monat liegt, ist jedes staatliche Almosen überlebenswichtig.

Die Propaganda läuft auf Hochtouren. Im Staatsfernsehen werden die amerikanischen Kriegsschiffe in Endlosschleife gezeigt, unterlegt mit dramatischer Musik. Verteidigungsminister Vladimir Padrino López spricht von einer „erfundenen Narrativ, um Aggressionen zu rechtfertigen“. Außenminister Yván Gil warnt vor einer Gefährdung der gesamten Region. Es sind die immer gleichen Phrasen, so oft wiederholt, dass sie selbst für Regimeanhänger hohl klingen.

Doch die Mobilisierung hat System. Jeder, der sich einschreibt, wird erfasst, kategorisiert, kontrolliert. Die Miliz ist nicht nur militärische Reserve, sondern soziales Kontrollinstrument. Wer dabei ist, bekommt Privilegien. Wer fehlt, wird markiert. Es ist die perfide Logik totalitärer Systeme: Mache alle zu Komplizen, dann gibt es keine Unschuldigen mehr.

Der Preis der Eskalation

Was beide Seiten verschweigen, ist der Preis, den das venezolanische Volk zahlt. Jede Drohung Trumps stärkt Maduros Position. Jede Mobilisierung Maduros rechtfertigt Trumps Aggression. Es ist ein Teufelskreis, bei dem beide Seiten gewinnen – nur Venezuela verliert. Die Wirtschaft, bereits am Boden, kollabiert weiter. Internationale Investoren fliehen, die Ölproduktion sinkt, die Infrastruktur zerfällt. Krankenhäuser ohne Medikamente, Schulen ohne Lehrer, Fabriken ohne Strom – das ist die Realität jenseits der großen Gesten. Während Maduro von vier Millionen kampfbereiten Milizionären fantasiert, sterben Kinder an heilbaren Krankheiten. Während Trump Millionenbelohnungen auslobt, verhungern Menschen in einem der einst reichsten Länder Lateinamerikas. Die Zahlen sind erschütternd: 82% der Bevölkerung leben in Armut, 7,2 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, die Mordrate gehört zu den höchsten der Welt. Doch diese Statistiken werden weder in Washington noch in Caracas erwähnt. Sie passen nicht ins Narrativ vom heroischen Widerstand oder der demokratischen Befreiung.

Die globale Heuchelei

Die internationale Gemeinschaft schaut zu und heuchelt Betroffenheit. Die UN verabschiedet Resolutionen, die niemand umsetzt. Die Organisation Amerikanischer Staaten debattiert endlos, ohne zu handeln. Der Internationale Strafgerichtshof ermittelt im Schneckentempo. Alle wissen, was in Venezuela passiert, niemand tut etwas dagegen. Deutschland verkauft keine Waffen mehr an Venezuela, aber deutsche Firmen machen weiter Geschäfte über Drittländer. Spanien friert Konten ein, aber spanische Unternehmen profitieren vom Ausverkauf venezolanischer Assets. Die Schweiz blockiert Vermögen, aber Schweizer Rohstoffhändler verdienen am Gold aus dem Amazonas. Es ist die Doppelmoral einer Weltordnung, die Moral predigt und Geschäfte macht. Selbst die lateinamerikanischen Nachbarn sind gespalten. Kolumbien und Brasilien nehmen Millionen Flüchtlinge auf, kritisieren Maduro, aber scheuen die Konfrontation. Mexiko und Argentinien lavieren zwischen Prinzipien und Pragmatismus. Kuba, Nicaragua und Bolivien stützen das Regime, profitieren von billigem Öl. Es ist ein Kontinent, der zwischen Solidarität und Eigeninteresse zerrissen ist.

Das Ende der Illusionen

Was in Venezuela passiert, ist mehr als eine bilaterale Krise zwischen Washington und Caracas. Es ist der Zusammenbruch einer Gesellschaft, orchestriert von innen und beschleunigt von außen. Maduro hat aus dem Land eine Geisel gemacht, Trump behandelt es wie einen Schießstand. Beide Männer brauchen einander: Maduro braucht den äußeren Feind, um von internem Versagen abzulenken. Trump braucht den Schurkenstaat, um außenpolitische Stärke zu demonstrieren. Die venezolanische Bevölkerung hat längst aufgehört, an Rettung zu glauben. Nicht an Maduro, der sie seit Jahren belügt. Nicht an Trump, der sie als Kollateralschaden seiner Machtspiele sieht. Nicht an die Opposition, die aus Miami große Reden schwingt, aber keine Lösungen bietet. Sie hat verstanden, dass sie allein ist in diesem Spiel der Mächtigen.

Caracas

Auf den Straßen von Caracas herrscht eine gespenstische Normalität. Die Märkte sind voll, die Menschen gehen ihrer Arbeit nach, soweit es noch Arbeit gibt. Man hat gelernt, mit dem Wahnsinn zu leben. Die Kriegsschiffe vor der Küste sind nicht bedrohlicher als die tägliche Gewalt, die Milizen nicht furchteinflößender als die Colectivos, die seit Jahren die Viertel terrorisieren. Es ist diese Abstumpfung, die vielleicht das Tragischste ist. Ein Volk, das nicht mehr empört ist, nicht mehr hofft, nicht mehr kämpft. Ein Volk, das zusieht, wie zwei Männer mit seinem Schicksal spielen, und weiß, dass es ohnehin verlieren wird. Die Schlangen vor den Rekrutierungsbüros werden länger, aber die Gesichter bleiben leer. Man unterschreibt, man marschiert, man überlebt. Mehr ist nicht drin im Venezuela des Jahres 2025.

Die Aussicht: Nichts

Am Ende wird sich wenig ändern. Die amerikanischen Zerstörer werden irgendwann abziehen oder durch andere ersetzt. Maduro wird weiter regieren oder durch einen ähnlichen Autokraten ersetzt werden. Die Generäle werden weiter am Drogenhandel verdienen, die Politiker weiter das Land ausplündern, das Volk weiter leiden. Vielleicht gibt es irgendwann einen Deal. Die USA bekommen ihr Öl, Maduro bekommt Garantien, alle waschen ihre Hände in Unschuld. Oder es gibt eine Eskalation, einen „begrenzten“ Militärschlag, der alles noch schlimmer macht. Oder es geht einfach so weiter, jahrelang, jahrzehntelang, bis Venezuela nur noch eine Fußnote in den Geschichtsbüchern ist. Was sicher ist: Beide Männer, Trump und Maduro, werden dieses Spiel nicht verlieren. Sie haben nichts zu verlieren, was sie nicht schon verloren hätten – Trump seine Glaubwürdigkeit, Maduro seine Legitimität. Sie werden weitermachen, weil Macht ihre einzige Währung ist. Und Venezuela? Venezuela ist bereits verloren. Nicht an Trump, nicht an Maduro, sondern an die Gleichgültigkeit einer Welt, die zuschaut und schweigt.

Überrascht natürlich nicht – Auch Putin macht Geschäfte mit Venezuela

Die wahre Tragödie ist nicht, dass zwei Narzissten um die Macht kämpfen. Die wahre Tragödie ist, dass ein ganzes Volk dabei zugrunde geht, und niemanden kümmert es wirklich. Die Schlangen vor den Miliz-Büros werden länger, die Kriegsschiffe kommen näher, und Venezuela stirbt leise vor sich hin. Es ist der Showdown der Verzweifelten, bei dem es nur Verlierer gibt – außer jenen, die schon immer vom Chaos profitiert haben.

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Ela Gatto
Ela Gatto
1 Monat zuvor

Und das Alles seit so vielen Jahren.
Und all die Heuchelei und moralische Appelle.

Das ist wie mit den Epstein Files.
Jahrzehntelang bekannt, alle wussten es jnd keiner griff ein.
Dort die Minderjährigen und in Venezuela fast ein ganzes Volk.

Berichte darüber in den Medien? Fehlanzeige.

Molly Holly
Molly Holly
1 Monat zuvor

Es berichtet nie jemand darüber. Danke das ihr das macht.

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