Der Schutz der Täter – Wie Trumps Justizministerium das Schweigen heiliger spricht als das Leid von Kindern

VonRainer Hofmann

Juli 21, 2025

Es war ein Schritt, der alles infrage stellt, was ein demokratischer Staat über Verantwortung zu wissen meint: Am 19. Juli 2025 hat das US-Justizministerium unter Präsident Donald Trump aktiv dazu beigetragen, ein Gesetz des Bundesstaates Washington zu blockieren, das katholische Priester verpflichten sollte, sexuellen Kindesmissbrauch zu melden – selbst dann, wenn er im Beichtstuhl offenbart wurde. Die Gesetzesvorlage SB 5375 war im Mai von Gouverneur Bob Ferguson unterzeichnet worden. Sie hätte am 27. Juli in Kraft treten sollen. Doch im Verfahren Etienne v. Ferguson, Case No. 3:25-cv-05415-DGE, intervenierte das US-Justizministerium auf Seiten der katholischen Kirche. Es war ein selten klarer Akt politischer Parteinahme – und ein moralisches Bekenntnis, das das Vertrauen in staatliche Verantwortung grundlegend erschüttert. Im Mittelpunkt des Verfahrens steht der Fall Etienne v. Ferguson, benannt nach dem Erzbischof von Seattle, Paul D. Etienne, der gemeinsam mit anderen Bischöfen des Bundesstaates Klage gegen Gouverneur Ferguson eingereicht hatte. Die Kläger beriefen sich auf das verfassungsmäßig geschützte Beichtgeheimnis und sahen sich durch das Gesetz in ihrer Glaubensausübung bedroht. Der Fall entwickelte sich rasch zu einem Grundsatzstreit über die Grenzen religiöser Immunität im säkularen Rechtsstaat. Der zuständige Bundesrichter David G. Estudillo, ernannt unter der Biden-Regierung, folgte den Argumenten des DOJ – und entschied in einer 25-seitigen Anordnung, das Gesetz sei mit hoher Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig. Die Beichte sei ein geschütztes Sakrament. Die staatliche Verpflichtung, Missbrauch zu melden, verletze die Religionsfreiheit unter dem First Amendment. Dabei war es das DOJ selbst, das diesen Konflikt mit aller Wucht auf die Bühne geholt hatte – mit einer sogenannten Religious Freedom Priority Order, ausgestellt am 28. Februar 2025, unterzeichnet von Präsident Trump und registriert unter Executive Order 14099. Sie legt fest, dass das Justizministerium jeden Gesetzesvorschlag überprüfen soll, der als potenzielle Einschränkung religiöser Praktiken gedeutet werden könnte. Das Gesetz zum Schutz missbrauchter Kinder wurde so zum Ziel einer politischen Agenda, die nicht den Schutz, sondern die Macht heiligt.

Die Reaktion war verheerend. Der demokratische Senator Noel Frame, federführend bei der Ausarbeitung von SB 5375, sprach von einem historischen Rückschlag: „Kinder werden weiterhin leiden, weil religiöse Autoritäten, denen sie vertrauen, nicht zur Rechenschaft gezogen werden.“ Besonders zynisch ist dabei, dass sich das Beichtgeheimnis erneut als Schlupfloch für systemischen Missbrauch erweist – ein Muster, das sich durch Jahrzehnte kirchlicher Skandale zieht. Der 2018 veröffentlichte Grand Jury Report aus Pennsylvania dokumentierte über eintausend namentlich bekannte Opfer und stellte fest, dass zahlreiche Taten im Rahmen von Beichten offenbart, aber nie gemeldet wurden. Und auch wenn katholische Funktionäre seit Jahren beteuern, man habe aus diesen Skandalen gelernt, ist nun klar: Die institutionelle Schutzmauer steht wieder. Höher denn je. Gestützt vom Staat. Wir sind in diese Recherchen tief eingebunden – in Kooperation mit Child USA, dem Center for Constitutional Rights sowie Betroffenenorganisationen aus sieben Bundesstaaten. In Gesprächen mit Whistleblowern, Anwälten und ehemaligen kirchlichen Ermittlern wird ein erschreckend klares Bild sichtbar: Das Schweigen im Beichtstuhl ist nicht bloß ein theologisches Prinzip, sondern ein funktionaler Bestandteil eines strukturellen Schutzsystems. Es schützt nicht das Heilige – es schützt Täter. Und es dient der Machterhaltung eines Apparats, der sich ungern hineinregieren lässt.

Die Parallelen zum Fall Epstein sind keine rhetorische Übertreibung, sondern juristisch greifbar. Auch dort standen Schweigekreise, Loyalität und institutionelle Interessen über dem Schutz der Kinder. Auch dort waren es politische und wirtschaftliche Verflechtungen, die Ermittlungen blockierten. Und auch dort existieren Dokumente, die nie veröffentlicht wurden – gesperrt aus Rücksicht auf Institutionen, nicht auf Gerechtigkeit. In beiden Fällen, Epstein wie Etienne v. Ferguson, zeigt sich eine erschütternde Konstante: Kindesmissbrauch wird nicht selten nicht nur übersehen, sondern aktiv vor dem Recht geschützt – durch Verfahren, Verzögerung, Vertraulichkeit. In Beichtstühlen, in geschwärzten Akten, in politischen Dekreten. Was sich nun in den Vereinigten Staaten vollzieht, kann ein Präzedenzfall für Europa werden. In Polen, Frankreich und selbst in Teilen Deutschlands wird das Beichtgeheimnis bereits politisch instrumentalisiert – als Bollwerk gegen staatliche Transparenz. Der nun erfolgte Erfolg der Trump-Regierung vor Gericht dürfte fundamentalistische Gruppen weltweit bestärken. Das Signal ist eindeutig: Wer genug Einfluss hat, kann moralische Prinzipien in verfassungsrechtliche Ausnahmen verwandeln. Dabei geht es längst nicht mehr um einzelne Priester, nicht um Dogmen oder Sakramente. Es geht um das Verhältnis zwischen Staat und Schutzpflicht. Um die Frage, ob das Leben eines Kindes weniger wiegt als das Schweigen eines Mannes im Priestergewand. Und es geht um die erschreckende Erkenntnis, dass eine Regierung, die sich dem Schutz religiöser Einrichtungen verschreibt, bereit ist, dafür das Leid von Kindern zu ignorieren. Der Fall wird vermutlich vor dem Supreme Court enden. Doch schon jetzt ist klar, wie tief die politische Einflussnahme reicht. Von den neun Richter:innen wurden sechs von Trump nominiert oder gestützt. Der Ausgang ist vorhersehbar. Und das Urteil, das am Ende gefällt wird, wird nicht nur über Washington entscheiden – sondern über die Frage, ob Schweigen weiterhin eine heilige Handlung bleibt. Oder endlich als das benannt wird, was es in diesen Fällen ist: Beihilfe zur Vertuschung systemischen Missbrauchs.

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Kernbeißer
Kernbeißer
3 Monate zuvor

Fehlen einfach grade alle Worte.

Ela Gatto
Ela Gatto
3 Monate zuvor

Die katholische Kurche ist, so traurig es ist, seit Jahrhunderten ein Ort des Missbrauches.

Es ging mit Hexenverbrennungen lis, estranged zu 90 % Frauen.

Als das Thema „durch war“ (Ironie) ging es so richtig mit dem Missbrauch los.
Nonnen, in Internaten und dann die Kinder „von nebenan“

Seit Jahrzehnten gibt es nur Vertuschung und Blockade.
Priester werden nicht verurteilt, exkommuniziert, nein sie werden einfach nur versetzt und machen weiter.

Die katholische Kirche ist in meinen Augen die größte unbehelligte Pädophilengemeinschaft.
Von wegen Nächstenliebe.
Priester, die nicht der Pädophilie frönen, schauen weg. Wie kann man das nur mit dem katholischen Glauben vereinbaren? Wie können die noch in den Spiegel schauen?

Und Jeder in der katholische Kirche, der behauptet, er weiß nichts von den tausenden Missbrauchsfällen Lüge.
Jeder! Auch die Päpste. In deren Umfeld gab es mit Sicherheit, sichtbaren Missbrauch.
Aber man schaut weg.
Den Viele wollen Karriere machen. Bischof werden. Vielleicht sogar Papst.

Also macht man in diesem kranken System mit. Findet vielleicht selber gefallen daran.
Alles auf dem Rücken der Kinder.

Aber ein Priester, der dazu steht sich in eine erwachsene Frau verliert zu haben und das Zölibat damit in Frage stellt, wird umgehend exkommuniziert.

Was stimmt in deren Können nicht?

Und Trump kann sich als Bewahrer religiöser Interessen präsentieren.

Vielleicht ein Schachzug in der Eostein Affäre?
Es gab sicher Mädchen, die sich aus Angst und Scham nur ihrem Priester anvertraut haben.

Ela Gatto
Ela Gatto
3 Monate zuvor
Ela Gatto
Ela Gatto
3 Monate zuvor
Antwort an  Rainer Hofmann

Das ist das schlimme.
Und auch hier wird brav den Worten Gottes gefolgt … alles im Schema „es kann nicht sein, was nicht sein darf“.

Und so werden noch viele, viele Kinder leiden.

Ich kann nicht soviel 🤮🤮🤮🤮🤮 wie ich möchte

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