Der Preis der Verblendung – Warum Deutschland aufpassen muss, nicht Trump Verhältnisse zu importieren

VonRainer Hofmann

September 9, 2025

Die Zahlen sprechen eine brutale Sprache: 62 von 100 Punkten auf der Skala finanzieller Not. Texas, Florida und Louisiana – ausgerechnet jene Bundesstaaten, die sich als Leuchttürme konservativer Politik inszenieren – führen die amerikanische Statistik der Zwangsräumungen, Privatinsolvenzen und geplatzten Kredite an. Besonders Texas ist ein Paradox: Mit einem Bruttoinlandsprodukt von über 2,9 Billionen Dollar gilt der Bundesstaat als siebtgrößte Volkswirtschaft der Welt – noch vor Ländern wie Kanada oder Südkorea. Und doch leben laut US Census Bureau über 14 Prozent der Texaner unterhalb der Armutsgrenze, fast jeder Fünfte hat keine Krankenversicherung, und die Zahl der Menschen ohne regelmäßige Gesundheitsversorgung ist höher als in jedem anderen US-Bundesstaat.

Die Diskrepanz könnte nicht größer sein: Auf der einen Seite boomt die Öl- und Gasindustrie, ziehen Technologie- und Raumfahrtunternehmen nach Austin und Houston, feiert der Gouverneur einen „texanischen Wirtschaftswunderstaat“. Auf der anderen Seite stehen Millionen Menschen vor Zwangsräumungen, kämpfen mit horrenden Stromrechnungen, und in den ländlichen Gegenden schließen Krankenhäuser reihenweise, weil sie unterfinanziert sind. Laut dem U.S. Department of Agriculture lebt mehr als ein Viertel der texanischen Kinder in Haushalten, die als „food insecure“ gelten – ein Euphemismus dafür, dass regelmäßig Mahlzeiten ausfallen müssen.

2025 – Gefährliche Zeiten für Demokratie

Florida und Louisiana zeigen ein ähnliches Bild: Tourismus, bis Trump kam, und Energieindustrie sorgten für Rekordgewinne, doch die Bevölkerung zahlt den Preis. Die Mieten in Miami sind in den letzten fünf Jahren um mehr als 60 Prozent gestiegen, während der Medianlohn stagniert. In Louisiana liegt die Lebenserwartung auf dem Niveau von Albanien, die Kindersterblichkeit ist eine der höchsten der USA. Diese Zahlen sind nicht nur ein amerikanisches Problem – sie sind ein warnendes Signal für Europa. Wer in Deutschland eine Partei wählt, die neoliberale Deregulierung, Steuergeschenke für Konzerne und die Zerschlagung sozialer Sicherungssysteme predigt, sollte genau hinschauen, was aus Texas geworden ist: eine gigantische Wirtschaftsmacht, die auf dem Rücken von Millionen Menschen gebaut ist, die ohne Absicherung leben. Eine Zukunft, die näher rückt, wenn man die aktuellen Umfragewerte betrachtet: Union und AfD liegen gleichauf bei 25,5 Prozent. Was in Amerika bereits Realität ist, droht zum deutschen Albtraum zu werden.

Der Mechanismus ist immer derselbe: Erst kommt das große Versprechen. Die Befreiung vom „System“, die Rückkehr zu vermeintlich besseren Zeiten, die einfachen Lösungen für komplexe Probleme. In Texas versprach man den Menschen Wohlstand durch Öl und Gas, Freiheit durch weniger Staat, Sicherheit durch härtere Grenzen. Das Ergebnis? Familien, die ihre Stromrechnungen nicht mehr bezahlen können, während die Energiekonzerne Milliardengewinne nach Europa exportieren. Krankenhäuser am Rande des Kollaps. Eine Lebenserwartung, die zu den niedrigsten der USA gehört. Die AfD kopiert dieses Drehbuch mit erschreckender Präzision. Keine Windräder, keine Solaranlagen, dafür die Rückkehr zu fossilen Brennstoffen – als hätte man die Energiekrise von 2022 bereits vergessen, als Putin den Gashahn zudrehte und Deutschland in die Knie zwang. Es ist die gleiche verhängnisvolle Logik: Man macht sich abhängig von Autokraten, um dann überrascht zu sein, wenn diese Abhängigkeit als Waffe eingesetzt wird.

Die Eskalation der Gewalt

Die hervorragende BBC-Grafik über russische Raketen- und Drohnenangriffe ist mehr als nur eine Statistik. Sie ist ein Seismograf politischer Konsequenzen. Mit Trumps Amtsantritt im Januar 2025 explodieren die Zahlen: von etwa 2.000 auf über 6.000 Angriffe pro Monat. Es ist kein Zufall, dass Moskau genau in dem Moment eskaliert, in dem Washington signalisiert, dass Aggression keine Konsequenzen mehr hat. Putin versteht diese Sprache. Er versteht, dass ein Amerika unter Trump nicht mehr der Garant westlicher Werte ist, sondern ein unsicherer Kantonist, der die Ukraine fallen lassen würde wie eine heiße Kartoffel.

Und hier schließt sich der Kreis zur AfD. Eine Partei, die Putin „versteht“, die seine Propaganda nachplappert, die den Aggressor zum Opfer verklärt und das überfallene Land zum Schuldigen macht. Es ist die gleiche moralische Bankrotterklärung, die man aus Mar-a-Lago hört. Die gleiche Verachtung für demokratische Werte, für territoriale Integrität, für das Völkerrecht. Wer eine solche Partei wählt, stimmt nicht nur für eine politische Alternative – er stimmt für die Kapitulation vor der Tyrannei.

Tino Chrupalla wirkt, als lebe er in einer Parallelwelt – er spricht über Russland, als hätte er nicht bemerkt, dass Putin ein souveränes Land überfallen hat, Kriegsverbrechen begehen ließ und jede Form von Demokratie verachtet.

Die Massaker von Butscha, die verschleppten ukrainischen Kinder, die systematische Zerstörung ziviler Infrastruktur – all das wird ausgeblendet, relativiert, geleugnet. Stattdessen inszeniert man sich als Friedenspartei, als hätte Chamberlain 1938 in München den Frieden gesichert und nicht den Weg in den Weltkrieg geebnet. Geschichte wiederholt sich nicht, heißt es. Aber sie reimt sich. Und der Reim, den wir heute hören, klingt verdammt nach den 1930er Jahren.

Das Zeitalter der Deportation

„The Age of Deportation“ titelte der New Statesman, und das Cover-Bild brennt sich ins Gedächtnis: Menschen in orangefarbenen Anzügen, aufgereiht wie Vieh, marschieren in den Bauch eines Flugzeugs. Es ist die visuelle Manifestation einer Politik, die Menschen zu Nummern degradiert, zu Problemen, die es zu „lösen“ gilt. In Los Angeles hat der Supreme Court gerade erst entschieden, dass die Einwanderungsbehörde ICE wieder Menschen allein aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Sprache oder ihres Arbeitsplatzes kontrollieren darf. Richterin Sonia Sotomayor warnte eindringlich vor einem „Missbrauch des Eilverfahrens“, der die verfassungsmäßigen Rechte von Millionen opfert.

Die AfD-Rhetorik von „Remigration“ und „Asylstopp“ ist keine harmlose Wahlkampfpolemik. Es ist die sprachliche Vorbereitung auf genau solche Szenen. Heute spricht man von „konsequenter Abschiebung“, morgen von Sammellagern, übermorgen von Sonderbehandlung. Die Entmenschlichung beginnt immer mit der Sprache. In Ruanda nannte man die Tutsi „Kakerlaken“, bevor man sie abschlachtete. In Nazi-Deutschland waren es „Parasiten“ und „Volksschädlinge“. Die AfD spricht von „Messermännern“ und „Kulturbereichern“ – der Zynismus kaum verhüllt, die Absicht glasklar. Man muss sich die Szenen aus Texas vor Augen führen: Familien, die mitten in der Nacht auseinandergerissen werden. Kinder, die weinend zusehen, wie ihre Eltern in Handschellen abgeführt werden. Arbeitgeber, die ihre Belegschaft verlieren, weil die Hälfte plötzlich „illegal“ ist. Gemeinden, die ausbluten, weil die Menschen, die sie am Leben hielten, deportiert wurden. Das ist keine dystopische Fiktion. Das ist die Realität in den USA seit Januar 2025. Und es ist das, was die AfD importieren will.

Der Tweet „Die AfD ist unvermeidlich“ unter dem New Statesman-Cover ist mehr als geschmacklos – er ist eine Drohung. Eine Ansage, dass man bereit ist, die gleiche menschenverachtende Politik zu implementieren. Dass man die Bilder von weinenden Kindern und verzweifelten Familien nicht als Warnung, sondern als Blaupause versteht.

Der Preis der Verblendung

Es sind genau die Bundesstaaten mit der härtesten Anti-Migrations-Politik, der radikalsten Ablehnung erneuerbarer Energien und dem lautesten Geschrei nach „Freiheit“, in denen die Menschen am meisten leiden. Unsere unabhängig recherchierte Statistik zeigt eindeutig: Texas, Florida und Louisiana führen nicht nur bei der finanziellen Not, sie sind auch Spitzenreiter bei fehlender Krankenversicherung, bei Teenager-Schwangerschaften, bei Analphabetismus. Das ist kein Zufall, sondern System. Die republikanische Politik verspricht den „kleinen Leuten“ Erlösung und liefert Elend. Sie verspricht Arbeitsplätze durch fossile Industrien und liefert Umweltzerstörung. Sie verspricht Sicherheit durch Abschottung und liefert soziale Verwerfungen. Und während die Durchschnittsfamilie in Texas ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlen kann – in einem Staat, der vor Energieressourcen nur so strotzt! –, scheffeln die Öl- und Gaskonzerne Milliardengewinne. Es ist die perfekte Illustration dessen, was Noam Chomsky „Sozialismus für die Reichen, Kapitalismus für die Armen“ nannte.

Nevada mit einem Score von 58, South Carolina mit 56 – die Liste liest sich wie eine Karte des republikanischen Amerikas. Währenddessen haben Vermont (21), ein Ausnahmefall, Oregon (30) und andere demokratisch regierte Staaten die niedrigsten Werte finanzieller Not. Der Gouverneur von Vermont (Phil Scott) ist zwar Republikaner, aber er gehört zum moderaten Flügel der Partei und regiert in einem klar blauen Staat. Der Kontrast könnte nicht deutlicher sein. Und doch will die AfD genau dieses gescheiterte Modell nach Deutschland importieren. Die Warnung, die aus diesen Zahlen spricht, ist unmissverständlich: Rechtspopulistische Politik macht nicht reich, sondern arm. Sie macht nicht frei, sondern abhängig. Sie macht nicht sicher, sondern vulnerabel. Die 62 Punkte von Texas sind keine abstrakte Statistik – sie bedeuten Familien, die ihr Zuhause verlieren, Kranke, die sich keine Behandlung leisten können, Kinder, die hungrig zur Schule gehen.

Die junge Generation in Nepal hat dieser Tage gezeigt, was passiert, wenn das Maß voll ist. Sie brannte das Parlament nieder, zwang den Premierminister zum Rücktritt, jagte die politische Klasse in die Flucht. Es war ein Akt der Verzweiflung, geboren aus der Erkenntnis, dass die traditionellen demokratischen Mittel versagt hatten. Deutschland muss nicht erst an diesen Punkt kommen. Noch hat die Bevölkerung die Wahl. Noch können sie entscheiden, ob sie den Sirenengesängen der Populisten folgen oder aus den Fehlern anderer lernen.

Die Warnsignale sind unübersehbar. Texas, Florida und Louisiana zeigen, wohin rechtspopulistische Politik führt: nicht zu Wohlstand, sondern zu Armut; nicht zu Sicherheit, sondern zu Chaos; nicht zu Freiheit, sondern zu Unterdrückung. Die Eskalation russischer Aggression unter Trump zeigt, was passiert, wenn Demokratien vor Autokraten kuschen. Die Deportationsmaschine der USA zeigt, wie schnell aus Rhetorik Realität wird.

Wer jetzt noch glaubt, mit der AfD werde alles besser, kann das gerne machen. Es ist sein Recht, aber Selbstreflexion und ein unabhängiges Nachfragen haben noch nie geschadet. Die Geschichte lehrt uns, dass der Weg in die Tyrannei mit Versprechen gepflastert ist. Versprechen von Größe, von Reinheit, von einfachen Lösungen. Am Ende bleibt nur Asche. Die Frage ist nicht, ob wir es besser wissen könnten. Die Frage ist, ob wir es besser machen wollen. Die Antwort darauf geben wir an der Wahlurne. Jede Stimme für die AfD ist eine Stimme für das texanische Modell des sozialen Elends, für die trumpsche Kapitulation vor Putin, für die Deportationsmaschine, die Menschen zu Nummern macht.

Die Geschichte verzeiht keine Wiederholungsfehler.

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Irene Monreal
Irene Monreal
2 Monate zuvor

„Freiheit“ im Sinne aller Faschisten heißt: Du musst dein Leben selbst finanzieren. Ohne Absicherung, ohne sozialen Rückhalt, ohne Hilfe, wenn deine Bedingungen von Anfang an schlecht sind. Krankheit, Arbeitslosigkeit, Scheidung, Großereignisse wie Naturkatastrophen oder Epidemien – alles kein Anlass, Hilfe zu bekommen, alles natürliche Auslese, wenn du es nicht selbst schaffst.
Testosteron bestimmt die Welt, denn nur mit Gewalt und Ellenbogen gehst du vielleicht nicht unter.
Ich hasse diese Vorstellung und wenn es den Faschisten gelingt, in Europa die Oberhand zu gewinnen, auch noch bestens begleitet durch andere Großmächte, dann wird es hundert Jahre dauern, bis sich die ersten demokratischen Strukturen wieder durchsetzen können.

Heinrich
Heinrich
2 Monate zuvor

Niemand braucht die AFD in Deutschland. Ich verstehe nicht warum viele die Lügen dieser Partei glauben.

Ela Gatto
Ela Gatto
2 Monate zuvor

Populismus verfängt sich vor allem bei Menschen mit niedrigem Bildungsstand.

Warum wohl wird die Bildung in den USA (und nicht nur da)gradlinig zerstört?
Homeschooling? Wunderbar… bleibt in Eurer Bubble, lernt nicht wirklich
Kürzungen und Streichungen von Schulmitteln. Damit wird unterrichten schwierig.
Kürzungen/Streichungen für Kinder einkommensschwacheren Familien, damit diese Kinder noch weniger Chancen haben.
Unterrichtspläne die die politische Linie zu 100% widerspiegeln.

Louisiana mit der höchsten Kindersterblichkeit…. um es mal ganz sarkastisch zu sagen „Das erklärt, warum keinerlei Abtreibungen erlaubt sind“
Ähnlich in Texas

Aber hat nicht New Mexico die Rate mit den wenigstens Menschen nit Krankenversicherung

AfD, aber auch BSW, beides Parteien, die populistische Parolen schwingen und Russland „vergöttern“.
Simple und vor allem laute Parolen ziehen leider immer mehr Leute in ihren Bann, als Fakten und echte Lösungen.

Mir macht es große Angst, dass sich weltweit die Autokratien und Diktaturen ausbreiten.

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