Der neue Kalte Krieg des Handels – Wenn zwei herrschen, verliert der Rest

VonRainer Hofmann

Oktober 15, 2025

Es ist ein globaler Schlagabtausch ohne Kanonen, aber mit ähnlicher Zerstörungskraft. Was einst als technokratisches Instrument ökonomischer Steuerung galt – Zölle, Visa, Exportbeschränkungen – ist längst zu einer Waffe geworden, präzise kalibriert auf politische Loyalität. Donald Trumps Handelskrieg gegen China und Xi Jinpings Antwort darauf haben die Welt in einen Zustand permanenter wirtschaftlicher Unsicherheit versetzt. Die neue Weltordnung wird nicht auf Schlachtfeldern entschieden, sondern in den Häfen von Shanghai, in den Stahlwerken von Wales, in den Forschungszentren von Peking – und auf den Konten jener Nationen, die zwischen den Fronten zerrieben werden. Als Trump in diesem Sommer die Einfuhrzölle auf Stahl, Aluminium und Holz auf bis zu 50 Prozent erhöhte, präsentierte er das als patriotische Tat, als Schutz amerikanischer Arbeitsplätze gegen die „Ausbeutung durch Peking“. Tatsächlich löste er eine Kettenreaktion aus, die wie ein Dominoeffekt über Kontinente sprang. Europa konterte mit eigenen Abgaben auf chinesischen Stahl, Kanada, Brasilien und Mexiko folgten mit protektionistischen Reflexen. Chinas Antwort war subtiler, aber nicht minder folgenreich: Exportbeschränkungen für seltene Erden, jene unscheinbaren Metalle, ohne die kein Smartphone, keine Turbine, kein Elektroauto existieren kann.

Europas Autobauer stecken mitten in einer Krise, die sie selbst kaum kontrollieren können. Der Mangel an seltenen Erden, Batteriematerialien und Halbleitern legt ganze Produktionsketten lahm. Fabriken drosseln ihre Auslastung, Lieferzeiten explodieren, und Investoren warnen vor einem strukturellen Rückschlag für die Industrie. Was einst als Rückgrat der europäischen Wirtschaft galt, steht nun im Schatten globaler Machtspiele – zwischen Washingtons Zollpolitik und Pekings Exportbeschränkungen.

Der Effekt war unmittelbar. Europäische Autohersteller meldeten Engpässe bei Magnetsystemen, asiatische Chipfabriken stornierten Bestellungen, und die Preise für High-Tech-Materialien schnellten nach oben. Ein Ökonom der London Business School sprach von einem „volatilen Beziehungschaos“, das sich jeder klassischen Prognose entzieht. In Washington und Peking wird jede wirtschaftliche Bewegung inzwischen als strategische Geste interpretiert, jede Zollerhöhung als Teil eines politischen Schachzugs.

Während Trump droht, die Einfuhr chinesischer Waren vollständig zu verdoppeln, kämpft China an einer anderen Front: der wissenschaftlichen. Peking versucht, den wachsenden Fachkräftemangel in Forschung und Technologie durch ein neues Visaprogramm zu kompensieren – ausländische Wissenschaftler und Ingenieure sollen ins Land gelockt werden, um die heimische Innovationskraft zu stärken. Doch der Plan löste einen Sturm aus. Junge Chinesen, die selbst unter steigender Arbeitslosigkeit leiden, sahen darin eine Provokation. Nationale Influencer schürten Ressentiments, sprachen von „kultureller Selbstaufgabe“, und ein führender Ökonom, der das Programm verteidigte, wurde auf sozialen Medien als „Volksverräter“ beschimpft.

Damit offenbart sich eine Parallele zwischen Washington und Peking, die beide Seiten bestreiten würden, die aber offensichtlich ist: Beide Regierungen appellieren an den verletzten Stolz ihrer Nationen, beide pflegen das Narrativ der Bedrohung – von außen wie von innen. In den USA heißt der Feind „Globalismus“, in China „fremde Einflussnahme“. In Wahrheit ist es die gleiche politische Grammatik: Angst als Mittel zur Mobilisierung, Protektionismus als Ersatz für Zukunftsvision.

Die Folgen reichen weit über die Hauptakteure hinaus. Indien, das von Trump wegen seiner Ölimporte aus Russland sanktioniert wurde, hat sich demonstrativ Peking angenähert. Premierminister Modi reiste im August erstmals seit sieben Jahren nach China – ein symbolischer Schulterschluss, der das fragile Gleichgewicht Asiens neu sortiert. Mexiko wiederum beugte sich dem Druck Washingtons und belegte chinesische Autos mit 50 Prozent Einfuhrsteuer, um auf der „richtigen Seite“ zu stehen. So entsteht ein globales Netz von Zwangsbündnissen, das nicht auf gemeinsamer Überzeugung, sondern auf Furcht vor Repression beruht.

Gleichzeitig wird deutlich, dass das Zeitalter der vernetzten Märkte an seine politischen Grenzen stößt. Großbritannien glaubte, nach dem Brexit von Trumps Zollpolitik profitieren zu können, doch als die EU vergangene Woche ihre eigenen Strafzölle auf Stahl verhängte, traf es ausgerechnet jene britischen Werke, die 80 Prozent ihrer Exporte nach Europa schicken. „Wir sind Kollateralschaden in einem Krieg, den wir nie wollten“, sagte ein Gewerkschaftsvertreter aus Wales.

Für die Verbraucher mögen die billigen Autos aus China wie ein Geschenk wirken – erschwinglich, modern, effizient. Doch was heute als Triumph des Marktes erscheint, kann sich morgen als sein Untergang erweisen. Hinter den niedrigen Preisen stehen massive staatliche Subventionen, künstlich gedrückte Produktionskosten und eine Industriepolitik, die weniger auf Wettbewerb als auf Dominanz zielt. Wenn westliche Hersteller ihre Position verlieren, droht eine neue Abhängigkeit – diesmal nicht von Öl, sondern von chinesischen Lieferketten. Was als Vorteil für Konsumenten begann, könnte sich bald als strukturelles Risiko für die gesamte Weltwirtschaft erweisen – und am Ende zahlen die Verbraucher selbst den Preis. Peking und Washington drängen andere Länder, Position zu beziehen. Auf massiven Druck der USA hin kündigte Mexiko – einer der wichtigsten Abnehmer chinesischer Autos – im vergangenen Monat an, Fahrzeuge aus China künftig mit einem Einfuhrzoll von 50 Prozent zu belegen.

Während westliche Volkswirtschaften über Deindustrialisierung klagen, ringt China mit einem entgegengesetzten Dilemma: einer Überproduktion von Akademikern, die in einer stagnierenden Wirtschaft keinen Platz finden. Die Jugendarbeitslosigkeit ist auf ein Rekordniveau gestiegen, und viele sehen im Visaprogramm zur Anwerbung ausländischer Forscher ein Symbol der Entfremdung – ein Staat, der seine eigenen Talente übergeht, um globale Anerkennung zu erkaufen. Doch hinter der nationalistischen Fassade steht eine nüchterne Erkenntnis: Chinas Regierung weiß, dass technologische Vorherrschaft nicht ohne internationale Kooperation möglich ist. Peking produziert zwar mehr MINT-Absolventen als jedes andere Land, doch deren Anteil an der Gesamtbevölkerung bleibt geringer als in vielen westlichen Staaten. In Schlüsselindustrien wie Halbleiterfertigung und Künstlicher Intelligenz fehlen zehntausende hochqualifizierte Experten. Der Versuch, diese Lücke mit Visa zu schließen, zeigt, wie brüchig das Fundament der vermeintlichen Supermacht tatsächlich ist.

Trump dagegen setzt weiter auf Abschottung – auf eine Ökonomie der Mauern, die kurzfristig Schlagzeilen bringt, langfristig aber Wohlstand zerstört. Die „America First“-Politik hat weder die Industrie zurückgebracht noch das Defizit verringert. Stattdessen verlagern Konzerne ihre Produktion in Drittstaaten, um Strafzölle zu umgehen, während amerikanische Konsumenten die Rechnung in Form höherer Preise zahlen. Das Ergebnis ist eine Welt, die in wirtschaftlichen Schützengräben lebt. Der globale Handel, einst Motor des Fortschritts, wird zum Instrument geopolitischer Machtdemonstration. In den Häfen dieser Welt stauen sich Container, während in den Köpfen der Regierenden ein gefährlicher Irrglaube wächst: dass man die Zukunft sichern kann, indem man sie blockiert.

Die Ironie liegt auf der Hand – sowohl Trump als auch Xi versprechen ihren Völkern Souveränität, doch beide schaffen Abhängigkeit. Der eine von einer Nostalgie, die sich nicht mehr reindustrialisieren lässt, der andere von einem Fortschrittsmythos, den die eigene Bevölkerung nicht mehr glaubt. Zwischen beiden entsteht ein Vakuum, das die Welt füllt: unsicher, nervös, in permanenter Reaktion. Lucrezia Reichlin von der London Business School brachte es jüngst auf den Punkt: „Die Weltwirtschaft bleibt integriert, aber sie wird von Angst regiert.“ Ein Satz, der klingt wie ein Fazit dieser Epoche – und wie eine Warnung vor dem, was passiert, wenn wirtschaftliche Instrumente zu ideologischen Waffen werden.

Denn am Ende zeigt sich: Der neue Kalte Krieg ist kein Wettstreit zwischen Systemen, sondern zwischen Realitäten. Eine davon ist ökonomisch. Die andere ist erfunden.

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Ela Gatto
Ela Gatto
8 Stunden zuvor

Und wir können eigentlich gar nichts dagegen unternnehmen.

Europa kniet vor Trump in Sachen Zöllen.
China wird eeinerseits argwöhnisch beobachtet und mit Zöllen belegt, andererseits wird der Handel intensiviert.

Und dann ist da noch der Kriegskönig Putin.
Der fester Allianzen mit China, Indien, Nord Korea geschlossen hat.

Wo bleiben wir „kleinen Bürger“?
Wir werden es ausbaden und es wird nicht gut laufen.
Europa bekommt es einfach nicht hin.

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