Es gibt Geschichten, die nur das 21. Jahrhundert schreiben kann – Geschichten, in denen die Absurdität nicht länger Ausnahme, sondern System ist. Die Geschichte von Henri Édouard Proglio ist so eine. Während Frankreich Waffen an die Ukraine liefert, während Dassault-Kampfflugzeuge über Charkiw verteidigen, sitzt ausgerechnet ein Mann im Kontrollzentrum der französischen Rüstungsindustrie, der sein zweites Standbein tief in die Strukturen des Kremls geschlagen hat. Nicht als Randfigur. Sondern als zentraler Verwalter. Henri Proglio ist Mitglied des Aufsichtsrats von Dassault Aviation, Vorsitzender des Prüfungsausschusses, zuständig für Risikokontrolle und Transparenz. Er überwacht die Lieferketten, prüft Verträge, genehmigt Strukturen. Gleichzeitig ist er Teil der Geschäftsführung von ABR Management – jener Konstruktion, die russisches Vermögen in der Dunkelkammer des Systems Putin verwaltet. Proglio sitzt dort Seite an Seite mit Kirill Kovalchuk, dem Neffen von Putins langjährigem Finanzvertrauten Juri Kovalchuk, und mit Mikhail Klishin, Direktor der Bank Rossiya – beide auf Sanktionslisten der USA, der EU, Großbritanniens und Kanadas. Henri Proglio: nicht. Diese Dreierkonstellation, offiziell dokumentiert und unverändert seit Kriegsbeginn, ist kein Zufall, sondern Funktion. ABR Management verwaltet Anteile an der Bank Rossiya, dem kremlnahen Versicherer SOGAZ und der Medienholding NMG – alles Bausteine jenes Netzwerkes, das Putins Macht nicht nur absichert, sondern alimentiert. Von 2022 bis 2024 erhielt das Managementteam – mit Proglio – über 110 Millionen Rubel an Vergütungen. In der Sprache der Buchhaltung: „Leistungsentgelt“. In der Sprache der Realität: Honorare für das Schweigen im richtigen Moment.

Parallel dazu laufen Proglios eigenen Firmen weiter: Henri Proglio Consulting, AP Energy Advisory und Mezhproject sind nach wie vor im russischen Handelsregister aktiv. Zwischen 2022 und 2024 erzielten sie zusammen 633 Millionen Rubel Umsatz – mehr als 7,6 Millionen Dollar. Bemerkenswert ist nicht nur der Umfang dieser Einkünfte, sondern ihre Struktur: In mehreren Fällen entfielen über 90 Prozent der Einnahmen auf „sonstige Erträge“, die dann fast vollständig in „Verwaltungsausgaben“ überführt wurden. Anders gesagt: Geld, das kam – und direkt wieder verschwand. Besonders heikel wird dies, wenn man weiß, dass AP Energy Advisory selbst im Krisenjahr 2024 46,1 Millionen Rubel einnahm – und davon 45,2 Millionen als „Verwaltungsausgaben“ verbuchte. Im selben Zeitraum wurden über diese Strukturen auch Ausgaben des Energieprojekts Akkuyu in der Türkei abgewickelt, einem Atomkraftwerk unter Aufsicht von Rosatom – wo Proglio ebenfalls im Aufsichtsrat sitzt. Ein Projekt, das vollständig von Russland finanziert wird und Proglio als Verbindungsglied zwischen französischer Technologie und russischem Staatskapital zeigt. All das geschieht, während Proglio weiter regelmäßig nach Moskau reist. Offizielle Dokumente belegen Aufenthalte auch nach dem 24. Februar 2022, darunter eine Reise im Juni 2025 – inmitten des Kriegs, mitten im internationalen Sanktionsregime. Und während Paris in diplomatischen Erklärungen die russische Aggression verurteilt, verlässt der Mann, der über militärische Verträge mit der Ukraine mitentscheidet, unbehelligt französischen Boden Richtung Moskau. Ein Consigliere, der in beiden Systemen das Ohr der Macht hat.

Dass er nicht längst entfernt wurde, ist ein Skandal mit Ankündigung. Denn Proglio steht nicht im Abseits – er ist der Mann im Zentrum. Über Jahre hinweg war er CEO des Energieriesen EDF, später Vorstandsvorsitzender von Thales, heute tief verwoben in den Kontrollgremien von Dassault Aviation. Der französische Staat hält Anteile an beiden Konzernen, die Ukraine zählt zu den Abnehmern. Und Proglio? Sitzt auf der Brücke und kontrolliert den Kurs – selbst dann, wenn dieser Kurs direkt durch Putins Schattenreich führt. Wer verstehen will, wie politische Moral untergeht, muss nicht nach Moskau blicken. Man muss nur beobachten, wie ein Mann mit offenen Verbindungen zu einem sanktionierten russischen Netzwerk in Frankreich bis heute mit dem Prüfauftrag für Rüstungsprojekte betraut wird. Die Frage ist nicht mehr, ob das ein Interessenkonflikt ist. Sondern, wie viele Schichten man darüberlegen muss, damit er nicht mehr sichtbar ist. Frankreich mag die Ukraine militärisch unterstützen. Henri Proglio unterstützt – nachweislich, systematisch, ungebremst – den Kreml. Die Sprache der Demokratie kennt dafür nur ein Wort: untragbar.
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Unglaublich.
Das erinnet mich an Scientology in Frankreich.
Wo plötzlich alle Ermittlungen eingestellt wurden.
Hier ist auch alles bekannt und Frankreichs Regierung reagiert nicht.
Sie könnte, wenn sie wollte.
Wahrscheinlich geht das noch tiefer, als Ihr so sorgfältig aufgedeckt habt.