Norfolk, Virginia – Es ist ein Bild, das zugleich vertraut und verzweifelt wirkt: Barack Obama steht auf einer Bühne, die Sonne bricht durch graue Wolken, die Menge jubelt, und für einen kurzen Moment scheint alles wieder so zu sein wie früher. Der frühere Präsident, längst Symbol einer besseren Zeit für die Demokraten, ist zurück auf dem Wahlkampfpfad – als letzter Anker einer Partei, die längst nicht mehr weiß, wer sie ist.
Obama spricht in Norfolk, einer Stadt mit zwei traditionsreichen schwarzen Universitäten und der größten Marinebasis der USA. Später am Tag reist er nach Newark, New Jersey, wo fast die Hälfte der Bevölkerung schwarz ist. Zwei Orte, zwei Kandidatinnen – Abigail Spanberger in Virginia und Mikie Sherrill in New Jersey –, beide stehen stellvertretend für eine Partei, die dringend auf ein Zeichen der Stärke hofft. Am Dienstag wird gewählt, und beide Demokratinnen gelten als Favoritinnen. Aber der eigentliche Star der Kampagne ist keiner von ihnen. Es ist der Mann, der vor acht Jahren abtrat und doch nie ganz gegangen ist. Obama übernimmt wieder die Rolle, die nur er ausfüllen kann: die des moralischen Schlussredners, des rhetorischen Erlösers einer Partei, die nach den verheerenden Niederlagen von 2024 orientierungslos zurückblieb – ohne Mehrheiten, ohne Richtung, ohne Gesicht. Jetzt ist er zurück, um wenigstens den Eindruck von Führung zu vermitteln.

Seine Reden sind weniger triumphal als mahnend. In Norfolk zieht er über die Republikaner her, aber nie übermäßig aggressiv. Er spricht von Verantwortung, von Anstand, von der Pflicht, das Land wieder zusammenzuführen. „Abigail’s Gegnerin scheint sich sehr darum zu kümmern, was Trump und seine Clique treiben“, sagt Obama, ohne die republikanische Kandidatin Winsome Earle-Sears beim Namen zu nennen. „Sie lobt ein Steuergesetz, das die Kosten für Gesundheit, Wohnen und Energie in Virginia erhöhen würde. Es ist, als wäre jeder Tag Halloween – nur mit Tricks, aber ohne Süßes.“ Das Publikum lacht. Dann wird er ernster: „Ich habe euch gewarnt.“ Zwei Stunden später steht er in Newark, spricht von wirtschaftlicher Gerechtigkeit und wiederholt: „Es gibt absolut keinen Beweis dafür, dass republikanische Politik das Leben der Menschen in New Jersey verbessert hat.“ Wieder meidet er Namen, doch jeder weiß, dass er den Republikaner Jack Ciattarelli meint – einen zweifachen Verlierer, diesmal von Trump persönlich als „100 Prozent MAGA“ geadelt. Obama kontert trocken: „Kein besonders gutes Empfehlungsschreiben.“

Zwischen den Auftritten ruft Obama den New Yorker Bürgermeisterkandidaten Zohran Mamdani an – ein Zeichen, dass der einstige Präsident mehr als nur Symbolfigur ist. Hinter den Kulissen versucht er, der orientierungslosen Partei eine Richtung zu geben, die seit Monaten taumelt. Denn die Demokraten sind gespalten zwischen Pragmatismus und Prinzipien, zwischen Verzweiflung und Nostalgie. Biden und Harris halten sich auffällig zurück. Die Partei hat keinen neuen Fixstern. Stattdessen kehrt man zu dem alten zurück, weil niemand sonst die Herzen erreicht. Die wirtschaftliche Lage ist verheerend. Der von Trump angezettelte Haushaltsstillstand lähmt das Land seit Wochen. Hunderttausende Bundesbedienstete erhalten keine Gehälter, andere verlieren ihre Jobs durch Stellenstreichungen im Zuge des sogenannten „Department of Government Efficiency“. Besonders hart trifft es Virginia, wo viele Bundesangestellte leben. Und während der Shutdown anhält, droht Millionen Amerikanern der Verlust ihrer Lebensmittelhilfe – das SNAP-Programm steht vor dem Aus.
„Wir werden Spenden für die Community Food Bank of New Jersey sammeln“, sagt Mikie Sherrill auf einer Kundgebung. „Die Trump-Regierung lässt die SNAP-Mittel auslaufen – Familien müssen wieder auf Tafeln angewiesen sein.“ In Virginia erklärt die republikanische Regierung den Notstand und schiebt die Schuld auf die „Demokraten“. Doch in Wirklichkeit ist es die Entscheidung des Präsidenten selbst, die Millionen in den Hunger treibt.
Am Freitag ordneten drei Bundesgerichte an, die Trump-Regierung müsse Notfallmittel einsetzen, um SNAP weiter zu finanzieren – ein juristischer Dämpfer für einen Präsidenten, der Sozialprogramme als „Kostenfalle“ bezeichnet. Spanberger, einst CIA-Agentin, heute politische Realistin, nutzt den Moment. „Ihr verdient eine Gouverneurin, die mit beiden Parteien arbeitet, um die Wirtschaft zu stärken – nicht eine, die tatenlos zusieht, während Virginias Arbeitskräfte angegriffen werden“, ruft sie ins Mikrofon. In New Jersey wettert Sherrill gegen Trump: „Ich bin wütend, dass unser Präsident alles kürzt – vom Gateway-Tunnel bis zu den Lebensmittelhilfen. Aber ich habe keine Angst. New Jersey gibt mir Mut.“

Doch die Realität bleibt kompliziert. In New Jersey ist das Rennen knapper als in Virginia. Demokraten fürchten, dass Trumps Zugewinne unter schwarzen und hispanischen Wählerinnen und Wählern aus dem letzten Jahr erneut greifen könnten. Sherrill nennt diese Gruppe den „Schutzwall der Demokratie“. Ihr Erfolg hängt davon ab, ob sie diesen Wall stabil halten kann. Gleichzeitig erschüttert ein Skandal die Demokraten in Virginia: Jay Jones, der Kandidat für das Amt des Generalstaatsanwalts, hat 2022 Gewaltfantasien über einen republikanischen Abgeordneten geäußert – per Textnachricht. Spanberger verurteilte die Nachrichten, zog ihre Unterstützung aber nicht zurück. Obama und sie erwähnten Jones bei der Kundgebung kein Wort. Die Bühne bleibt rein, die Kontroverse bleibt draußen.
Und doch: Wo immer Obama auftritt, flammt so etwas wie Hoffnung auf. In Newark rufen ihm die Menschen zu: „We miss you!“ – Wir vermissen dich. Er lächelt müde. „Das Land und die Politik“, sagt er, „sind gerade an einem sehr dunklen Ort.“ Ein Satz, der nachklingt. Die Republikaner nutzen seine Rückkehr als Waffe. „Spanberger und Sherrill haben keine zukunftsweisende Agenda“, spottet Courtney Alexander von der Republikanischen Gouverneursvereinigung. „Deshalb klammern sie sich an die Gesichter einer gescheiterten Vergangenheit.“
Doch vielleicht ist es gerade das, was die Demokraten jetzt brauchen: ein Gesicht, das an Zeiten erinnert, in denen Politik noch etwas bedeutete. Obama ist kein Parteichef mehr, kein Präsident, kein Kandidat. Aber er ist das letzte moralische Kapital, das die Demokraten besitzen – die lebende Erinnerung daran, dass Politik Würde haben kann. „Es gibt keine größere Stimme, keine respektiertere Stimme in unserer Partei als Barack Obama“, sagt Ken Martin, Vorsitzender des Demokratischen Nationalkomitees. Und während Obama die Hände hebt, lächelt und vom Glauben an das Gute spricht, spürt man, dass er das weiß. Er weiß auch, dass er nicht ewig durchhalten kann. Aber für diesen Augenblick, in einem Land, das an seiner eigenen Zerrissenheit zu zerbrechen droht, ist er wieder der Präsident – nicht im Amt, aber im Herzen seiner Partei. Der letzte Demokrat, der noch den Ton trifft, den Amerika einmal kannte.
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Er kommt wahrscheinlich zu spät.
Ich schätze Obama sehr.
Menschlich und auch seine politisch diplomatische Art.
Ruhig aber bestimmt.
Nie laut, vulgär oder beleidigend.
Die Demokraten brauchen ihn.
Er ist zwar auch „alt“, aber immer noch mit Charisma.
Schumer ist ein „fauler Sack“, der an seinem Posten und der Vergangenheit klebt.
Das er für das letzte Gestz von Trump gestimmt hat (angeblich um schlimmeres abzuwenden), zeigt dass er die Realität verkennt.
Und so dümpelt die demokratische Partei.
In Kalifornien ist Newsom, sicher ein aussichtsreicher Kandidat.
Nur kann er die Partei hinter sich vereinen? Sie führen?
Gleiches gilt für den „stilleren“ Pritzker.
Bernie Sanders ist parteilos. Fällt damit und aufgrund seines Alters auch weg.
Es gibt Niemanden.
Und genau das macht es den Republikanern leicht.
Wären die Demokraten stark und geeint, würde das auch bei den Wählern ankommen.
Und ganz ehrlich, wer jetzt in Virginia als Schwarzer/Latino noch republikanisch wählt, dem ist nicht mehr zu helfen.
Da kann man nur bitter sagen „ihr werdet genau das bekommen, was ihr gewählt habt“
… aktuell 58% für die Demokraten 42% für die Reps in U.S. – Der Abstand wird größer