Der Doktor und das Desaster – Wie Dr. Phil die Wokeness besiegen wollte und an der Realität scheiterte

VonRainer Hofmann

Oktober 15, 2025

Es war einmal ein Mann, der glaubte, er könne die amerikanische Seele therapieren. Dr. Phil McGraw, der Fernsehpsychologe mit dem väterlichen Stirnrunzeln und dem warmen Texaner-Akzent, der Millionen Menschen mit den Worten „Wie fühlt sich das für Sie an?“ durch ihre Neurosen geführt hatte – bis er selbst beschloss, der größte Patient des Landes zu werden. Denn Amerika, so meinte Dr. Phil, sei krank. Zu sensibel. Zu woke. Zu sehr damit beschäftigt, über Pronomen zu streiten, statt Cowboyhüte zu tragen. Also gründete er Merit Street Media – eine Art Fox News mit Doktortitel. Ein Sender für all jene, die beim Wort „Diversität“ Pickel bekommen und glauben, Empathie sei eine kommunistische Verschwörung.

Was als konservative Erfolgsgeschichte geplant war, endete als Reality-Show über die Grenzen menschlicher Selbstüberschätzung. Die teure Studiokulisse, halb Nashville, halb Gottesurteil, wurde zum Symbol eines Unterfangens, das schon scheiterte, bevor es verstanden wurde. Millionen flossen in Kameras, Lichtanlagen und patriotische Bühnenbilder – rote, weiße und blaue Beleuchtung, so grell, dass selbst der amerikanische Adler vermutlich um Asyl in Kanada bat. Doch das Publikum blieb aus. Statt der erhofften Massen von empörten Patrioten kamen nur ein paar gelangweilte Senioren und zwei Influencer, die glaubten, „Merit Street“ sei eine neue Energy-Drink-Marke. Die Quoten lagen schneller am Boden als Dr. Phil’s Frisur im Texanischen Wind.

McGraw versuchte zu retten, was zu retten war. Er holte Prediger, ehemalige Trump-Berater und gescheiterte Country-Sänger vor die Kamera, um die „wahre Stimme Amerikas“ zu zeigen – ein Soundtrack aus Groll, Gnade und Gebrüll. Doch selbst seine treuesten Fans spürten, dass hier nicht der Therapeut sprach, sondern ein Mann, der sich in seiner eigenen Diagnose verfangen hatte: Narzissmus, Grad fünf, mit akuter Selbstvermarktungsneigung. Als die Produktionskosten explodierten, erklärten Investoren den Sender für „auf unbestimmte Zeit pausiert“. In Wahrheit heißt das: tot, beerdigt, vergessen – irgendwo zwischen Truth Social und den Resten von CNN+. Die Webseite zeigt noch immer das lächelnde Gesicht eines Mannes, der glaubte, er könne die Medienwelt mit gesundem Menschenverstand heilen. Doch das Rezept war abgelaufen, die Medizin vergiftet.

Ironischerweise war es genau die „Woke Culture“, über die Dr. Phil so gerne spottete, die ihm am Ende die letzten Zuschauer rettete – allerdings nicht aus Begeisterung, sondern aus Mitleid. Junge Satiriker zerlegten seine patriotische Talkshow in viralen Clips, TikTok-Analysten machten aus seinen Zitaten Memes, und auf Reddit kursiert der Satz: „Merit Street – wo Empathie stirbt und Egoismus Therapie heißt.“ So steht Dr. Phil heute vor den Scherben seiner Mission. Ein Mann, der einst Amerika erklärte, wie man Konflikte löst, hat nun selbst den größten aller Konflikte entfacht: den zwischen Selbstbild und Wirklichkeit. Sein Sender war keine Revolution, sondern eine Rückführung – in jene Welt, in der weiße Männer mit Mikrofonen sich für Schicksal halten.

Vielleicht hätte Dr. Phil sich selbst einmal auf seine berühmte Couch setzen sollen. Die Diagnose wäre einfach gewesen: Größenwahn, verstärkt durch Fox-News-Syndrom. Die Therapie: weniger Kamera, mehr Selbstreflexion. Doch das ist in Trumps Amerika die gefährlichste aller Krankheiten – Einsicht.Und so bleibt von Merit Street Media nur ein bitteres Echo. Kein Aufstand gegen die Wokeness, sondern eine Mahnung an alle, die glauben, Empörung sei ein Geschäftsmodell. Die letzte Szene der Sendung könnte nicht symbolischer sein: Dr. Phil, allein im Studio, umgeben von leeren Stühlen, murmelt in die Stille: „Wie fühlt sich das für Sie an?“

Amerika antwortet nicht. Es hat längst weggeschaltet.

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Ela Gatto
Ela Gatto
11 Stunden zuvor

Erstaunlich, dass die MAGA ihm nicht die Tür eingarannt haben.

Vielleicht, weil viele MAGA schlicht keine gute Anbindung an Internet etc haben?

Vielleicht belebt Kennedy ihn ja wieder.
Als Minister für Mental Health oder so.

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