Er ist ein Rest. Etwas, das Liegen blieb, weil es niemanden mehr gab, der es weiterreichen konnte. Jeffrey Epstein schrieb ihn aus der Haft. Das ist belegt. Manhattan Correctional Center. Untersuchungshaft. Wenige Tage vor seinem Tod. Der Umschlag wurde bearbeitet, gestempelt, zurückgeführt. Nicht zugestellt. Verwaltungssprache für einen einfachen Vorgang: Der Empfänger war unter dieser Adresse nicht mehr registriert. Der Brief blieb.

OBEN – UMSCHLAG / VERMERKE
J. Epstein
Manhattan Correctional
NYC, NY 10007Zurück an den Absender
HäftlingName und Nummer des Häftlings sind erforderlich, um den Empfänger korrekt zu identifizieren.
Unbefugter Empfänger.
Keine Genehmigung hinterlegt.
Nicht mehr unter dieser Adresse.Handschriftlicher Zusatz:
8500 Something Rd
85756LINKER TEXTBLOCK
Mädchen. Wenn eine junge Schönheit vorbeigeht,
geliebt, um sie zu „packen, zu entreißen“,
während wir am Ende
das Chaos der Systemhallen aufwischen.Das Leben ist unfair.
Dein
J. EpsteinRECHTER TEXTBLOCK
Lieber L. N.,
wie du inzwischen weißt,
habe ich den „kurzen Weg“
nach Hause genommen.Viel Glück! Wir teilten
eine Sache … unsere Liebe
und Fürsorge für junge
Frauen und die Hoffnung,
dass sie ihr volles
Potenzial erreichen.Unser Präsident teilt ebenfalls
unsere Liebe zu jungen,
beweglichenSTEMPEL
Zurück an den Absender
Häftling
Nicht mehr unter dieser Adresse
Was darin steht, ist schnell zusammengefasst. Epstein schreibt an Larry Nassar. Er schreibt an einer Stelle, fast beiläufig, ein Satz über den Präsidenten. Sinngemäß heißt es, auch er teile ihre Zuneigung zu jungen, gefügigen Mädchen. Der Satz ist kein Beweis, vielleicht nur Rache, vielleicht die Wahrheit. Er ist auch keine Enthüllung im klassischen Sinn. Er ist etwas anderes. Er ist ein Blick nach innen. In das Selbstverständnis eines Mannes, der wusste, dass er angeklagt war, und dennoch nicht schrieb wie jemand, der gefallen ist. Die Haft hat seine Sprache nicht verändert. Sie hat sie nicht gebrochen. Sie hat sie nicht vorsichtiger gemacht, vielleicht sein Fehler.

Epstein schreibt nicht wie jemand, der allein ist. Er schreibt wie jemand, der sich weiterhin zugehörig fühlt. Der Kreis, den er in seinen Worten zieht, war größer als die Zelle, es war seine narzisstische Haltung. Und sie ist konsistent mit dem, was Ermittlungen mehr und mehr ergaben. Der Brief aus der Haft fügt sich genau dort ein. Er wirkt nicht wie ein letzter Gedanke, sondern wie eine Fortsetzung. Keine Rechtfertigung. Kein Abschied. Eher ein Weiterdenken unter veränderten Umständen. Der Ton ist ruhig. Fast beiläufig. Und genau darin liegt seine Schwere. Es ist leicht, diesen Satz herauszulösen und ihn zu skandalisieren. Schwerer ist es, ihn auszuhalten. Ihn als das zu lesen, was er ist: ein Dokument dafür, wie selbstverständlich Nähe zu Macht empfunden wurde. Nicht behauptet, sondern vorausgesetzt.

Dass dieser Brief da ist, liegt nicht an einer Entscheidung Epsteins. Er liegt dort, weil er nicht zugestellt wurde. Weil Verwaltung manchmal unbeabsichtigt konserviert, was sonst verschwunden wäre. Der Brief blieb. Der Satz blieb. Und mit ihm ein Blick in ein Denken, das sich bis zuletzt sicher fühlte. Der Brief zeigt etwas wenig Banales und zugleich Beunruhigendes: wie normal sich ein System anfühlen kann, solange es trägt. Selbst dann, wenn es längst hätte zerbrechen müssen. Die Recherchen bei uns sind weiterhin voll im Gange und wir werden in den nächsten Wochen weitere Details veröffentlichen.
Fortsetzung folgt …
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Ich lese es auch unter einem anderen Aspekt. So wie er es schreibt, wollte er sich wirklich kurz danach umbringen? Man kann zumindest drüber nachdenken. 🤔
https://kaizen-blog.org/der-tod-in-zelle-9-anatomie-eines-unfalls-der-nie-einer-war/