Der Angriff auf Washington: Wenn erfundene Zahlen zur Machtübernahme werden und Trumps geistiger Zustand überprüft gehört

VonRainer Hofmann

August 12, 2025

Es gibt Momente in der Geschichte, die sich ins kollektive Gedächtnis einbrennen, weil sie zeigen, wie dünn der Firnis der Zivilisation tatsächlich ist. Der 11. August 2025 war ein solcher Moment. An diesem Montag stand Donald Trump im Briefing Room des Weißen Hauses, umringt von seiner Entourage aus Kabinettsmitgliedern, und vollzog etwas, das in der amerikanischen Geschichte ohne Beispiel ist: die faktische Entmachtung einer demokratisch gewählten Stadtregierung auf Basis nachweislich falscher Behauptungen, untermalt von einem Stapel bunter Statistiken, die bei näherer Betrachtung wie die Hausaufgabe eines überforderten Praktikanten wirkten. Was sich in diesen 78 Minuten abspielte, war keine normale Pressekonferenz.

Es war ein Frontalangriff auf die Realität selbst. Mit wedelnden Armen und einem Stapel Papiere, auf denen Zahlen prangten, die teilweise aus dem Jahr 2016 stammten, andere schlicht erfunden waren, malte Trump das Bild einer Hauptstadt im Würgegriff des Verbrechens. „Blutrünstige Kriminelle“, „umherziehende Horden wilder Jugendlicher“, „zugedröhnte Verrückte“ – die Sprache erinnerte mehr an einen dystopischen B-Movie als an eine präsidiale Ansprache. Die Realität? Washington erlebt gerade das niedrigste Niveau an Gewaltkriminalität seit drei Jahrzehnten. Die Mordrate ist um 32 Prozent gefallen, bewaffnete Autodiebstähle um 53 Prozent, Gewaltverbrechen insgesamt um 35 Prozent seit 2023. Karoline Leavitt, das in Trumps Orbit gestrandet wirkende Aushängeschild, ein braunes Hühnchen der radikalen Rechten, längst gefangen in der hermetisch abgeriegelten Wahnwelt ihres Project 2025, verbreitet Papiere, bei denen jeder geistig gesunde Mensch unwillkürlich den Kopf schüttelt. Washington wirkt unterdessen wie eine belagerte Stadt – beherrscht von einer entfesselten Meute politischer Hasardeure, angeführt von einem Präsidenten, dessen Amts- und Urteilsfähigkeit nur noch durch eine unabhängige medizinisch-psychologische Untersuchung verbindlich festgestellt werden müsste, um amtlich zu bestätigen, was sich dem nüchternen Beobachter längst offenbart.

Die Absurdität der Situation wurde vollends deutlich, als wir Journalisten begannen, Trumps bunte Grafiken zu überprüfen. Eine Tabelle, die angeblich die Mordrate Washingtons im internationalen Vergleich zeigte, verwechselte die Flaggen von Mexiko und Äthiopien. Lagos wurde als Hauptstadt Nigerias bezeichnet – ein Fehler, der seit 1991 peinlich ist, als Abuja diese Rolle übernahm. Die zitierten UN-Daten? Teilweise fast ein Jahrzehnt alt. Es war, als hätte jemand in letzter Minute Wikipedia-Artikel kopiert und hastig zu einer Präsentation zusammengeklebt, ohne sich die Mühe zu machen, auch nur die grundlegendsten Fakten zu überprüfen. Doch die handwerkliche Schlamperei war nur die Oberfläche eines viel tieferen Problems. Mit der Aktivierung von Section 740 des District of Columbia Home Rule Act vollzog Trump einen Akt, der in seiner Tragweite kaum zu überschätzen ist. Zum ersten Mal in der modernen Geschichte übernahm ein Präsident die Kontrolle über die Polizei einer amerikanischen Stadt nicht als Reaktion auf einen tatsächlichen Notstand, sondern als Machtdemonstration basierend auf einer erfundenen Krise. 800 Nationalgardisten wurden mobilisiert, 120 FBI-Agenten von ihren eigentlichen Aufgaben abgezogen und zu nächtlichen Patrouillen eingeteilt. Die Kosten? Millionen von Dollar täglich. Der Grund? Ein Phantom.

Die verfassungsrechtlichen Implikationen sind schwindelerregend. Zwar gibt der Home Rule Act dem Präsidenten theoretisch diese Befugnis, doch der Geist dieses Gesetzes von 1973 zielte auf echte Notfälle ab, nicht auf politisches Theater. Brian Schwalb, der Generalstaatsanwalt des Districts, nannte den Schritt „rechtswidrig“ – eine bemerkenswert scharfe Formulierung für einen Beamten, der normalerweise in juristischen Grautönen spricht. Human Rights Watch, eine Organisation, die sich sonst mit Diktaturen in fernen Ländern beschäftigt, sah sich genötigt, eine Warnung auszusprechen, die man normalerweise für Militärjuntas reserviert: „Die militärische Übernahme lokaler Strafverfolgung ist ein Vorbote des Autoritarismus.“

Die historische Ironie ist kaum zu ertragen. Derselbe Mann, der im Januar Hunderte von gewalttätigen Kapitol-Stürmern begnadigte – Menschen, die versucht hatten, die Zertifizierung einer demokratischen Wahl zu verhindern –, derselbe Mann, der diese Randalierer als „Helden“ und „Patrioten“ bezeichnete, steht nun da und erklärt Washington zur Kriegszone wegen einer Kriminalitätswelle, die nur in seiner Imagination existiert. Die Pressekonferenz selbst war ein Studium in präsidialem Chaos. Zwischen wirren Ausführungen über seine Immobilienerfahrung („Ich kenne mich mit Gebäuden aus, glauben Sie mir“) und einer verwirrenden Passage, in der er ankündigte, nach „Russland“ zu reisen – er meinte Alaska, wo er Vladimir Putin treffen sollte –, drohte Trump dem frisch vereidigten U.S. Marshal Gadyaces Serralta direkt ins Gesicht: „Wenn Sie weich sind, schwach und erbärmlich, wie so viele Menschen, werde ich Sie so schnell feuern.“ Es war ein Moment von so kruder Machtdemonstration, dass selbst hartgesottene Journalisten im Raum sichtbar zusammenzuckten. Bürgermeisterin Muriel Bowser, eine Frau, die in ihrer dritten Amtszeit gelernt hat, mit den Launen der Bundespolitik umzugehen, stand später vor der Presse und rang sichtlich um Fassung. „Verstörend und beispiellos“ nannte sie Trumps Aktion, fügte aber mit der Resignation einer Person hinzu, die ihre Machtlosigkeit kennt: „Ich kann nicht sagen, dass wir angesichts der Rhetorik der Vergangenheit völlig überrascht sind.“ Ihre Worte über die „schwankende Demokratie“ und die Notwendigkeit der Eigenstaatlichkeit für D.C. klangen wie der Hilferuf einer Geisel, die weiß, dass niemand kommen wird.

Die Reaktionen aus der Bevölkerung zeichneten ein Bild der Verwirrung und des Unglaubens. Auf den Straßen der Stadt, die Trump als apokalyptisches Schlachtfeld beschrieb, gingen Menschen ihrem normalen Leben nach. Cafés waren voll, Jogger liefen durch die Parks, Touristen fotografierten die Monumente. Sarah Struble, 37, aus Capitol Hill, brachte es auf den Punkt: „Ich bin keine besonders polizeifreundliche Person. Ich würde viel lieber sehen, dass Ressourcen in kommunale Unterstützung und Dienste fließen.“ Die Kluft zwischen Trumps Darstellung und der gelebten Realität könnte nicht größer sein. Besonders perfide ist Trumps Behauptung, das „bargeldlose Kautionssystem“ sei schuld an der angeblichen Kriminalitätswelle. Dabei wurde dieses System in Washington bereits in den 1990er Jahren reformiert – es funktioniert seit fast 30 Jahren und diente sogar als Vorbild for parteiübergreifende Reformen in New Jersey und New Mexico. Professor Kellen Funk von der Columbia Law School nannte Trumps Behauptung „nachweislich falsch und hetzerisch“. Die Studien, die Trump angeblich stützen? Eine einzige Untersuchung aus einem kalifornischen Landkreis während der COVID-Pandemie, methodisch umstritten und wissenschaftlich isoliert. Die ökonomische Verschwendung dieser Aktion ist atemberaubend. Konservative Schätzungen gehen von Kosten in Höhe von mehreren Millionen Dollar täglich aus. 800 Nationalgardisten, die von ihren regulären Aufgaben abgezogen wurden. 120 FBI-Agenten, die statt Terrorismus zu bekämpfen oder Wirtschaftskriminalität zu verfolgen, nun nachts durch Washington patrouillieren. Und wofür? Um eine Krise zu bekämpfen, die nicht existiert, in einer Stadt, die gerade ihre sichersten Jahre seit Jahrzehnten erlebt. Die internationale Dimension darf nicht übersehen werden. Was signalisiert es der Welt, wenn der Präsident der Vereinigten Staaten die eigene Hauptstadt als Kriegsgebiet bezeichnet und das Militär einmarschieren lässt? Diplomaten berichten von ungläubigen Reaktionen aus ihren Hauptstädten. „Ist das noch die Demokratie, die uns Lektionen erteilen will?“, fragte ein europäischer Botschafter, der anonym bleiben wollte. Die Parallelen zu autoritären Machtübernahmen in der Geschichte sind unübersehbar. Die Erfindung einer Krise, die Diskreditierung lokaler Autoritäten, die Mobilisierung von Sicherheitskräften, die Inszenierung als starker Mann, der Ordnung schafft – es ist das Drehbuch, das von Mussolini bis Erdoğan immer wieder verwendet wurde. Dass es nun in Washington aufgeführt wird, in der Hauptstadt der ältesten durchgehenden Demokratie der Welt, ist ein Moment von welthistorischer Tragweite.

Ankit Jain, einer der „Schatten-Senatoren“ des Districts – ein Titel, der die demokratische Farce unterstreicht, dass 700.000 Amerikaner keine echte Vertretung im Kongress haben –, wies auf eine besonders bittere Ironie hin: Trump selbst trägt zur Kriminalität bei, indem er es versäumt hat, Richter zu nominieren. Das D.C. Court of Appeals hat zwei von neun Richterstellen unbesetzt. „Was passiert, wenn man nicht genug Richter hat?“, fragte Jain. „Prozesse verzögern sich, Kriminalität steigt.“ Die 30-Tage-Frist, die das Gesetz für diese Übernahme vorsieht, mag wie eine Begrenzung erscheinen. Aber Präzedenzfälle, einmal geschaffen, haben die Tendenz, sich zu verselbstständigen. Wenn ein Präsident die Polizei einer Stadt übernehmen kann, basierend auf erfundenen Statistiken und bunten Grafiken, was hindert den nächsten daran, es für 60 Tage zu tun? Oder dauerhaft? Trump selbst deutete bereits an, dass Chicago, Los Angeles und andere Städte folgen könnten – allesamt, wenig überraschend, demokratisch regierte Metropolen. Die Szene im Briefing Room, als Trump seine Papiere schwenkte – manche Beobachter verglichen es mit einem Kind, das seine Buntstiftzeichnung präsentiert –, wird als ikonischer Moment in die Geschichte eingehen. Nicht weil sie Stärke demonstrierte, sondern weil sie die Fragilität demokratischer Normen offenlegte. Ein Mann mit einem Stapel falscher Statistiken kann die Kontrolle über die Polizei einer Hauptstadt übernehmen. Die Checks and Balances, auf die Amerika so stolz ist? Sie erwiesen sich als Papiertiger. Was wir am 11. August 2025 erlebten, war nicht nur ein Angriff auf Washington. Es war ein Angriff auf die Idee, dass Fakten zählen, dass Wahlen Konsequenzen haben, dass lokale Demokratie Respekt verdient. Es war der Moment, in dem ein Präsident mit bunten Blättern wedelnd die Realität für null und nichtig erklärte und seine eigene Version durchsetzte – unterstützt von 800 Gewehren und der Macht des Amtes. Die Frage, die bleibt, ist nicht, ob dies ein Wendepunkt in der amerikanischen Geschichte war. Das war es zweifellos. Die Frage ist, ob es der Punkt war, an dem die amerikanische Demokratie begann, sich in etwas zu verwandeln, das ihre Gründer nicht wiedererkennen würden. Wenn ein Präsident ungestraft eine Krise erfinden kann, um militärische Kontrolle über die Hauptstadt zu erlangen, dann ist die Republik in einer Gefahr, die alle statistischen Spielereien der Welt nicht verschleiern können. Washington mag heute sicherer sein als seit Jahrzehnten – zumindest was die Kriminalstatistik angeht. Aber die Demokratie? Die ist unsicherer als je zuvor seit dem Bürgerkrieg. Und das ist die eigentliche Krise, die keine bunten Kindergarten-Grafiken zeigen.

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Ela Gatto
Ela Gatto
2 Monate zuvor

Es war abzusehen, leider.

Trump hatte schon in seiner ersten Amtszeit gesagt, dass er den Sumpf Washington DC trocken legen will und Washington über kurz oder an Maryland angegliedert wird.

Der erste Schritt ist getan.
Los Angeles war ein Testlauf für den Einsatz von National Guard und Militär.
Begehrt das Volk massiv auf?
Nein?
Wie gut, dann kommt die nächste Stadt und dann, dann wahrscheinlich auch Bundesstaaten.
Wo sich doch gerade die Republikaner so gegen die Einmischung der Bundestegierung wehren… von wegen Freiheit und so.

Anstatt den Flutopfern in Texas zu helfen, wurde die Nationalgarde zum Schutz der ICE Agenten eingesetzt.
Zum Schutz derer, die ungesetzliche Razzien durchführen und Menschen ohne Grund festsetzen.

Und jetzt wieder.
Kentucky und andere Bundesstaaten haben Überflutungen, andere Bundesstaaten stehen in Flammen.
Aber die Nationalgarde wird für eine fiktive Kriminalitätswelt eingesetzt, anstatt dafür, wofür sie eigentlich steht.
Unterstützung in Notsituationen.

Wahrscheinlich sind Trumps Zahlen die Obdachlosen und Süchtigen. Die er allesamt für Kriminelle erklärt hat, per Dekret.
Damit hat er seinen sprunghaften Anstueg der Kriminalitätsrate.
Ganz perfekt nach Plan.

Und alle Obdachlosen werden „einen Platz bekommen, aber sehr weit weg von Washington DC“ … Trumps Worte.

Und wo bleibt der Aufschrei im Land?
Ich vernehme nichts groß in den Medien. Weder in den USA noch hier.

MAGA Feiertag, endlich ein Präsident der das korrupte Washington DC zurechtstutzt. Er hat natürlich jedes Recht die Nationalgarde einzusetzen ….. und so geht es bei den MAGA weiter.

Die Nationalgarde, die er ja angeblich am 6. Januar nicht zum Kapotol schicken konnte…… wo es einen echten Notstand gab.
Aber jetzt geht es.
Kostet Millionen. Millionen die bei Medicaid, Foodstamps und einfach bei der Bevölkerung fehlen.

Aber dennoch jubelt MAGA.
Die Demokraten schweigen, schweigen und schweigen.
Die paar Worte der Kritik seit Trumps Amtsübernahme sind lächerlich.

Es gab eine riesige landesweite Demo, die Hoffnung gab.
Aber das ist verpufft.
Es folgte darauf nicht mehr wirklich was.

Und due westlichen Welt schweigt auch, wie immer.
Sie halten Trump immer noch für einen normalen und vertrauenswürdigen Partner.
Verdammt, wann wachen die Blindfische endlich auf?

Trump trifft Putin und man liest „Merz glaubt an einen Durchbruch“,,

„Rutte spricht davon, dass Gebietsabtretungen der Ukraine für Frieden erforderlich seien… nur der facto, nicht de jure“ Für die Ukraine würde das keinen Unterschied machen.
Denn was de facto steht bleibt so. Man sieht es an der Krim.

Würden die Politiker, die darüber sinnieren, auch bereitwillig Teile ihres Landes abgeben?
Die dortige Bevölkerung in eine Diktatur schicken?

Wir steuern auf ganz schlimme Zeiten zu.
Weltweit.
Und ich sehe nicht, wie man es aufhalten kann, selbst wenn wir es Deutschland und einigen anderen Ländern schaffen unsere Demokratie zu bewahren.
Einer Invasion halten wir bicht stand.

Danke, dass Ihr Klartext reset.
Der Rest der Medien traut sich wohl nicht mehr.

Bitte macht weiter so und passt auf Euch auf

Angelika
Angelika
2 Monate zuvor
Antwort an  Ela Gatto

DANKE!!!

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