Die maskierten Männer kamen im Morgengrauen von East Palo Alto. Schwarz gekleidet, die Gesichter verhüllt, ohne erkennbare Abzeichen. Es ist der 26. August 2025, kurz nach 7 Uhr morgens, als sie sich dem Auto nähern, in dem Yenycey gerade auf den Fahrersitz wechselt. Die 47-jährige Mutter dreier Kinder will zur Arbeit fahren, wo sie als Haushaltshilfe jene Häuser putzt, deren Besitzer noch schlafen, während draußen bereits die Maschinerie des neuen Amerika ihre Arbeit aufnimmt. Ihr Mann Oscar war gerade bei Verwandten vorgefahren, um eine Mitfahrgelegenheit zur Arbeit zu bekommen. Ein Montag wie jeder andere für das Ehepaar – er Gärtner, sie Haushaltshilfe, beide Teil jener unsichtbaren Armee, die Kaliforniens Rasen mäht, seine Häuser putzt, seine Kinder hütet. Unsichtbar, bis zu jenem Moment, als die Männer in Schwarz sich als Polizei ausgeben.

Oscar rennt. Es ist kein heroisches Weglaufen, es ist der pure Überlebensinstinkt eines Mannes, der weiß, was diese Begegnung bedeutet. Aus sicherer Entfernung zückt er sein Telefon und filmt, wie sie seine Frau aus dem Auto zerren. Das verwackelte Video zeigt, wie sie Yenycey zwingen, sich auf den kalten Asphalt zu knien. Man hört eine Frau schreien. Sie legen ihr Handschellen an, und dann – ein dumpfer Aufprall – fällt sie in Ohnmacht. Die Agenten hieven den schlaffen Körper in ihr Fahrzeug. Oscar verfolgt seine Frau über die Ortungsfunktion seines Telefons, während die schwarzen Minivans fast eine Stunde durch die Straßen des Silicon Valley kurven, als wüssten sie selbst nicht, wohin mit ihrer menschlichen Beute. Schließlich halten sie am Stanford Medical Center.

Die Wächter vor der Tür
Julie war zufällig dort, im Stanford Hospital, als sie Yenycey hereinbrachten. „Man glaubt es nicht, bis man es selbst sieht“, wird sie später sagen. Da standen sie: „Zwei maskierte Banditen mit Attitüde, angeblich ‚ICE‘, aber ohne jegliche Kennzeichnung.“ Sie postierten sich vor Yenyceys Zimmer wie Wachposten aus einem Kafka-Roman. Die Familie eilt herbei. Yenyceys Anwältin kommt. Sie alle werden abgewiesen. „Ich sprach einen der ICE-Agenten darauf an, warum sie ihrer Familie oder der Anwältin keinen Besuch gestatteten“, erzählt Julie, „und wurde einfach ignoriert.“

Um 18:56 Uhr scheint sich das Blatt zu wenden. Der Stanford-Anwalt, aufgebracht über diese Anmaßung föderaler Macht, sagt zu Yenyceys Anwältin: „Sie diktieren nicht unsere Besuchsrichtlinien!“ Er weist das Pflegepersonal und die Sicherheitskräfte an, den Besuch zu erlauben. Doch nichts ändert sich. Die maskierten Männer bleiben. Die Familie bleibt draußen. Die Minuten verrinnen zu Stunden.

Um 22:11 Uhr ist es vorbei. ICE setzt sich offiziell über Stanford hinweg. „Uns wurde gesagt, die Sache sei an das DHS eskaliert worden, das das letzte Wort habe“, berichtet Julie. Das Department of Homeland Security hatte gesprochen. Eine der prestigeträchtigsten medizinischen Institutionen Amerikas musste sich beugen.

„Diese ICE-Leute waren junge Männer in den Zwanzigern“, fügt Julie hinzu, und man hört die Trauer in ihren Worten. „Was mir aus anderen Gründen das Herz bricht.“ Eine Generation, aufgewachsen im Land der Freien, steht nun Wache vor dem Krankenzimmer einer todkranken Mutter und verwehrt deren Kindern den Zugang.
Das zerbrochene Fenster
Drei Wochen zuvor, am 4. Juli 2025 – Independence Day, welche Ironie – spielte sich in Kalifornien eine Szene ab, die jeden Anspruch Amerikas auf zivilisatorische Überlegenheit Lügen straft. ICE-Agenten zertrümmerten das Fenster eines Autos, in dem eine schwangere Frau saß. „Drei Männer, die eine schwangere Frau niederdrücken“, beschreibt ein Augenzeuge das Unfassbare. „Und sie lag auf dem Bauch.“ Auf dem Bauch. Das ungeborene Leben, zusammengepresst zwischen dem Asphalt einer amerikanischen Straße und dem Knie eines Bundesagenten.
Die Nachbarn standen in ihren Einfahrten, hinter Gardinen, an Zäunen. „Da waren Leute mit Masken“, stammelt einer von ihnen später. „Wer sind die? Wohin bringen sie sie?“ Die Fragen hallen nach in der Stille, die folgt, nachdem die schwarzen Vans verschwunden sind. Die Frau wird später mit elektronischer Fußfessel entlassen – eine groteske Gnade für eine Schwangere. Ihr Ehemann verschwindet im Abschiebezentrum Camarillo, wo er bis heute festgehalten wird. Eine Familie, zerrissen am Unabhängigkeitstag.
Die Hölle von Santa Rita
„Ohne einen Anruf, ohne die Möglichkeit, einen Anwalt zu kontaktieren oder irgendetwas“, Angelica Guerrero, US-Bürgerin, spricht mit der Präzision einer Überlebenden. „Sie hätten mich irgendwohin bringen können – niemand hätte etwas davon gewusst, bis Anklage erhoben worden wäre.“
Was sie im Santa Rita Jail in San Francisco erlebte, spottet jeder Vorstellung von einem Rechtsstaat: „Diese Arrestzellen sind barbarisch… Der Boden, auf denen ich schlafen sollte, waren mit Fäkalien und Blut verschmiert.“
Lassen Sie diese Worte einen Moment wirken. Eine US-Bürgerin, ohne Anklage festgehalten, gezwungen, auf mit Exkrementen und Blut beschmierten Böden zu schlafen. Das ist nicht Guantanamo. Das ist nicht Abu Ghraib. Das ist San Francisco, 2025.
Der Verrat im weißen Kittel
Kate Mobeen, ICU-Krankenschwester am John Muir Medical Center in Concord, kann die Bilder nicht vergessen. Am 29. Juli brachten ICE-Agenten einen Mann in ihre Notaufnahme, der während seiner Festnahme vor dem Einwanderungsgericht einen medizinischen Notfall erlitten hatte. „Die Atmosphäre in dieser Notaufnahme war etwas, das ich in meiner gesamten Karriere noch nie erlebt habe“, sagt Mobeen. „Es herrschte eine lähmende Stille. Jeder schaute weg. Man konnte sehen, dass sich das Personal schlecht fühlte.“

Ali Saidi, Anwalt und Direktor von Stand Together Contra Costa, war als Teil des Rapid Response Netzwerks vor Ort. „Die Krankenhausmitarbeiter sagten mir, ich dürfte den festgehaltenen Patienten nicht sehen, aber seine Familie schon“, erzählt er. „Als dann die Ehefrau des Mannes ankam, hatten sich die Regeln irgendwie geändert, und sie sagten: keine Familienbesuche.“ Maria, die Ehefrau – sie will nur mit ihrem zweiten Namen genannt werden – beschreibt ihre Verzweiflung in einem Statement: „Meine Familie und ich gingen in die Notaufnahme und wir baten darum, ihn zu sehen und mit ihm zu sprechen, um sicherzustellen, dass es ihm gut geht. Das Krankenhauspersonal ließ uns ihn nicht sehen und sie gaben uns keine Informationen darüber, was mit ihm geschah. Sie beantworteten nicht einmal meine Fragen.“ Als sie insistierte, ihr verfassungsmäßiges Recht als Ehefrau geltend machte, rief das Krankenhaus die Polizei. Nicht gegen die maskierten Agenten ohne Ausweise – gegen die Familie.
„Mein Mann erzählte mir später, dass er so verängstigt war, dass er ohnmächtig wurde“, sagt Maria. Die Angst, verschwunden zu sein, ohne dass jemand weiß, wohin – sie hatte ihn überwältigt. Mehrere Notaufnahme-Krankenschwestern berichteten Mobeen später, dass die ICE-Beamten „sehr aggressiv mit dem Personal“ umgegangen seien. „Die Mitarbeiter waren danach emotional und körperlich aufgewühlt“, sagt sie. „Es ist horrifizierend, Familienangehörigen nicht sagen zu können, wie es ihren Liebsten geht, welchen Status sie haben.“
Die Kriminalisierung des Gewissens
Am 25. Juli 2025, Ontario, Kalifornien. Ein Landschaftsgärtner parkt vor dem Advanced Surgical Center. ICE-Agenten jagen ihn zu Fuß bis in die Klinik hinein. Was dann geschieht, ist auf Video festgehalten und wird zum Symbol für den moralischen Kollaps der amerikanischen Institutionen. Man sieht einen weinenden Mann, festgehalten von einem maskierten Agenten mit der Aufschrift „POLICE ICE“ auf dem Rücken. Mehrere Mitarbeiter in OP-Kitteln stehen dabei, fassungslos, empört.
„Das ist ein Privatgrundstück!“, ruft eine Mitarbeiterin.
Danielle Davila, eine der Gesundheitsarbeiterinnen, stellt sich zwischen den Agenten und den verängstigten Mann. „Nehmen Sie Ihre Hände weg von ihm!“, ruft sie. „Sie haben nicht einmal einen Haftbefehl!“ Jose Ortega, ein weiterer Mitarbeiter – beide übrigens mit honduranischer Staatsangehörigkeit, Menschen, die selbst den amerikanischen Traum leben und nun Zeuge seiner Perversion werden – legt schützend einen Arm zwischen Davila und den Agenten. „Sie haben keine ordnungsgemäße Identifikation!“, sagt er. Der Agent, sein Gesicht hinter der Maske verborgen, sagt zu beiden: „Sie haben einen Bundesagenten berührt.“
„Ich berühre Sie nicht!“, antwortet Davila.
Tage später werden beide wegen Angriffs auf einen Bundesbeamten und Verschwörung zur Behinderung eines Bundesbeamten angeklagt. Die Botschaft ist unmissverständlich: Wer sich zwischen die Staatsgewalt und ihre Opfer stellt, wer nach Ausweisen und Haftbefehlen fragt, wer das Recht in einem angeblichen Rechtsstaat einfordert, wird zum Kriminellen. „Sie haben das getan, was sie tun mussten und wozu sie das Recht hatten“, sagt Carlos Juárez, Ortegas Verteidiger. „Was ich hoffe, ist, dass dies keine abschreckende Wirkung auf andere Gesundheitsarbeiter hat.“ Oliver Cleary, Davilas Anwalt, ergänzt: „Man kann nicht einfach irgendwo reinkommen, wo Menschen medizinische Versorgung erhalten, und sie wegschleppen. Sie wusste nicht, wer diese Leute waren. Sie sagten ihr nicht, wer sie waren, und soweit sie wusste, war dies ein Patient der Klinik.“
Glendale: Die Besetzung
Fünfzehn Tage. So lange besetzten ICE-Agenten die Lobby des Dignity Health Glendale Memorial Hospital im Juli 2025. Die Fotos, die online zirkulierten, zeigen sie hinter der Rezeption stehend, als gehörten sie zum Personal. Sie warteten auf Milagro Solis-Portillo, eine Immigrantin aus El Salvador, die nach einem medizinischen Notfall während ihrer Festnahme eingeliefert worden war.

Fünfzehn Tage lang wurde die Eingangshalle eines Krankenhauses zum Außenposten der Deportationsmaschinerie. Patienten mussten an bewaffneten Agenten vorbei, um zu ihren Terminen zu gelangen. Kinder sahen die maskierten Männer. Schwangere Frauen. Alte Menschen. Alle mussten vorbei an dieser Demonstration staatlicher Macht. Demonstranten versammelten sich vor dem Krankenhaus, hielten Mahnwachen ab, organisierten Pressekonferenzen. Die Krankenhausverwaltung erklärte hilflos, sie könnten Strafverfolgungsbehörden rechtlich nicht daran hindern, sich in öffentlichen Bereichen aufzuhalten.
Nach fünfzehn Tagen wurde Solis-Portillo in ein anderes Krankenhaus verlegt und dann in Gewahrsam genommen. Die Lobby leerte sich. Zurück blieb die Erkenntnis, dass kein Ort mehr sicher ist, keine Institution mehr Schutz bietet.
Die neuen Kollaborateure
„Das ist nichts Neues für Krankenhäuser“, sagt Lois Richardson, Vizepräsidentin und Rechtsberaterin der California Hospital Association mit einer Kälte, die erschreckt. „Wir bekommen ständig Insassen, Festgenommene, Verhaftete, ob es nun Polizei, Sheriff, Highway Patrol, ICE ist, was auch immer.“ Diese Normalisierung des Abnormalen ist vielleicht das Erschreckendste an der ganzen Situation. Wenn Krankenhäuser zu Durchgangsstationen der Deportationsmaschinerie werden, wenn medizinisches Personal zu Handlangern wird, wenn die hippokratische Ethik der behördlichen Anweisung weicht – dann ist der Faschismus nicht mehr ante portas, dann sitzt er bereits am Operationstisch.
Ben Drew, Sprecher des John Muir Krankenhauses, verteidigt die Zusammenarbeit mit ICE: „Wenn eine Strafverfolgungsbehörde angibt, dass Besuche ein Sicherheits- oder Schutzproblem darstellen, kann das Krankenhaus Besuche einschränken oder verweigern, um unsere Patienten, Mitarbeiter und Besucher zu schützen.“ Doch wessen Sicherheit wird hier geschützt? Die der todkranken Yenycey, der ihre Kinder nicht sehen dürfen? Die des Mannes, der vor Angst in Ohnmacht fällt, weil er nicht weiß, wohin er verschleppt wird?

Dr. Douglas Yoshida, Notarzt am Stanford Health Tri-Valley, bringt die Situation weiter auf den Punkt: „Normalerweise haben Gesundheitsarbeiter keinen Grund, die Strafverfolgung zu fürchten. Aber wir befinden uns in unerforschtem Gebiet.“
Das Schweigen der Lämmer
Bereits am 16. Juli 2025 hatte es einen Hoffnungsschimmer gegeben. ICE-Agenten versuchten, in das St. John’s Hospital in Oxnard, Kalifornien, zu gelangen – doch sie wurden ausgesperrt und aufgefordert, das Gelände zu verlassen. Einige ihrer Fahrzeuge wurden sogar abgeschleppt, weil sie den Verkehr blockierten und rücksichtslos auf Privatgelände geparkt hatten.
Ein kleiner Sieg. Ein Krankenhaus, das Widerstand leistete. Doch es blieb die Ausnahme. Die meisten Institutionen kuschen. Sie verweisen auf Protokolle, auf Rechtslagen, auf die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit Bundesbehörden. Sie werden zu dem, was Hannah Arendt die „Schreibtischtäter“ nannte – Menschen, die durch ihre bürokratische Compliance das Unrecht erst möglich machen. Adriana Rugeles-Ortiz, lizenzierte Krankenschwester am Kaiser Permanente Modesto Medical Center, versucht, ihre Kollegen vorzubereiten. Sie leitet „Know Your Rights“-Sitzungen in ihrem Krankenhaus und in ihrer Gemeinde. „Persönlich fühle ich mich vorbereitet“, sagt sie. „Ich bin nicht so zuversichtlich, dass wir die gesamte Belegschaft bei Kaiser erreichen konnten, um sie auf das Niveau des Vertrauens zu bringen, damit umzugehen.“
Die Arithmetik des Grauens
122 dokumentierte Fälle allein in Kalifornien zwischen Juli und August 2025. Das sind nicht nur Zahlen. Das sind 122 Familien, zerrissen. 122 Mal Todesangst in Krankenhausfluren. 122 Mal die Perversion des Heilens zur Waffe der Unterdrückung. Wir haben mit dem Zählen aufgehört. Die Schätzung liegt bei über 2000 Fällen landesweit. „Die Steigerung von Mai auf jetzt beträgt 100 Prozent.“ Eine Verdoppelung innerhalb von drei Monaten. Wenn diese Rate anhält, wenn die Normalisierung fortschreitet, wenn der Widerstand erlahmt – wo werden wir in einem Jahr stehen? In zwei Jahren?
Oscar beschreibt die Verzweiflung mit einfachen Worten: „Ich möchte, dass jeder hört, was sie uns antun, und im Moment ist sie in ernstem Zustand.“ Seine Frau Yenycey leidet an einer Bluterkrankung, für die sie bereits in Stanford in Behandlung war. Jetzt liegt sie dort wieder, bewacht wie eine Schwerverbrecherin. „Nehmt die mit kriminellem Hintergrund, die Verbrechen begangen haben. Dagegen bin ich nicht“, sagt Izzy, eine Familienangehörige des Paares, die darum bittet, dass ihr voller Name nicht genannt wird. „Aber die Beitragenden sind diejenigen, die genommen werden. Sie verletzen Familien. Sie zerreißen Familien. Sie traumatisieren Familien.“
Fünfzehn Minuten bevor Oscar und Yenycey festgenommen wurden, hatten dieselben Agenten bereits zugeschlagen. Sie nahmen den 29-jährigen Neffen des Paares mit, einen Bauarbeiter, vor demselben Haus in East Palo Alto. Er wird jetzt in San Francisco festgehalten. Drei Menschen aus einer Familie, an einem Morgen, alle auf dem Weg zur Arbeit.
Das Komplott der Willigen
„Was sich aktuell in den USA abspielt, ist eine Steigerung von Mai auf jetzt um 100%. Es ist Faschismus in der reinsten Kultur. „+Und europäische Journalisten buhlen um Interviews mit Trump, nicht um etwas zu verändern, nein, um eine Story zu haben, am besten solche, wo er sich lächerlich macht, aber diese Storys retten keine Menschen.“
Die bittere Wahrheit liegt in dieser Beobachtung: Während in amerikanischen Krankenhäusern Menschen wie Vieh behandelt werden, während schwangere Frauen auf Asphalt gedrückt werden, während Kinder von ihren Eltern getrennt werden, „hofieren Länder wie Frankreich, Deutschland, Spanien“ die Trump-Regierung. „Die EU biedert sich förmlich an.“
„Es passiert nichts“, heißt es weiter. „Leute werden verschleppt, man nennt es Abschiebung in den USA, Kinder werden teilweise schwer krank abgeschoben und der kultivierte Westen ignoriert das stillschweigend.“ Diese Komplizenschaft durch Schweigen ist nicht neu. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass Faschismus nicht im luftleeren Raum entsteht. Er braucht die schweigende Mehrheit, die wegschauenden Nachbarn, die Geschäfte machenden Verbündeten. Er braucht die, die sagen: „So schlimm wird es schon nicht werden.“ Die sagen: „Das geht uns nichts an.“ Die sagen: „Wir haben wichtigere Probleme.“
„Es ist an der Zeit, und wenn es nur für jedes einzelne Produkt ist, die USA zu boykottieren“, fordern Stimmen aus dem Widerstand. „Suchen Sie Ersatzartikel, Sie müssen nicht jedes Produkt boykottieren, das ist unrealistisch, aber das, was Sie meinen ist auswechselbar, wechseln Sie das. Man muss die USA dort treffen, wo es am meisten schmerzt, und das ist eben die Produkte nicht zu kaufen. Es muss mehr gehandelt werden.“ Dies ist kein Aufruf zum blinden Anti-Amerikanismus. Es ist ein Aufruf zur Verteidigung jener Werte, die Amerika einst zu verkörpern vorgab. Freiheit. Gerechtigkeit. Menschenwürde. Wenn diese Werte in Amerika selbst verraten werden, dann liegt es an der Weltgemeinschaft, sie zu verteidigen – notfalls gegen Amerika selbst.
Julie, die Augenzeugin aus Stanford, schließt ihren Bericht mit Worten, die in ihrer Schlichtheit erschüttern: „Ich bete, dass es dieser Frau medizinisch gut gehen wird. Ich hoffe, dass sie im Krankenhaus bleiben kann, bis sie gesund ist. Aber was dann passiert, weiß nur Gott.“
Was dann passiert, wissen wir alle. Yenycey wird, sobald sie medizinisch transportfähig ist, in ein Abschiebezentrum gebracht werden. Sie wird von ihren drei Kindern getrennt werden. Sie wird in ein Land deportiert werden, das sie vielleicht seit Jahrzehnten nicht gesehen hat. Oder sie wird monatelang in Haft bleiben, während Anwälte um ihr Bleiberecht kämpfen.
Die letzte Warnung
„Man glaubt es nicht, bis man es selbst sieht“, sagte Julie. „Da standen zwei maskierte Banditen mit Attitüde, angeblich ‚ICE‘, aber ohne jegliche Kennzeichnung – und sie diktierten die Richtlinien eines mächtigen Universitätskrankenhauses. Das ist nicht Recht und Ordnung, das ist Faschismus.“ Sie hat recht. Was wir in diesen Augusttagen 2025 erleben, ist nicht eine Migrationspolitik, die über das Ziel hinausschießt. Es ist nicht law and order, das etwas zu enthusiastisch durchgesetzt wird. Es ist die systematische Zerstörung der Rechtsstaatlichkeit, die methodische Entmenschlichung einer ganzen Bevölkerungsgruppe, die schrittweise Etablierung eines totalitären Systems. Wenn maskierte Agenten ohne Kennzeichnung Menschen aus Krankenhäusern verschleppen können; wenn schwangere Frauen mit dem Bauch auf den Asphalt gedrückt werden; wenn Gesundheitsarbeiter kriminalisiert werden, weil sie nach Haftbefehlen fragen; wenn Kinder nicht zu ihren todkranken Müttern dürfen; wenn US-Bürger in mit Exkrementen beschmierten Zellen festgehalten werden – dann ist die rote Linie nicht nur überschritten. Dann liegt sie so weit hinter uns, dass wir sie nicht einmal mehr sehen können. Ist es das, was AfD-Wähler wirklich als erstrebenswert ansehen? Wollen sie in einem solchen Staat leben? Und will die CDU/CSU mit ihrem immer stärkeren Abdriften nach rechts tatsächlich an der Errichtung eines solchen Systems mitwirken? Dann sollte das Volk ihnen unmissverständlich deutlich machen, was Demokratie bedeutet, oder sie liegt so weit hinter uns, dass wir sie nicht einmal mehr sehen können.
Donald Trump, der Mann, der im Januar 2025 zum zweiten Mal als Präsident vereidigt wurde, nachdem er Kamala Harris besiegt hatte, hat sein Versprechen wahr gemacht. Er hat Amerika wieder „groß“ gemacht – groß in seiner Grausamkeit, groß in seiner Menschenverachtung, groß in seiner Bereitschaft, die eigenen Ideale zu verraten. Die jungen Männer in den Zwanzigern, die vor Yenyceys Krankenzimmer Wache stehen, über die Julie sagt, es breche ihr „aus anderen Gründen das Herz“ – sie sind das Produkt dieses neuen Amerika. Eine Generation, die gelernt hat, dass Macht über Recht geht, dass Befehl über Gewissen steht, dass die Uniform die Verantwortung nimmt.
Die Stunde der Entscheidung
Oscar steht noch immer vor dem Stanford Hospital. Sein Telefon zeigt ihm, dass seine Frau noch dort ist, irgendwo hinter den Mauern, bewacht von Männern ohne Gesichter. Seine drei Kinder fragen, wann Mama nach Hause kommt. Er hat keine Antwort. Maria wartet noch immer auf Nachricht von ihrem Mann, der irgendwo im System verschwunden ist, nachdem er vor Angst ohnmächtig wurde. „Sie hätten ihn irgendwohin bringen können“, sagt sie. „Niemand hätte etwas davon gewusst.“
Die schwangere Frau trägt noch immer die elektronische Fußfessel, während ihr ungeborenes Kind in ihrem Bauch wächst – ein Kind, das in eine Welt geboren werden wird, in der sein Vater bereits verschwunden ist. Danielle Davila und Jose Ortega warten auf ihren Prozess, angeklagt als Kriminelle, weil sie taten, was jeder anständige Mensch tun würde: Sie stellten sich schützend vor einen weinenden, verängstigten Menschen. Dies ist Amerika im August 2025. Dies ist die Realität, die wir nicht länger leugnen können. Die Frage ist nicht mehr, ob es Faschismus ist – Julie hat es klar benannt, und die Fakten sprechen für sich. Die Frage ist nur noch: Was werden wir dagegen tun? „Es muss mehr gehandelt werden“, heißt es wieder und wieder. Nicht morgen. Nicht nächste Woche. Jetzt. Denn während wir noch debattieren, während wir noch abwägen, während wir noch auf den richtigen Moment warten, steht Oscar vor einem Krankenhaus und wartet darauf, dass sie seine todkranke Frau abholen. Sitzt ein 29-jähriger Bauarbeiter in einer Zelle in San Francisco. Liegt eine US-Bürgerin auf mit Blut und Fäkalien verschmierten Boden
„Das Gefühl der Hilflosigkeit ist real, Leute“, sagte Julie in ihrem erschütternden Augenzeugenbericht. Aber Hilflosigkeit ist eine Wahl. Widerstand ist möglich. Die Geschichte wird uns nicht danach beurteilen, was wir fühlten, sondern danach, was wir taten. Wir versuchen alles, um vielen Menschen zu helfen, aber wir sind auch nur Menschen. Keiner von uns ist Millionär. Was wir geben können, geben wir. Was wir machen können, machen wir. Aber wer es nicht sieht oder erlebt, kann sich kaum vorstellen, wie gefährlich es geworden ist, in den USA gegen diese Maschinerie vorzugehen. Und trotzdem sind es viele. Unerwähnt von verblendeten rechten US-Medien, verschwiegen durch eingeschüchterte Medienhäuser, ignoriert von teilnahmslosen Redaktionen – aber sie existieren. Sie leisten Widerstand. Jeden Tag. Einige mutige Journalisten, Ärzte, Krankenschwestern, Anwälte ziehen in diesem Kampf mit. Die Menge derer, die den Mut findet, sich öffentlich dagegenzustellen, wird jeden Tag größer. Die Bürgerrechtsorganisationen geben alles – sie arbeiten bis zur Erschöpfung, oft unbezahlt, immer unter Risiko.
Dies ist ein Kampf um die Demokratie selbst. Ein Kampf, der nicht an den Grenzen der USA endet, der auch in Europa schon angekommen ist. Die gleichen Kräfte, die gleiche Rhetorik, die gleiche schleichende Normalisierung des Unmenschlichen. Es ist ein Kampf für all unsere Kinder und die nächsten Generationen. Für die Welt, die wir ihnen hinterlassen werden. Für die Frage, ob sie in Freiheit oder in Furcht aufwachsen werden. Diesem Kampf muss man sich stellen. Jeder, wie er kann. Jeder kleine Akt des Widerstands zählt. Jeder Boykott. Jede Spende an Hilfsorganisationen. Jedes Teilen der Wahrheit. Jede Weigerung, wegzuschauen, Menschen, die verstanden haben, dass Schweigen Komplizenschaft bedeutet. Dass Wegschauen Mittäterschaft ist. Dass die Geschichte uns nicht nach unseren Ausreden fragen wird, sondern nach unseren Taten.
Der Widerstand wächst. Trotz der Gefahr. Trotz der Angst. Trotz allem.
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Was für ein hammharter Bericht, als wäre man dabei. Das ist ganz großes Kino. Danke für diesen wirklich unfassbaren Bericht. So etwas liest man ganz selten nur noch.
Ganz lieben dank dafür
Absolut schockierend, das Europa schweigt, stattdessen den orangenen Irren hofiert. Aber passt zumindest in Deutschland zu der Minderleistung der derzeitigen Regierung.
…das ist das schlimme, alle schweigen und der irre macht lustig weiter
Respekt für diesen Artikel. Eine Reportage der Extraklasse.
Dankeschön
Das ist Nazi Deutschland in Reinform.
Nachbarn die wegsehen, wenn Bekannte oder Freunde verschleppt werden.
Große Institutionen wie Stanford die eine Wahl hätten aber lieber kuschen.
Willige „Bubis“, die vermutlich nicht mal einen schulabschluss haben und nun ihre Gewaltphantasien ausleben können.
Die ach so „pro life“ MAGA, denen eine schwangere Frau und ihr ungeborenes Baby egal sind. Vermutlich mit dem Kalkül hoffentlich überlebt es nicht damit es ja kein US Bürger, ein Ankerkind wird.
US Bürger, die in unzumutbare Gefängnisse gesteckt werden, weil sie nicht sofort gekuscht haben.
Menschen, die angeklagt werden, weil sie einen Bundesbeamten berührt haben… die Berührung die wahrscheinlich ein Atemzug war oder eine Haarsträhne. Vielleicht ist der Beamte auch auf sie zugetreten und sie konnten nicht mehr ausweichen.
In dem faschistischen USA zählt nur noch die Agenda, die Ideologie.
Und die immer so auf Freiheit pochenden US-Amerikaner (vor allem MAGA) merken bicht, dass die Freiheit Stück fur Stück der Kontrolle weicht.
weil „es trifft ja die Illegalen Kriminellen“, es trifft die Illegalen“, es trifft die Migranten mit Aufenthaltsstatus“, es trifft „Greencardinhaber die antiamerikanisch sind“, es trifft „YS Bürger, die nicht dieser Agenda Zustimmung, „oh, nun hat es mich auch getroffen“ … aber es ist keiner mehr da, den das noch interessiert, sie sind alle fort „all die Anderen“.
…das ist Drittes Reich 2.0 und den Höhepunkt hat man noch lange nicht erreicht
Ja, das ist absolut schockierend. Dieser Depp im WH macht alles zunichte, was in der jetzt bald 250 jährigen Geschichte der USA erreicht wurde. Es ist so traurig, das mit ansehen zu müssen.
Ich mußte mich danach setzen. Was für ein Wahnsinn. Danke für den Bericht.
ich danke dir
Es ist ein Alptraum – Dankeschön für deinen Mut, deine Zeit, deine Kraft, sowas zu veröffentlichen ❤️
gerne, solche dinge müssen raus, egal wie die einen attackieren
Sehr beunruhigend das alles. Schwappt sicher auch nach Europs über, bzw ist schon da. Man sehe sich nur Ungarn, Polen mit dem neu gewählten Ministerpräsidenten, Italien mit Meloni und die Slowakei an. In der ganzen EU und GB befinden sich die Faschisten – Banden im Aufwind. Alles lamentieren hilft nichts, wir müssen uns dagegen wehren.
…das ist wohl war, investigative journalisten schmeissen wie die fliegen die handtücher, weil sie kaum unterstützung erhalten und von politikern kannst du nichts erwarten, also, ja, man sollte mal selber sich überlegen welchen beitrag man zur demokratie leistet oder leisten möchte