Es war mehr als nur ein Konzert. Es war ein Moment kollektiver Erinnerung, ein Versprechen, das endlich eingelöst wurde. Am 4. Juli 2025, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, feierte Großbritannien seine ganz eigene Wiedervereinigung – die von Noel und Liam Gallagher. Oasis sind zurück. Nach 16 Jahren Funkstille, Streit und Gerüchten um eine Versöhnung trat die legendäre Britpop-Band in Cardiff wieder gemeinsam auf die Bühne. Und lieferte nicht weniger als ein elektrisierendes Bekenntnis zu einer Ära, die nie ganz verschwunden war. 60.000 Menschen füllten das Principality Stadium in der walisischen Hauptstadt bis auf den letzten Platz. Sie kamen aus allen Teilen des Landes, aus Irland, Deutschland, Japan und Brasilien – für eine Nacht, von der sie dachten, dass sie nie kommen würde. Die letzten Akkorde der Band waren 2009 in Paris verklungen, begleitet von einem Gitarrenwurf, gebrochenen Mikrofonständern und jahrelanger Funkstille zwischen den Brüdern. Doch am Freitagabend war davon – zumindest für zwei Stunden – nichts mehr zu spüren. Ein Banner im Publikum brachte es auf den Punkt: “The great wait is over.” Schon der Einstieg war dramatisch. Auf der Leinwand flimmerten alte Schlagzeilen über die ewigen Streitereien der Gallagher-Brüder, gefolgt vom Satz: “The guns have fallen silent.” Dann hallte das donnernde “Hello” durch das Stadion – mit dem bezeichnenden Refrain: “It’s good to be back.” Und es war gut. Besser als gut. Es war ein Ereignis. Liam Gallagher, 52, im Parka, mit Tamburin und ungebrochener Arroganz, brüllte ins Mikrofon, als wäre seit „Definitely Maybe“ kein Tag vergangen. Noel, 58, stand wie ein Fels daneben, konzentriert auf seine Gitarre, wortkarg, souverän. Es gab einen kurzen Moment der Brüderlichkeit – ein gehobener Arm, eine gemeinsame Pose – doch ansonsten hielten sie respektvollen Abstand zueinander. Die Musik sprach für sich.
Die Setlist war ein Triumphzug durch zwei der prägendsten Alben der 1990er Jahre: „Definitely Maybe“ und „(What’s the Story) Morning Glory?“. Es gab donnernde Versionen von “Supersonic”, “Roll With It” und “Rock ’n’ Roll Star”. Die Massen sangen jede Zeile mit – aus tiefster Kehle und mit glasigen Augen. Bei „Cigarettes and Alcohol“ forderte Liam das Publikum auf: “Put your arms over each other like you love each other.” Und sie taten es. Tausende. Einer der emotionalsten Momente des Abends kam mit “Live Forever”, als ein Bild des kürzlich bei einem Autounfall ums Leben gekommenen Liverpool-Stürmers Diogo Jota über der Bühne erschien. Es war still, so still, wie es in einem Stadion voller Menschen nur sein kann. Noel übernahm zwischendurch den Gesang, unter anderem bei der sanften Hymne “Half the World Away”, bevor das Konzert mit einer Dreifachladung Nostalgie endete: “Don’t Look Back in Anger”, “Wonderwall” und “Champagne Supernova”. Mehr 1990er geht nicht. Mehr Oasis geht nicht. Technisch war das Konzert zurückhaltend – keine übertriebene Inszenierung, nur psychodelisch anmutende Projektionen in dezenten Farben. Der Fokus lag ganz auf der Musik. Liam fragte irgendwann ins Publikum: “Was it worth the 40,000 pounds you paid for the ticket?” Ein Scherz – oder eine Spitze gegen den Ticketwahnsinn, der dieses Comeback überschattet hatte. Denn der Run auf die Eintrittskarten war enorm. Binnen Minuten war die UK-Tour ausverkauft, Online-Warteschlangen dauerten stundenlang, Preise explodierten. Viele Fans zahlten über 350 Pfund für Stehplätze, in der Hoffnung, ein Stück Musikgeschichte zu erleben. In Westminster beschäftigte sich sogar das Parlament mit den Preispraktiken von Ticketmaster, die unter öffentlichem Druck inzwischen mit rechtlichen Schritten rechnen müssen.
Doch trotz allem – oder vielleicht gerade deshalb – war der Abend in Cardiff mehr als nur ein nostalgisches Treffen. Es war ein heiliger Moment für eine Generation, die mit Oasis aufgewachsen ist. Rob Maule aus Edinburgh sagte vor dem Konzert: “Für uns ist das ein ganzes Kapitel unseres Lebens. Und jetzt geben wir es an unsere Kinder weiter.” Neben ihm standen Freunde aus der Schulzeit, vereint wie einst vor 30 Jahren. Auch Vicki Moynehan, hochschwanger, war gekommen – aus Dorchester, 400 Kilometer entfernt. “Sieben Monate – aber das hält mich nicht auf.” Es ist diese Mischung aus Ironie, Pathos und Working-Class-Charme, die Oasis immer ausgezeichnet hat. Aus einer Arbeiterfamilie in Manchester geboren, stieg die Band Anfang der 1990er zu einer kulturellen Supermacht auf. Acht Nummer-eins-Alben, Stadiontouren rund um die Welt – und ein ständiger Geschwisterkrieg als öffentliches Drama. „Liam ist wie ein Mann mit einer Gabel in einer Welt voller Suppe“, sagte Noel einst. Liam nannte seinen Bruder „Tofu Boy“. Dass sie nun wieder zusammen auf der Bühne stehen, grenzt an ein Wunder. Neue Musik wird es vorerst nicht geben – die Tour ist als einmaliges Ereignis angekündigt. Doch das reicht. Noch 18 weitere Konzerte folgen – durch Großbritannien, Irland, Nord- und Südamerika, Asien und Australien. Am 23. November endet die Reise in São Paulo. Bis dahin bleibt die Erinnerung an diesen ersten Abend in Cardiff – an das kollektive Ausatmen, das einsetzte, als die ersten Töne erklangen. An das Gefühl, dass manche Dinge eben doch wieder heilbar sind. Ein Zuschauer brachte es auf den Punkt: “Ich bin der älteste von vier Brüdern – ich weiß, wie oft man sich streitet. Aber heute Nacht werden sie es genießen. Und wir mit ihnen. Es wird das Beste.”




