Das amerikanische Requiem: Als die Grenzen zwischen Kirche, AFD, Fanatismus und Staat in einem Footballstadion versanken

VonRainer Hofmann

September 22, 2025

An einem Sonntagmorgen im September 2025 verwandelte sich das State Farm Stadium in Glendale, Arizona, in eine Bühne für ein Spektakel, das die tiefgreifende Verschmelzung von Religion und Politik in Amerika offenbarte. Was als Gedenkfeier für den ermordeten rechten ultraextrem konservativen Aktivisten Charlie Kirk angekündigt war, entpuppte sich als mehrstündige politische Kundgebung, durchzogen von evangelikalem Eifer und Racheschwüren gegen einen nebulösen Feind namens „die Linke“. Doch die wahre Dimension dieser Veranstaltung wird erst deutlich, wenn man Kirks politisches Wirken und seine internationalen Verbindungen betrachtet – insbesondere zur deutschen AfD.

Noch im Mai 2024 hatte Kirk in seiner Show die Einstufung der AfD als rechtsextremen Verdachtsfall durch den deutschen Verfassungsschutz als „Tyrannei in Verkleidung“ bezeichnet. „Die AfD ist Deutschlands MAGA“, verkündete sein Co-Moderator, „eine nationalistische Partei mit starken Grenzen, die das Chaos der offenen Grenzen ablehnt und sich für den Erhalt der Kultur einsetzt.“ Kirk selbst fragte rhetorisch: „Warum finanzieren amerikanische Steuerzahler Deutschlands Militär mit Milliarden, während sie Oppositionsstimmen einsperren?“ Europa, so Kirk, liebe es, die USA über Demokratie zu belehren, aber dies sei „Tyrannei in Verkleidung.“

Diese Verbindung zwischen amerikanischen Ultrakonservativen und der deutschen extremen Rechten manifestierte sich nun auch bei seiner Gedenkfeier. Alice Weidel, die AfD-Fraktionsvorsitzende, hielt am 17. September im Deutschen Bundestag eine Trauerrede auf Kirk und lobte ihn in den höchsten Tönen. Die gleiche Alice Weidel, deren Partei regelmäßig mit rechtsextremen Skandalen Schlagzeilen macht, pries Kirk als Kämpfer für die Meinungsfreiheit – und verschwieg dabei geflissentlich dessen extremste Positionen.

Die Witwe und ihre Oscar-reife Darbietung

Schon vor Sonnenaufgang strömten Zehntausende zum Stadium. Menschen mit Gehstöcken und Rollatoren kämpften sich durch die Menge, Familien mit Kindern warteten stundenlang in der erstickenden Hitze Arizonas. Danney Tanner war 1.600 Meilen in seinem 1970er Chevy Chevelle mit Stars-and-Stripes-Lackierung aus Minnesota angereist. Diese Woche hatte er seinem Wagen drei neue Worte hinzugefügt: „I am Charlie.“

Im Inneren des Stadions entfaltete sich dann ein Schauspiel, das selbst für amerikanische Verhältnisse außergewöhnlich war. Dudelsackspieler intonierten „Amazing Grace“ neben einem überlebensgroßen Porträt Kirks, während christliche Rockbands die Böden zum Beben brachten. Die Redner sprachen hinter kugelsicherem Glas – eine Sicherheitsvorkehrung, die an Super Bowl-Veranstaltungen erinnerte.

Erika Kirk, die Witwe des Erschossenen, lieferte eine Vorstellung ab, die zwischen tiefer Trauer und kalkulierter politischer Botschaft oszillierte. Mit tränenerstickter Stimme beschrieb sie den Moment, als sie den Leichnam ihres Mannes sah – sie habe eine „Ebene des Herzschmerzes erlebt, von der ich nicht einmal wusste, dass sie existiert.“ Doch auf seinen Lippen habe sie „das schwächste Lächeln“ gesehen, was ihr sagte, dass „Charlie nicht gelitten hat.“

Dann kam der Moment, der das Publikum zu Standing Ovations trieb: „Ich vergebe ihm“, sagte sie über Tyler Robinson, den 22-jährigen mutmaßlichen Täter. „Ich vergebe ihm, weil es das ist, was Christus getan hat. Die Antwort auf Hass ist nicht Hass.“ Die theatralische Inszenierung erinnerte fatal an die kalkulierten Auftritte, die man von autoritären Bewegungen kennt – die Witwe als neue Führungsfigur, die Vergebung als politische Waffe, die christliche Rhetorik als Deckmantel für eine knallharte Machtübernahme.

Die Verschmelzung von Altar und Regierung

Was folgte, war eine Parade hochrangiger Trump-Regierungsmitglieder, die ihre politischen Botschaften in religiöse Rhetorik kleideten. Außenminister Marco Rubio hielt eine komplette Predigt über Tod und Auferstehung Jesu. Verteidigungsminister Pete Hegseth sprach über das Blut Christi, das Sünden wegwasche, und verkündete: „Wir brauchten schon immer weniger Regierung. Aber was Charlie verstand und in seine Bewegung einflößte, ist, dass wir auch viel mehr Gott brauchten.“

Pete Hegseth

Vizepräsident JD Vance ging noch weiter und erklärte Kirk zum Märtyrer: „Wir müssen uns daran erinnern, dass er ein Held für die Vereinigten Staaten von Amerika ist. Und er ist ein Märtyrer für den christlichen Glauben.“ Die gleiche Rhetorik, die gleiche Verklärung, die gleiche Instrumentalisierung von Religion für politische Zwecke – das Muster war identisch mit dem, was die AfD in Deutschland praktiziert.

Szenen, wie wir sie nur selten gesehen haben, aber noch nie in einer angeblich demokratischen Umgebung

Die transatlantische Allianz der Extremisten

Die Verbindungen zwischen Kirk und der AfD waren keine Einbahnstraße. Als das Europäische Parlament im September über eine Schweigeminute für Kirk debattierte, war es die AfD, die diese vehement einforderte. Martin Sellner, der österreichische Rechtsextremist mit engen Verbindungen zur AfD, twitterte empört: „Die AfD wollte eine Schweigeminute für Charlie Kirk. Verweigert von der linken Elite.“ Die AfD-Fraktion im rheinland-pfälzischen Landtag nutzte Kirks Tod sofort für ihre eigene Propaganda: „Das Attentat auf Charlie Kirk zeigt: Polarisierung & moralische Aufladung durch die politische Linke gefährden die freie Rede.“ Die Grafik, die sie dazu veröffentlichten – „Sein Tod betrifft uns alle!“ mit einem lächelnden Kirk vor blau-roter AfD-Farbkulisse – hätte aus Kirks eigenem Propagandaapparat stammen können.

Siehe auch unseren Artikel: „Heiliger Charlie? – Beatrix von Storch verklärt einen rechten Brandstifter“, unter: https://kaizen-blog.org/heiliger-charlie-beatrix-von-storch-verklaert-einen-rechten-brandstifter/

Diese internationale Vernetzung der extremen Rechten zeigt sich in erschreckender Klarheit: Kirk verteidigte die AfD gegen den deutschen Verfassungsschutz, die AfD instrumentalisierte Kirks Tod für ihre Zwecke, und bei seiner Gedenkfeier verschmolzen amerikanischer Evangelikalismus und politischer Extremismus zu einer toxischen Mischung, die ihre Entsprechung in der deutschen rechtspopulistischen Bewegung findet.

Kirk und die AfD: Ideologische Seelenverwandte

Die Parallelen zwischen Kirks Positionen und denen der AfD sind frappierend. Kirk bezeichnete den Islam als „Gefahr für die Vereinigten Staaten“ und sprach von dessen „Eroberungswerten“. Die AfD warnt beständig vor einer „Islamisierung“ Deutschlands. Kirk war ein Verfechter der „Ersetzungstheorie“ – jener antisemitischen Verschwörungstheorie, die behauptet, Juden würden versuchen, weiße Amerikaner durch nicht-weiße Einwanderer zu ersetzen. Die AfD-Politiker sprechen vom „Großen Austausch“ und „Umvolkung“.

Kirk nannte den Civil Rights Act von 1964 einen „Fehler“ und eine „Anti-Weiße-Waffe“. AfD-Politiker wie Björn Höcke sprechen von einem angeblichen „Schuldkult“ und fordern eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“. Kirk forderte „Nürnberger Prozesse“ für Ärzte, die Transgender-Patienten behandeln – eine Rhetorik, die in ihrer historischen Blindheit und Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten ist und ihre Entsprechung in der AfD-Rhetorik gegen „Gender-Ideologie“ findet.

Die Drohungen und der orchestrierte Hass

Stephen Miller, stellvertretender Stabschef im Weißen Haus, lieferte bei der Gedenkfeier die vielleicht beunruhigendste Rede des Tages. Mit feuriger Stimme drohte er Kirks „ideologischen Gegnern“: „Ihr dachtet, ihr könntet Charlie Kirk töten? Ihr habt ihn unsterblich gemacht. Ihr habt keine Ahnung, welchen Drachen ihr geweckt habt.“

Stephen Miller

Diese Rhetorik des „erwachten Drachen“ und der kommenden Rache ist identisch mit der Sprache, die AfD-Politiker verwenden, wenn sie von einem kommenden „Aufstand der Anständigen“ oder einer „konservativen Revolution“ sprechen. Es ist die Sprache autoritärer Bewegungen, die sich als Opfer inszenieren, um Gewalt zu rechtfertigen.

Jack Posobiec, rechtsextreme Influencer

Jack Posobiec, der rechtsextreme Influencer, der für die Verbreitung der „Pizzagate“-Verschwörungstheorie bekannt ist, rief der Menge zu: „Seid ihr bereit, die volle Rüstung Gottes anzulegen? Jetzt ist die Zeit!“ Die gleiche apokalyptische Rhetorik, die gleiche Vermischung von Religion und Politik, die gleiche Mobilisierung für einen imaginierten Kulturkrieg – all das findet sich auch in den Reden von AfD-Politikern bei PEGIDA-Demonstrationen oder Parteitagen.

Trump, Musk und die Rehabilitierung der Extremisten

Donald Trump und Elon Musk haben sich wieder lieb.

Als Präsident Trump schließlich die Bühne betrat, hatte sich die Veranstaltung längst von einer Trauerfeier in eine politische Kundgebung verwandelt. In einer bemerkenswerten Nebenepisode wurde Trump dabei gefilmt, wie er Elon Musk die Hand schüttelte – ihre erste öffentliche Begegnung seit ihrem erbitterten Zerwürfnis im Juni. Die Versöhnung zwischen dem Präsidenten und dem Milliardär bei dieser Veranstaltung sendet ein verheerendes Signal: Selbst die schwersten persönlichen Konflikte werden beigelegt, wenn es darum geht, die extremistische Agenda voranzutreiben.

Liebt den großen Auftritt – Donald Trump

Die Wahlregistrierung bei einer „Trauerfeier“

Ein Detail enthüllte die wahre Natur der Veranstaltung: Im Stadium waren Wahlregistrierungsstände aufgebaut, besetzt mit Turning Point USA-Freiwilligen. Flugblätter mit der Aufschrift „Betet nicht nur für Veränderung, wählt dafür!“ lagen neben den Registrierungsformularen. Die Instrumentalisierung eines Todesfalls für Wahlkampfzwecke – auch das eine Taktik, die man von extremistischen Bewegungen weltweit kennt.

Die verlorene Demokratie

Was sich an diesem Septembertag in Arizona abspielte, war mehr als eine überzogene Trauerfeier. Es war die Manifestation eines Amerikas, das seine demokratischen und säkularen Grundlagen aufgegeben hat. Die Parallelen zur deutschen AfD sind dabei kein Zufall, sondern Ausdruck einer koordinierten, transnationalen extremistischen Bewegung.

Wenn eine deutsche Partei, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wird, im Bundestag Trauerreden für einen amerikanischen Extremisten hält, wenn amerikanische Regierungsmitglieder von Regierungspodien christliche Heilsbotschaften verkünden, wenn bei Gedenkveranstaltungen Wähler für kommende Wahlen mobilisiert werden – dann haben beide Demokratien nicht nur die Orientierung verloren, sondern fundamental vergessen, was sie einmal zu sein vorgaben.

Die ständigen Verweise auf einen nebulösen Feind, die Drohungen gegen „sie“ und „die Linke“, die Inszenierung als Märtyrer und Opfer – all das folgt dem Drehbuch autoritärer Bewegungen. Dass die AfD und Kirks Bewegung sich gegenseitig stützten und legitimierten, zeigt die internationale Dimension dieser Bedrohung.

Quo vadis, Amerika?

Amerika und Teile Europas bewegen sich auf einen Abgrund zu, aus dem es kein schnelles Zurück gibt. Die juristische und gesellschaftliche Aufarbeitung dieser Epoche wird Generationen dauern. Jede Lüge muss dokumentiert, jeder Gesetzesbruch verfolgt, jede Korruption aufgedeckt werden.

Die transatlantische Allianz der Extremisten, die sich an diesem Tag in Arizona und in den Reaktionen aus Deutschland zeigte, ist eine Warnung: Die Demokratie stirbt nicht mit einem Knall, sondern in Stadien voller jubelnder Menschen, die ihre eigene Unterdrückung beklatschen.

Abonnieren
Benachrichtigen bei
guest
4 Comments
Älteste
Neueste Meistbewertet
Inline-Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
Irene Monreal
Irene Monreal
1 Monat zuvor

Ihr macht euch die Arbeit, vielen Dank dafür – und ich habe mir die Videos angesehen, obwohl sich alles in mir sperrt, mit einem Gefühl, das schwer zu ertragen ist, nämlich Angst und Abscheu.
Das, was da auf uns zukommt, verändert alles. Diese Politik ist nur durch Gewalt, Lügen, Erpressung und Misstrauen durch Kontrolle bis in die kleinste Familienzelle, durchzusetzen.
Und während andere rechtsradikale Strukturen in den westlichen Demokratien versuchen, sich den USA anzubiedern, vergessen sie, dass sie nur benutzt werden. Amerika will führen – und verdienen! Nicht durch Forschung, Entwicklung, Zukunftspolitik, nein, durch das Aussaugen aller, die sich darauf einlassen und in die Falle gehen. Es wird nur noch ein Hauen und Stechen geben, keine Ruhe, keine Freunde und kein Vertrauen mehr.
Ich gebe meine Hoffnung noch nicht auf, wir müssen alle Kräfte „links von rechts“ vereinen und mobilisieren, jeder anständige, vernünftige Mensch ist jetzt gefordert.

Susanna
Susanna
1 Monat zuvor
Antwort auf  Irene Monreal

Das schlimme ist, dass „alles links von rechts“ ebenfalls eine Führungsperson braucht, da sehe ich im Moment keine. Es müsste sich ebenfalls ein Netzwerk bilden, das transnational zusammenarbeitet. Ich fürchte mit den alten edlen politischen Spielregeln ist es vorbei, die Massen bewegt man mit reißerischer Rhetorik. Sonst wird es so langsam unwahrscheinlich, dass sich das alles noch aufhalten lässt. Absolut gruselig und abstoßend. Wir kann man auf solche Demagogen so massenhaft reinfallen 🙈

Katharina Hofmann
Administrator
1 Monat zuvor

Was die Jungs seit Wochen leisten, ist investigativer Journalismus mit unglaublichem Einsatz auf höchsten Niveau. Sie arbeiten fast Tag und Nacht durch und hätten mehr Unterstützung so etwas von verdient. Das musste ich hier einmal loswerden.

Ela Gatto
Ela Gatto
1 Monat zuvor

Danke für diesen Bericht.
Wie es Euch vir Ort Vergangenheit sein muss, kann ich nur erahnen.
Kein Wunder, „dass Euch die Ko**-Tüten ausgegangen sind“ und Ihr etwas Lassie brauchte.

Nehmt die Farbe raus und es sueht aus, wie in Deutschland 1933.
Nur das damals Religion nur eine sehr untergeordnete Rolle gespielt hat.

Erika Kirk gewinnt den Oscar für die beste Dtamadarstellung.

Und Trump, Trump ging (wenn man sein Gesicht betrachtet) mächtig einer ab, als Erika Kirk sich mehrmals theatralisch an ihn lehnte.

Wo aber war denn Donnys Stehlampe?
Sie hat Kirk nicht ihren Respekt gezollt? Welch ein faux pas.

Das Ganze ist eine riesige Sekte vermischt mit Staatsmacht. Super gefährlich.

Da muss sich Scientology ja warm anziehen …. es kann nur eine Sekte geben …. und den Evangelikalen sind die „Ungläubigen“ sicher ein Dorn im Auge.
Das schloss mir gerade so durch den Kopf.

Donny Schwester auf Wolke sieben.
Kein Buh-Konzert, sondern Beweihräucherung.
Perfekte hätte keine Bühne sein können.
Kirk hat ihm alles geliefert, was er brauchte … Viele jungen Wähler, Loyalität…. nach seinem Tod den Märtyrer, den Schub für MAGA und gegen alle anders Denkenden und vor Allem, die Ablenkung von den Epstein Files.

Und die Rechten hier versuchen krampfhaft etwas von diesem großen faschistischen Kuchen abzubekommen.
Mehr Rückenwind geht nicht.
Die Medien spielen zum Teil mit. Live Übertragung von tagesschau24 ohne kritisches Statement. Unglaublich

Es ist an uns ihnen Gegenwind zu präsetieren. Immer und überall.

4
0
Deine Meinung würde uns sehr interessieren. Bitte kommentiere.x