Cyberkrieg im Alltag – Pro-ukrainische Hacker legen Aeroflot lahm und stürzen Russlands Reiseverkehr ins Chaos

VonRainer Hofmann

Juli 29, 2025

Russlands digitale Verwundbarkeit hat am Montag ein neues, dramatisches Ausmaß erreicht. Die staatliche Fluggesellschaft Aeroflot musste über hundert Flüge streichen, nachdem ein massiver Hackerangriff ihre IT-Systeme lahmgelegt hatte. Mehr als 50 Hin- und Rückverbindungen fielen bereits am Morgen aus, bis zum Abend summierte sich die Zahl auf mindestens 114 annullierte Flüge, darunter zahlreiche Inlandsverbindungen sowie internationale Strecken nach Jerewan, Minsk, Taschkent und Astana. Besonders betroffen war der Moskauer Flughafen Scheremetjewo, dessen Abflugtafel stundenlang von roten „Cancelled“-Markierungen dominiert wurde. Reisende blickten ratlos auf die Anzeigen, während sich vor den Schaltern lange Schlangen bildeten. Verantwortlich für den Angriff bekannten sich die pro-ukrainische Hackergruppe Silent Crow und die belarussischen Cyber Partisans. In einer gemeinsamen Erklärung bezeichneten sie ihre Aktion als „lange und groß angelegte Operation“, die zur „vollständigen Kompromittierung und Zerstörung der internen IT-Infrastruktur von Aeroflot“ geführt habe. Die Gruppen behaupteten, sie hätten sich über ein Jahr hinweg in die Systeme der Airline eingearbeitet, sämtliche kritischen Unternehmenssysteme kompromittiert und sogar Zugriff auf die Computer von Führungskräften erlangt. Darüber hinaus hätten sie die gesamte Flugdatenbank kopiert, Daten von Abhörservern inklusive Telefonmitschnitten und interner Kommunikation heruntergeladen sowie Überwachungs- und Mitarbeiterkontrollsysteme ausgelesen. Insgesamt seien rund 7.000 physische und virtuelle Server zerstört worden – ein Schaden, dessen Behebung nach Einschätzung der Hacker „Dutzende Millionen Dollar“ kosten könne.

Die Angreifer veröffentlichten eine unverhohlene Kampfansage an den russischen Sicherheitsapparat: „An den FSB, NCCCI, RT-Solar und andere sogenannte Cyber-Verteidiger – ihr seid nicht in der Lage, selbst eure Schlüsselinfrastruktur zu schützen. An alle Mitglieder des repressiven Apparats – eure digitale Sicherheit ist wertlos, und wir überwachen euch seit Langem. Ruhm der Ukraine! Lang lebe Belarus!“ Die Cyber Partisans ergänzten, Aeroflot habe veraltete Windows-Software und schwache Passwörter genutzt. Selbst Aeroflot-Chef Sergei Alexandrowski habe seit 2022 sein Passwort nicht geändert. Russlands Generalstaatsanwaltschaft bestätigte offiziell, dass es sich um einen Hackerangriff handelte, und leitete ein Verfahren wegen unbefugten Zugriffs auf Computersysteme nach Artikel 272 Absatz 4 des russischen Strafgesetzbuchs ein. Parallel begann eine Untersuchung der Flugausfälle und -verspätungen. Kurz nach dem Angriff meldete auch das staatliche Serviceportal Gosuslugi eine massive Störung. Laut Daten von Downdetector gab es die meisten Ausfälle in Moskau (23 Prozent) und St. Petersburg (11 Prozent), weitere Probleme traten in mehreren Regionen von Nischni Nowgorod bis ins Jamalgebiet auf. Nutzer berichteten, dass die Seiten nicht laden, Logins scheitern und sowohl Web- als auch App-Version teilweise stundenlang ausfielen.

Der Angriff auf Aeroflot fügt sich in eine wachsende Welle hybrider Operationen ein, die gezielt den russischen Alltag stören. Schon seit Beginn der Urlaubssaison kommt es regelmäßig zu Drohnenangriffen auf die Umgebung großer Flughäfen. Terminals müssen evakuiert, Flüge gestrichen oder umgeleitet werden. Erst vergangene Woche waren im Süden Russlands über 50 Züge gestoppt worden, nachdem eine Drohne ein Bahnhofsgebäude getroffen hatte. Kurz darauf schlugen Drohnen in Sotschi ein, töteten zwei Menschen und zwangen Hotels zur Evakuierung. Auch digitale Dienste – vom Mobilfunk bis zu Lieferplattformen – geraten immer wieder ins Stocken. Ziel ist es, Unsicherheit zu verbreiten und das Gefühl zu zerstören, die russische Bevölkerung könne den Krieg weitgehend unbehelligt aussitzen. Silent Crow und die Cyber Partisans machten unmissverständlich klar, dass ihre Kampagne nicht beendet ist. Eine teilweise Veröffentlichung der erbeuteten Daten sei bereits in Vorbereitung. Für die russische Gesellschaft bedeutet der Angriff auf Aeroflot, die wohl sichtbarste Marke des Landes, eine Zäsur: Der digitale Krieg ist längst im Alltag angekommen. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow versuchte, die Lage herunterzuspielen, räumte aber ein: „Hackerangriffe sind eine Bedrohung, die für alle großen Unternehmen besteht.“ Hinter dieser nüchternen Feststellung verbirgt sich wachsende Nervosität. Denn die Angriffe zeigen, dass selbst im Herzen der russischen Infrastruktur nichts mehr als sicher gelten kann.

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Ela Gatto
Ela Gatto
2 Monate zuvor

Ich hoffe sehr, dass sie noch lange ihre Arbeit fortführen können.
Nur wenn die Russen selber, insbesondere die mit etwas mehr Geld, eingeschränkt werden in ihrem Alltag, kann sich Unzufriedenheit entwickeln.

Danke für den Bericht

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