Chicago im Ausnahmezustand – Wie Bundesbeamte nicht einmal vor Tourist:innen Halt machten

VonRainer Hofmann

Juli 9, 2025

Es war ein später Sommernachmittag in Humboldt Park, als das Vertrauen zerbrach. Ohne Ankündigung, ohne Durchsuchungsbefehl, ohne irgendein erkennbares Rechtsmandat rollten zwischen 15 und 20 Fahrzeuge des Heimatschutzministeriums auf das Gelände des National Museum of Puerto Rican Arts & Culture (NMPRAC). Männer in Uniform stiegen aus. Keine Abzeichen, keine Legitimation. Und keine Antworten – nur Präsenz. Schwer, unerklärlich, einschüchternd. Was wie eine Szene aus einem lateinamerikanischen Überwachungsstaat anmutet, ereignete sich nicht in Caracas, sondern im Herzen von Chicago. Nicht in einem geheimen Lager, sondern im Puerto-Ricanischen Museum, einem Symbol kulturellen Stolzes, eines Ortes des Erinnerns und der Selbstvergewisserung. Doch am 8. Juli wurde daraus ein Ort der Angst. Die Beamt:innen verweigerten mehrfach, ihre Identität nachzuweisen oder gerichtliche Dokumente vorzulegen. Sie teilten dem Personal lediglich mit, sie würden „Zugänge für künftige Veranstaltungen beobachten“ – Veranstaltungen, so ließ man durchblicken, bei denen mit der Anwesenheit von „Undokumentierten“ gerechnet werde. Dabei machte man auch vor Tourist:innen keinen Halt. Besuchergruppen, darunter auch Familien mit Kindern, wurden auf dem Gelände von den Uniformierten misstrauisch beäugt, befragt oder gar vom Rundgang abgedrängt – als wären sie Teil einer geheimen Operation statt Gäste eines Museums. Die implizite Botschaft war deutlich: Wir sehen euch. Und wir kommen wieder.

Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Schon am folgenden Morgen, am 9. Juli um 10:15 Uhr, versammelten sich Gemeinschaftsvertreter:innen, Politiker:innen, Kulturschaffende und Rechtsbeistände zu einer Notfall-Pressekonferenz im Museum selbst – als sichtbare, würdige und unmissverständliche Antwort auf die stille Einschüchterung vom Vortag. Es war nicht nur eine Geste der Solidarität, sondern eine kämpferische Rückeroberung des öffentlichen Raums. Mit dabei: Billy Ocasio, Präsident des NMPRAC, und Veronica Ocasio, Direktorin für Bildung und Programmgestaltung. Ebenso US-Kongressabgeordnete Delia Ramirez, die Staatssenator:innen Omar Aquino und Graciela Guzman, die Abgeordnete Lilian Jiménez, eine breite Front aus Stadträt:innen – darunter Jessie Fuentes (26. Bezirk), Ruth Cruz, Rossana Rodríguez-Sánchez, Byron Sigcho-Lopez, Anthony Quezada – sowie Cook County-Kommissarin Jessica Vásquez. Auch zivilgesellschaftliche Organisationen wie das Puerto Rican Cultural Center unter José López und die Illinois Coalition for Immigrant and Refugee Rights waren vertreten. Der Zeitpunkt war kein Zufall. Die kommenden Wochen stehen ganz im Zeichen lateinamerikanischer Kulturfeste: das Barrio Arts Fest am 12. und 13. Juli, das Colombian Fest vom 18. bis 20. Juli, und schließlich die Fiesta Boricua Ende August. Feste, die nicht nur Musik, Tanz und Essen bringen, sondern Identität, Zugehörigkeit – und Sichtbarkeit. Und genau diese Sichtbarkeit scheint nun bedroht.

Denn was bedeutet es, wenn Bundesbehörden ohne Ankündigung in Kulturstätten eindringen? Wenn sie keine Rechenschaft ablegen, aber jeden Schritt beobachten? Wenn der öffentliche Raum nicht mehr frei ist, sondern belagert? Es bedeutet, dass das Verhältnis zwischen Staat und Bevölkerung nicht auf Recht basiert, sondern auf Angst. Diese Pressekonferenz ist mehr als eine juristische Reaktion – sie ist eine Erinnerung daran, dass Chicago nicht tatenlos zuschauen wird, wenn Gemeinschaften eingeschüchtert werden. Dass man sich nicht aus Kulturhäusern vertreiben lässt. Dass man sich organisiert – inmitten einer Zeit, in der politische Repression oft hinter der Maske vermeintlicher Sicherheit daherkommt. Am Ende geht es nicht nur um ein Museum. Es geht um das, was es repräsentiert: Herkunft, Würde, Heimat – und das unverrückbare Recht, gesehen zu werden, ohne sich verstecken zu müssen. Wer dieses Recht verletzt, greift nicht nur Mauern an, sondern Menschen. Und Menschen, das hat dieser Tag in Chicago gezeigt, stehen auf. Gemeinsam. Und laut.

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Irene Monreal
Irene Monreal
4 Monate zuvor

Langsam fange ich an, zu begreifen, was mit der ehemaligen DDR passiert ist. Lasst diese Abschottung, Bevormundung und Angst mal für eine Generation in den USA wirken und Menschen verlieren völlig den Kopf, wenn sie irgendwann mit der Freiheit des eigenen Denkens und der Verschiedenartigkeit des Rests der Welt konfrontiert werden. Das Leben wird klein und grau und alles was bleibt ist Misstrauen, Zerrissenheit und Neid.

Katharina Hofmann
Administrator
4 Monate zuvor
Antwort auf  Irene Monreal

👍

Ela Gatto
Ela Gatto
4 Monate zuvor

Erst LA, jetzt Chicago.
Es wird in den blauen Staaten noch schlimmer werden.

Wer Tr***nicht folgt, soll nur noch Angst und Schrecken kenne .
Sich Keiner mehr trauen offen zu kritisieren.
Die Opposition mundtot machen.

Und die MAGA?
Jubeln und Stimmen Tru*** zu.
Kommentare zu der Invasion schwer bewaffneter „Offizieller“ in dem Park in LA?
„Da war kein Picknik, da war kein Sommercamp. Das ist ein Hotspot für Gangs, also nur Kriminelle und Illegale“

Und Mexiko schickt Hilfe nach Texas.
Und MAGA deportiert weiter anstatt in Texas zu helfen.

Deutschland 1933, DDR ….. wer nicht weiß, wie es passieren konnte, sieht es jetzt live.

Katharina Hofmann
Administrator
4 Monate zuvor
Antwort auf  Ela Gatto

Wer nach Chicago reist, muss sich auf einiges gefasst machen

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