Brüder im Geiste – Wie Merz, Macron und Starmer Europas Antwort auf Trumps Rückzug formen

VonRainer Hofmann

Juli 18, 2025

Es ist eine stille Revolution, eingeleitet nicht mit Fanfaren, sondern mit Verträgen, Zugfahrten und nüchternen Presseerklärungen. Während Donald Trump in Washington erneut das transatlantische Bündnis ins Wanken bringt, wächst auf dem europäischen Kontinent ein neues Dreieck der Entschlossenheit: Emmanuel Macron, Friedrich Merz und Keir Starmer ziehen Konsequenzen – leise, aber entschieden. Was einst auf amerikanischer Sicherheit ruhte, soll nun in europäische Verantwortung überführt werden. Am Donnerstag unterzeichneten der britische Premierminister Keir Starmer und der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz in London den sogenannten „Kensington-Vertrag“ – ein weitreichendes bilaterales Abkommen, das Verteidigung, wirtschaftliche Kooperation und gemeinsame strategische Planung umfasst. Eine Woche zuvor hatten Starmer und Frankreichs Präsident Macron bereits eine Koordination ihrer Nuklearstreitkräfte angekündigt. Und im Mai reisten alle drei gemeinsam mit dem Zug in die Ukraine – ein symbolträchtiger Akt europäischer Geschlossenheit, ein symbolträchtiger Akt europäischer Geschlossenheit, wie man ihn in dieser Form seit Jahrzehnten nicht gesehen hat. Doch das ist nur der sichtbare Teil eines tiefgreifenden Prozesses. In Paris entsteht derzeit ein gemeinsames Hauptquartier der „Koalition der Willigen“, einer informellen Allianz zur Unterstützung der Ukraine – unabhängig von amerikanischer Führung. Eine von Europa getragene Friedensmission auf ukrainischem Boden wird intern längst vorbereitet. Die EU hat am Freitag ihr 18. Sanktionspaket gegen Russland beschlossen. Und auch diplomatisch werden neue Formate erprobt, jenseits der großen Gremien wie NATO oder G7. Man will handlungsfähig sein, ohne sich in den bekannten Blockaden zu verlieren – oder, wie eine Analystin es ausdrückte, ein System schaffen, das im Notfall „die Scheibe einschlägt“.

Die neue Allianz ist nicht als Gegenstück zur NATO gedacht – so betonen es Verantwortliche in Berlin, London und Paris –, sondern als Ergänzung. Doch die Richtung ist klar. Merz sprach am Donnerstag offen von einem „tiefgreifenden Wandel der europäischen Sicherheitsarchitektur und der transatlantischen Beziehungen, wie wir ihn seit Langem nicht erlebt haben“. Die neue Realität heißt: Eigenverantwortung – notgedrungen, aber mit klarem Willen. Starmer, dessen Kurs auf Wiederannäherung an Europa nach dem Brexit gerichtet ist, bezeichnete das Abkommen mit Deutschland als erstes seiner Art überhaupt. Und auch Macron, der bereits seit Jahren für europäische Autonomie wirbt, erhält durch die Dynamik neue Partner auf Augenhöhe. Was einst durch den Rückzug der USA unter Obama leise begann und durch Trumps Wahl 2016 beschleunigt wurde, hat nun Struktur angenommen. Der entscheidende Katalysator war ausgerechnet Trumps Vizepräsident J. D. Vance, der im Februar 2025 Europa eine Abkehr von Demokratie und Meinungsfreiheit vorwarf. Zugleich äußerte Trump wiederholt Zweifel am Artikel 5 des NATO-Vertrags – der Beistandsklausel, die jahrzehntelang Europas Sicherheitsanker war. Die Antwort kam nicht mit Eskalation, sondern mit Parallelstrukturen. „Man handelt nicht gegen die USA“, so formuliert es der Militärhistoriker Lawrence Freedman, „aber man trifft Entscheidungen – und übernimmt Verantwortung dafür.“ Besonders Friedrich Merz hat sein außenpolitisches Profil in den ersten Monaten seiner Kanzlerschaft geschärft. Seit dem Wahlsieg im Februar hat er Deutschland außenpolitisch neu positioniert – mit dem Ziel, nicht nur europäische Führungsrolle zurückzugewinnen, sondern sie auch finanziell abzusichern. Er kündigte an, den deutschen Verteidigungshaushalt auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben – eine symbolisch wie strategisch drastische Kehrtwende für ein Land, das sich über Jahrzehnte in sicherheitspolitischer Zurückhaltung eingerichtet hatte. Dass dieser Kurs inzwischen auch Macron zu höheren Verteidigungsausgaben bewegt, zeigt die Strahlkraft des Paradigmenwechsels.

Gleichzeitig bemühen sich alle drei, ein konstruktives Verhältnis zu Trump zu pflegen – oder zumindest den Eindruck zu erwecken, Europa nehme seine Verteidigung endlich selbst in die Hand. So warb Merz in Washington für härtere Russland-Sanktionen und koordinierte ein europäisches Rüstungsprogramm zur Finanzierung amerikanischer Waffen für die Ukraine. Doch hinter den Kulissen wächst die Sorge. Die Andeutungen, US-Truppen könnten aus Europa abgezogen werden, wurden zuletzt immer deutlicher – auch von Trumps Verteidigungsminister. In Berlin spricht man offen davon, dass man sich auf „alle Szenarien“ vorbereite – unabhängig davon, wie sich Washington in den kommenden Monaten verhält. Der Direktor des European Council on Foreign Relations, Mark Leonard, fasste die Dynamik kürzlich treffend zusammen: „Großbritannien, Frankreich und Deutschland sehen sich zunehmend als Pfeiler europäischer Sicherheit – in einer Zeit, in der Amerika weniger oder gar nicht mehr präsent ist.“ Was sie aufbauen, sei noch kein formales System wie die NATO. Aber es ist der Anfang einer Institutionalisierung – europäisch, handlungsfähig, entschlossen. Und es ist ein Signal, das über den Atlantik hinaus Wirkung zeigen dürfte. Denn wie Steven E. Sokol vom American Council on Germany warnt: Wer die Ordnung stört, darf sich nicht wundern, wenn andere sie neu schreiben.

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
3 Comments
Älteste
Neueste Meist bewertet
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
Ela Gatto
Ela Gatto
3 Monate zuvor

Ich hoffe, dass sie sich in Europa und im Zweifel auch gegen die USA durchsetzen können.

Nur eine gemeinsam klare Stärke wird Europa gegen Putin und den autokratischen Umbruch schützen können.

Allerdings ist es wacklig.
Die rechten Kräfte arbeiten an einer Destabilisierung.
In Frankreich LePens Anhänger, bei uns die AfD.
Und dann ist da noch Ungarn.
Aber auch die Linken wollen destablisieren und sich Russland annähern. Wobei es eigentlich einer Unterwerfung gleicht.

Die politische Mitte muss stark bleiben.
Wir als demokratische Menschen müssen stark bleiben und uns nicht vom Populismus der Einen oder anderen Seite einfangen lassen.

Carola Richter
Carola Richter
3 Monate zuvor

Schauen wir mal wie sich das entwickelt. Die Briten bereuen den Breite. Cool finde ich, dass Schüler:innen und Student:innen wieder ohne grosse Formalien nach Großbritannien reisen dürfen. Ich habe diesen Schüleraustausch geliebt. Nicht nur das swinging London, ich habe herzliche Menschen kennengelernt.

Carola Richter
Carola Richter
3 Monate zuvor
Antwort an  Carola Richter

Brexit solldas heissen

3
0
Über ein Kommentar würden wir uns freuen.x