Brandherd Kiew – und der Informationskrieg, den Trump nicht mehr führt

VonRainer Hofmann

September 7, 2025

Kiew brennt – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. In der Nacht zum Sonntag startete Russland den größten Drohnenangriff seit Beginn des Krieges. 805 Shahed-Drohnen, ergänzt durch 13 Raketen, prasselten auf ukrainische Städte nieder. Fast 60 dieser Flugkörper durchbrachen die Abwehr und trafen ihr Ziel. Zum ersten Mal seit 2022 wurde ein zentrales Regierungsgebäude in Kiews politischem Herzen getroffen – die Residenz des Ministerkabinetts. Ein Wahrzeichen der Stadt, ein Symbol staatlicher Handlungsfähigkeit, in Flammen. Die Bilder von Rauchfahnen über dem Regierungshügel haben eine eigene Wucht. Fünf Menschen starben, darunter eine Frau und ein Kind.

Der Angriff markiert nicht nur eine militärische Eskalation, er ist auch eine Botschaft: Moskau verspottet die Diplomatie und zerstört, was sie symbolisiert. Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einem „gezielten Verbrechen“ und warf dem Kreml vor, den Krieg bewusst zu verlängern. Die europäischen Spitzen reagierten mit einer koordinierten Welle von Solidaritätsbekundungen. Ursula von der Leyen schrieb: „Einmal mehr zertritt der Kreml das internationale Recht und tötet wahllos.“ Kanzler Friedrich Merz, Premier Keir Starmer und Präsident Emmanuel Macron hatten erst drei Tage zuvor in Washington eine Sicherheitsarchitektur für die Zeit nach dem Krieg entworfen – nun wirkt das Papier wie ein Dokument aus einer anderen Epoche. Man muss inzwischen von einem Realitätsverlust europäischer Politiker sprechen. So kann es auf keinen Fall weitergehen – was nützen all die Solidaritätsbekundungen, wenn sie keine Folgen haben? Seien wir ehrlich: Es ist nichts anderes als ein feiges Sich-davonstehlen. Auch die Briefe von Frau von der Leyen wirken wie ein stilles Eingeständnis, dass Brüssel die Kontrolle längst verloren hat.

Während Europa die Scherben zählt, bleibt Washingtons Reaktion zwiespältig. Donald Trump droht, „Phase zwei“ seiner Russland-Sanktionen einzuleiten, setzt Fristen und lässt sie verstreichen. Das hat wohl niemanden wirklich überrascht. Sein Weißes Haus fordert Geduld, während Putins Drohnenfabriken in Ischewsk und Jelabuga Monat für Monat 2.700 neue Shahed-Kopien ausspucken. Es ist eine Politik des Zauderns, die nicht nur militärische Folgen hat, sondern auch strategische – im unsichtbaren Krieg um Deutungshoheit. Denn während in der Ukraine Feuer gelöscht wird, lodern in Europa andere Brände: die der Desinformation. In Moldau hat der Kreml einen digitalen Feldzug entfesselt, der beispiellos ist. Mehr als 900 von Russland gesteuerte Accounts fluten TikTok, Telegram, Facebook und YouTube mit KI-generierten Videos, Falschmeldungen und Verschwörungsnarrativen. Sie diffamieren Präsidentin Maia Sandu, säen Misstrauen, spielen mit der Angst vor Krieg und Chaos. Was früher als subtiles Rauschen begann, ist heute ein orchestriertes Trommelfeuer – ein Testlauf, wie hybride Kriegsführung der nächsten Generation aussehen wird.

Ehemaliger Trump-Kampagnenberater George Papadopoulos unterstützt den Aufbau einer pro-russischen Desinformationsplattform – hier mit seiner Ehefrau Simona Mangiante in Washington.

Genau hier liegt die zweite Front, die Trump weitgehend geräumt hat. Seit seiner Rückkehr ins Weiße Haus hat er die US-Programme zur Bekämpfung ausländischer Einflussoperationen fast vollständig demontiert: Gelder für unabhängige Medien in Osteuropa gestrichen, Radio Free Europe ausgehungert, das Center for Global Engagement geschwächt. Selbst diplomatische Initiativen wurden zurückgefahren, während Russland sein Desinformationsarsenal aufrüstet. Thomas O. Melia, ehemaliger hochrangiger US-Diplomat, warnt: „Das Feld ist leergeräumt, andere marschieren ein, ungehindert.“ Die Folge ist ein gefährlicher Doppel-Effekt: Während die Drohnen am Himmel Kiews detonieren, detonieren in den sozialen Medien die Narrative Moskaus. Sie verstärken sich gegenseitig, nähren Zynismus, schwächen die westliche Handlungsfähigkeit. Die Botschaft an die Bevölkerung ist eindeutig: Der Westen ist machtlos, seine Regierungen uneins, seine Versprechen leer.

Kiew kann seine Regierungssitze löschen, Brücken reparieren, Straßen neu asphaltieren. Doch wenn die digitale Unterwanderung weiter ungebremst bleibt, wird die politische Brandstiftung tiefer greifen als jeder Drohnenschlag. Dann könnte Russland nicht nur Städte zerstören, sondern Vertrauen – und das ist schwerer wiederaufzubauen als jede Kolonnade aus Stein.

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Ela Gatto
Ela Gatto
2 Monate zuvor

Von den USA kann und darf man mit Trump keinerlei Unterstützung erwarten.
All seiner Ankündigungen Russland mit Sanktionen und schãrferen Mitteln zum Ende des Krieges zu bewegen….. alles nur heiße Luft eines Dummschwätzers.

Wenn ich dann lese „Trump ist bereit für neue Sanktionen gegenüber Russland, dafür braucht er aber die Hilfe der europäischen Partner“
Die Partner, die er seit Monaten attackiert und erpressen mit seinen Zölle, Abschaffung von DEI Programmen etc.
Die „Partner“?
Das ist eh nur heiße Luft, wie immer. Wenn Trump was tun wollte, würde er einfach eines seiner heißgeliebten Dekrete unterzeichnen und fertig.

Und Europa?
Europa ist peinlich und beschämend!
Empörung ausdrücken.
Unverbrüchlichen Rückhalt mit der Ukraine.
Geldhilfen (das kommt mir langsam vor, wie ein „freikaufen“)
Und dabei schielen sie immer in die USA… ob da „der große Schritt“ kommt.
Wie realitätsfern!
Da kommt nichts!

Die Koalition der Willigen ist eigentlich eine Lachnummer. Es wird über die Zeit nach dem Krieg diskutiert.
Wie wäre es erstmal konkret und mutig über eine echte Hilfe für die Ukraine zu sprechen?
Aber Nein.
Wir Empörung uns lieber. Schnüren das nunmehr 19. Sanktionspaket, welches genau so nutzlos sein wird, wie die 18 vorher.

Derweil rauscht die Trollfabrik aus Russland durch alle Medien.
Wie oft lese ich „Geld für die Ukraine ist da, aber nicht für xy“
Es kotzt mich so an, dass diese Narrative sich verfangen und immer mehr Zustimmung finden.

Realistisch betrachtet haben die tapferen Menschen aus der Ukraine keine Chance.
Sie kämpfen, leiden und sterben.

Trump ist es egal.
China sowieso.
Nord Korea unterstützt weiter Russland aktiv.

Und Europa kommt seit Jahren nicht in die Gänge.
Taurus… Ach doch lieber nicht. Andere Langstreckenwaffen … lieber nicht.
Aber Empörung, davon haben wir viel und schicken sie bei jeder Gelegenheit unbegrenzt.

Und Trump?
Da es mit dem Frieden nicht geklappt hat, bombt man mal eben ein Schiff kaputt, tötet 11 Menschen und Feiertag den großen Sieg über die Terrororganisation der Drogenkartelle.

Ich sehe schwarz, ganz schwarz

Franky
Franky
2 Monate zuvor

Die Ukraine wird einfach verraten, Europa versagt und mit Trump sitzt ein Verrückter an der Macht. Gute Nacht kann ich da nur zu sagen. Sehr guter, aufschlußreicher Artikel wieder.

Carola Richter
Carola Richter
2 Monate zuvor

Niemand weiss wieviel Verteidigung Europa wirklich hat.
Ich denke weniger als allen lieb ist.
Die Polen haben intelligent aufgerüstet, altes in die Ukraine gegeben und dafür Geld bekommen und Neues gekauft. Alle europäischen Staaten haben grosse finanzielle Probleme und können sich kaum bis gar nicht eine eigene Verteidigung leisten. Wer Waffen, Flugzeuge, Drohnen, Munition zügig herstellen und zudem in grossen Mengen, keine Ahnung. USA fallen aus, ziehen ihre Gelder zur Verteidigung der baltischen Staaten raus, kündigen in Deutschland weiteren Truppenabzug an und Deutschland rudert unsortiert nach Möglichkeiten freiwillig Rekruten zu finden. Mit welchen Ausbildern und in welchen Kasernen? NICHTS ist geklärt, aber einen Fragebogen für freiwilligen Wehrdienst gibt es.
Es gibt eingefrorene Gelder in Milliardenhöhe von Oligarchen.
Warum traut man sich nicht, dieses Geld zu nutzen. Sonst nehmen die Regierungsparteien auch nicht genau, was Recht und richtig ist. Das Kind ist spätestens mit der Besetzung der Krim in den Brunnen gefallen und Putin will keinen Frieden. Tump verfolgt schon wieder andere Interessen. Und welche Interessen verfolgt die Nato wirklich und was könnte sie leisten? Reichen Sateliten und technischer Cyber Schnickschnack, Chips, seltene Erden, Lithium?
Europa verpasst Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit wem? Japan, Südkorea und Australien?
Oder vielleicht doch auch mit China? China hat Putin und Nordkorea als Vasallen empfangen. Das IST ein gordischer Knoten, den es zu überwinden gilt, ohne dass es nur nach Angst stinkt.
Mit diesem Militärkram bin ich überfordert. Aber analytisch denkend, vermisse ich wie so oft alternative Strategien und Führungsstärke. Die ach so starken Männer schweigen, bilden Rudel wie ein verspielter Hühnerhaufen und?
Ja rhetorisch fragen kann ich auch, hilft aber nur, um theoretisch Probleme zu lösen.
China hat mit seiner Militärparade gezeigt, wir können alles. Verteidigen, Angreifen, Abschrecken und Verkaufen. Sie sprachen vorrangig von Abschreckung. Meinten damit die USA. Aber meinten sie auch Europa? Was hat die Diplomatie da erfragt? Immerhin hat China der EU Zukunftsdeals zu erneuerbaren Energien und Klima angeboten und die EU hat angebissen.

Carola Richter
Carola Richter
2 Monate zuvor
Antwort auf  Rainer Hofmann

Und Macron ist nicht der Starke. Die 5. Regierung zerbricht gerade. Und was immer er als Präsident verspricht, es muss vom französischen Parlament abgesegnet werden.
Merz brüllt wie Trump, genauso wie der, dreht er sich um und zieht sich raus, siehe 26 willige europäische Staaten wollen eine Friedenstruppe stellen und Merz verkündet, Deutschland macht erst mal nicht mit.
Und wie mächtig ist Starmer wirklich und wieviel Unterstützung hat er für militärische Unterstützung im Parlament und bei der britischen Bevölkerung?

Nighthawk
Nighthawk
2 Monate zuvor

Wollte er nicht zwanghaft ’nen FNP?

Loes Gabbe-Schmidt
Loes Gabbe-Schmidt
2 Monate zuvor

Sie schreiben Vertrauen verlieren, nur das hat Putin doch verloren schon in Moment wenn er der nich von „Krieg“ aber von „Übung „ sprichst! Narzissten lügen , betrügen und manipulieren. Immer haben anderer Schuld, immer bleiben sie die Überlegenden. Seine Angst entdeckt zu werden, wie unsicher er ist, Angst vor der NATO , Angst für Friedenstruppen in der Ukraine usw. Wenn werden wir selbstbewusst und wann schreib ihr da über ! ?

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