Es ist ein Dokument, das auf beklemmende Weise zeigt, wie normalisiert und gleichzeitig grotesk das Leben um Jeffrey Epstein war: Ein Brief des Regisseurs Woody Allen aus dem Jahr 2016, nun öffentlich bekannt, offenbart nicht nur die düstere Atmosphäre in Epsteins New Yorker Stadtpalais, sondern auch, wie tief prominente Gäste in die Absurditäten seines Alltags eingebettet waren.
Allen, heute 89, beschreibt in seinem Schreiben die Dinner-Abende bei Epstein, die er zusammen mit seiner Frau Soon-Yi häufig besuchte. Das Haus, so Allen, sei bevölkert gewesen von Politikern, Wissenschaftlern, Journalisten und Künstlern – und immer wieder von „mehreren jungen Frauen“, die die Gäste bedienten. Sein Vergleich zu Bela Lugosis Vampirschloss ist so scharf wie entlarvend: ein Ort, an dem Epstein selbst wie eine morbide Figur hauste, abgeschirmt vom normalen Leben, während junge Frauen die Rolle dekorativer, dienstbarer Wesen spielten.
Der Brief, in deutscher Übersetzung, liest sich wie eine bizarre Mischung aus mondänem Tagebucheintrag und unfreiwilliger Anklage:
„Da wir Nachbarn sind, sind meine Frau Soon-Yi und ich viele Male zum Abendessen eingeladen worden. Wir haben immer zugesagt, es war immer interessant. Eine große Vielfalt interessanter Menschen bei jedem Dinner, fast immer. Politiker, Wissenschaftler, Lehrer, Magier, Komiker, Intellektuelle, Journalisten, ein Entomologe, ein Konzertpianist. Jedenfalls, es ist immer interessant und das Essen ist üppig und reichlich. Viele Gerichte, viele Auswahlmöglichkeiten, zahlreiche Desserts, gut serviert. Ich sage gut serviert – oft von einem professionellen Hausangestellten und ebenso oft von mehreren jungen Frauen, die einen an Castle Dracula erinnern, wo Lugosi drei junge weibliche Vampire hat, die den Ort betreuen. Dazu kommt, dass Jeffrey allein in einem riesigen Haus lebt, man kann sich ihn vorstellen, wie er in feuchter Erde schläft. Aber zurück zum Essen. Verlässlich ein gutes Abendessen, aber das war nicht immer der Fall. Tatsächlich war es beim ersten Mal, als wir kamen, eine ganz andere Geschichte. Wir waren eingeladen mit einer Liste von angesehenen Leuten, Männern und Frauen aus dem Journalismus, im Fernsehen, sogar aus dem Königshaus. Wir wurden nach oben in das Wohnzimmer gebracht, wo alle vor dem Dinner saßen und plauderten. Keine Getränke wurden serviert. Man konnte eines bekommen, wenn man ausdrücklich fragte. Das hätte der erste Hinweis sein sollen. Als das Essen unten bereitgestellt wurde, war es mager. So mager, dass meine Frau und die Leute neben ihr murmelten: Ist das alles? Bekommen wir nicht mehr? Danach dachte ich, ich müsste vielleicht in ein Restaurant gehen. Wir wollten beim nächsten Mal nichts sagen, aber meine Frau sagte in ihrer taktvollen Art: Es wird doch mehr Essen geben, oder? Unter ihrem Drängen verbesserte sich die Situation allmählich, und spätere Abendessen boten Eimer voller chinesischen Essens, das aus einem lokalen Restaurant bestellt und auf einem Buffet bereitgestellt wurde, wo man sich selbst bedienen konnte. Es wirkte alles seltsam für einen Mann von Gewicht, der oft illustre Gäste empfing. Unter fortgesetztem Drängen meiner Frau wurden schließlich Arrangements getroffen, damit das Essen zu Hause gekocht und serviert wurde. Sie musste erklären, in welcher Reihenfolge die Dinge serviert werden – nicht zuerst der Hauptgang und dann die Vorspeise, sondern umgekehrt. Mit der Zeit brachte sie ihn dazu, ein paar Blumen in die Mitte des Tisches zu stellen, damit es wenigstens ein bisschen warm und einladend wirkte. Das brauchte Zeit und einige Korrekturen, aber schließlich wurden seine Mahlzeiten in einen gewissen Zustand normalen, zivilisierten Dinierens gebracht. Das große Telefon und der Computer an seiner rechten Hand nehmen zwar etwas von der entspannten Hausmannskost-Atmosphäre weg, aber man kann eben nicht alles haben – nicht in Castle Dracula.“

Dieser Brief ist mehr als eine skurrile Anekdote. Er ist ein Fenster in ein Milieu, in dem mächtige Männer und prominente Gäste regelmäßig ein- und ausgingen, während der Gastgeber längst als sexueller Ausbeuter bekannt war – wenn auch damals noch nicht offiziell verurteilt. Die Beschreibung einer Gesellschaft, in der selbst ein einfaches Dinner zum grotesken Theater wird, wirkt im Nachhinein wie ein Protokoll des Wegsehens.
Woody Allens Beobachtungen, obgleich fast beiläufig formuliert, lassen tief blicken: Epstein, der Mann mit Kontakten in Politik, Medien und Wissenschaft, lebte in einer Welt, in der niemand ernsthaft hinterfragte, warum junge Frauen wie „Vampire“ durch seine Hallen huschten. Selbst ein prominenter Regisseur, der die skurrilen Abgründe beschreibt, kehrt immer wieder zurück – und bringt seiner Frau sogar bei, den Gastgeber in kulinarischer Etikette zu schulen, statt die moralische Katastrophe im Raum zu benennen.
Diese Aufdeckung ist ein weiteres Mosaikstück in der Geschichte eines Mannes, dessen Verbrechen auch deshalb so lange im Schatten blieben, weil das Umfeld aus Prominenten und einflussreichen Bekannten bereitwillig mitschwieg – zwischen groteskem Luxus, lächerlicher Dekadenz und einer Atmosphäre, die selbst Woody Allen nur als „Castle Dracula“ beschreiben konnte.
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Woody Allen ist in Sachen Missbrauch nicht gerade ein unbeschriebenes Blatt. Und gehörte offensichtlich zum Epstein-Zirkel. Wie auch Trump. Nur Nachbarschaftsbesuch? Hm.
Dann holen wir Kreuz und Holzspitze, und gut ist !
Woody Allen (kein unbeschriebenes Blatt in Sachen Missbrauch), war klar Teil dieses Zirkels, vielleicht seine Frau auch.
Wer so oft dort ein und aus gegangen ist, kann nicht behauptet nichts gehört, nichts bemerkt, nichts gewusst zu haben.